Ruth Erat
„Zum Trocknen aufgehängte Flügel“
Schreib- und Zeichenfäden = Gedichte und Skizzen
Waldgut Verlag CH 8500 Frauenfeld
ISBN 978-3-03740-117-0
Immer wieder spannend, wenn eine Büchersendung vom Waldgut
Verlag eintrifft. Was mag diesmal enthalten sein? Schon allein das haptische
Erlebnis, die Bücher aus dem Kuvert zu nehmen, sie aufzublättern, den Umschlag
anzusehen, hineinzuriechen, ist ein Genuss. Dann erst das Lesen in den Büchern.
Seien sie nun einmal so schmal wie die vorliegenden „Zum Trocken aufgehängten
Flügel“, sei es auch einmal ein umfangreicheres Werk, die Sorgfalt, die dieser
Verlag seinen Büchern und damit auch seinen Autoren angedeihen lässt, ist schon
etwas Besonderes.
Stricke, Skizzen sind der erste Eindruck, Zeichenfäden wird
man eines Besseren belehrt seien dies. Gut, man hilft dem Leser ein wenig auf
die Spur, man führt ihn ein in eine Welt, die so skurril ist, das der Leser
sich erst einmal vergewissern muss, wo die Reise hingeht. Und siehe da, diese
Reise, die so skurril beginnt, surreal möchte man meinen, sie bleibt es bis zum
Ende. Da wimmelt es von Fabelwesen (gezeichnet und gedichtet), da gibt es ein
Kavalor, und der Leser beginnt zu recherchieren, was er dazu findet: Vom
Pferdefutter, über World of war craft, Intensivbetreuung, usw. man gibt es auf
und schaut sich die Zeichnung, nein die Zeichenfäden auf Seite 47 an, und kennt
sich aus. Das also ist das Kavelor! Wie schön, das dem Leser gesagt wird, dass
das Wolkenvogelwesen einst ein Blumenkohl gewesen und danach die Vorhänge in
der Küche wochenlang stinken (müssen). Da gibt es so einprägsame Seiten wie die
Seite 37: Mag sein,/dass Wimpern tränen/sich Tänzer unterbrechen/weil alle nach
der millionsten Pirouette/ gähnen. Ist das nicht herrlich? Ist das nicht
wunderbar beobachtet und mitgefühlt? Eher würde der Rezensent bei
Wortschöpfungen wie „Schneewolkendunkel“ und „Sonnengeflunker“ die Nase rümpfen
und meinen „na ja“, wenn da nicht diese Zeichenfäden wären, die daraus eine
Poesie entwickeln und unterstützen, die einfach umwerfend ist. Ja, das darf in
diesem Zusammenhang gesagt werden, so skurril wie diese Texte und Zeichenfäden
sind, so absurd dürfen auch die Zuschreibungen des Rezensenten sein. Er hat
sich dem einfach anzupassen – und selten hat dies soviel Freude und Spaß gemacht!
Es verlockt, sich mit der Autorin näher zu befassen, sich
mit ihr vertraut zu machen und siehe da: die nächsten Überraschungen, der
Jahrgang der Dame ist so, dass man sie schon eher dem Stand der Pensionisten
zuordnen könnte, aber weit gefehlt! Sie promovierte einst über die Mechtild von
Magdeburg, eine christliche Mystikerin im 13. Jahrhundert, ist politisch tätig,
nahm sogar einmal (1999) in Klagenfurt am Wettlesen zum Ingeborg Bachmannpreis
teil, erhielt aber eine Reihe anderer Auszeichnungen. Eine spannende Biografie
und eine spannende Dichterin! Da gibt es auf Seite 73 einen Schreibfaden (oder
soll man nicht doch lieber sagen: ein Gedicht), der die Autorin treffend
charakterisieren könnte:
Auf kleinstem Fuß
Die eigene
Haarleiter erklimmen,
ohne Gruß die
erdachte Wand hoch
und sich kopfvoran
jenseits
seiner gezeichneten
Existenz
verlieren.
Das ist Poesie, fernab von jedem Modernisierungsgedudel,
weit weg von verhatschten Bildern, die herhalten sollten um Pseudostimmungen zu
erzeugen, das ist eine Poesie, eine Lyrik, die man hernimmt, um sich mit einer
Pfeife, einem Glas Wein auf die Terrasse zurückzuziehen und darüber sinnieren
kann, wie Peter von Matt die Lyrik als die „verräterische Pracht“ bezeichnete
und dieser schmale Band hier vollinhaltlich damit gemeint sein könnte!
Hans Bäck
PEN – Trieste
Im August 2017