Die
Frage
von Dagmar Weck
Ein
Samstag, ein Nachmittag breitet sich aus in einem Sommer in Bochum.
"Grüß
Dich, Maja," sage ich, umarme Maja, tue es mit unberührbarer Distanz.
"Tag,
schön, Dich wieder zu treffen," höre ich die Begrüßung von Maja.
Nebeneinander
gehen wir vom Bochumer Bahnhof aus ins "Café Afrika".
"Schön,
dass wir uns so früh treffen heute, ich habe ein Würstchen
gegessen
heute Mittag", berichtet Maja, "und dazu hatte ich einen
Salat von
gestern, den habe ich mir selbst gemacht, Hannah."
"Oh,
im Café ist es voll, laß uns draußen sitzen, Maja."
Wir sind
angekommen.
"Der
Salat war echt gut, einkaufen mußte ich heute unbedingt, von 13.32Uhr
bis
16.07Uhr," Maja setzt sich.
"Die
Leute hier draußen sind fast alle in unserem Alter, Maja, im Mittelalter."
Maja guckt
sich die Umgebung an, nicht die Cafémenschen.
"Ich
will in den Herbstferien nach Südafrika fliegen, habe ich Dir das schon ge-
sagt,
Hannah?"
"Sieh,
Maja, die Frauen, die hier draußen sitzen, sind alle gut gekleidet, hmm?"
auf
Südafrika reagiere ich absichtlich nicht.
"Guck
mal, ich habe mir diesen Blazer neu gekauft", Maja zupft an ihm ,
"habe ihn
mir
schicken lassen, war teuer."
"Schön,
wirklich schön", reagiere ich kurz auf ihren Konsum.
Wir
bestellen bei der freundlichen Bedienung etwas, dieses Café hat Niveau.
Maja, so
hoffe ich, stellt mir nicht die Frage, vor der ich Angst habe.
Blazer und
Südafrika überschreiten Grenzen, auch meine, das ist es.
"Bezahlt
habe ich den Blazer noch nicht, erst mal habe ich Zahlpause, so was
macht die
Versandfirma, das finde ich prima, das mit dem späteren Bezahlen
mache ich
öfter, den Salat esse ich morgen noch, dazu ein Würstchen,
also
Südafrika, habe ich Dir das schon erzählt?“ Maja lacht leise.
In meiner
Magengegend nehme ich eine Nervosität war, einen Ärger, aus dem sich
ein Gefühl
von Enttäuschung löst.
"Ja,
hast Du, Bodo-Verkäufer sind unterwegs, bei dem schönen Wetter lohnt es
sich sicher
für sie, meinst Du das auch, Maja?" Ich weise mit dem Kopf auf einen
Bodo-Verkäufer
hin.
Maja sieht
in die Richtung des Bodo-Verkäufers, den ich meine.
"Südafrika, ich wollte immer schon mal
dorthin", Maja trinkt von ihrem Milchcafé,
"die
Reise, die ich mir ausgesucht habe, kostet so einiges," Maja stellt die
große
Obertasse weit weg von der zugehörigen Untertasse, "im nächsten Jahr
spare ich
mal, habe ich schon oft versucht, Hannah, es geht nicht."
"Heute
will ich mal früher zu Hause sein," ich fasse an Majas Blazerarm,
"früher
als sonst,
wenn wir uns treffen."
"Wie
meinst Du das?" fragt Maja, "Du sitzt doch hier gut."
Maja möge
mir die erwartete Frage nicht stellen, meine Antwort erfordert ein Ja oder ein
Nein.
"In
den Herbstferien bleibe ich in Bochum", erkläre ich meine NichtReisePläne,
sehe auf
den Tisch und trinke einen Sekt, den ich mir bestellt habe.
"Eigentlich
kann ich mir den Urlaub nicht leisten, die große Reise", Maja nähert
sich ihrer
Wirklichkeit, "ich muß sparen, konsequent."
"Wir
haben Glück, Maja, wir haben ein gutes Einkommen und eine Wohnung, wir
müssen
keine Bodos verkaufen."
Der
Bodo-Verkäufer geht langsam fort von uns.
"Laß
uns ins Bermuda-Dreieck gehen", so plane ich den weiteren Abend.
Ich werde
Maja zum Essen einladen, dann möchte ich sie nicht mehr wieder
treffen.
"Vierzehn
Tage Südafrika, das wird schön, ich plane Taschengeld ein, so 200
Euro
brauche ich für zwei Wochen, sicher so viel, Hannah, das reicht aber,
Halbpension
ist in der Reise schon drin."
Sie wird
mir die Frage stellen, nein werde ich sagen, meine Einladung zum Essen
soll Maja
besänftigen.
"Heute
mußte ich noch einkaufen, von 13.42 Uhr bis 15.47 Uhr war ich im
Geschäft,
morgen esse ich noch ein Würstchen, Salat habe ich noch",
Maja
sieht sich die nähere Umgebung unseres Tischchens an, mich
sieht sie
nicht.
Wir stehen
auf, Kaffee und Sekt habe ich bezahlt, Maja will es zuerst nicht, dann
will sie es
doch. Maja hat ihre Zeitrechnung nicht mehr im Griff.
Wir gehen.
"Du
kommst mit 200 Euro Taschengeld nicht aus, die reichen nicht für zwei
Wochen
Südafrika", mische ich mich ein.
"Ich
fahre so gern weg, zweimal im Jahr muß ich einfach verreisen, mindestens,
zu Hause
halte ich es nicht aus, Südafrika, ein Traum von einer Reise", Maja
redet heute
sehr viel.
Unser
letztes Treffen findet heute statt, Erleichterung fühle ich, Maja und ich
können
einander nicht nahekommen.
"Hier
ist was los, viele Leute sind heute unterwegs im Bermuda-Dreieck, Maja."
Unser
letztes Ziel in unserer Beziehung ist also erreicht, die Kneipen, von mir
geliebte Orte.
"Hannah,
Dich wollte ich mal was fragen," Maja geht langsamer.
Unsichtbar
fühle ich das Messer, das in meinen Körper schneidet.
Nein, so
wird meine Antwort lauten, jetzt kann ich nein sagen auf so eine Frage,
vor einiger
Zeit noch hätte ich es nicht gekonnt.
"Ich
habe nur 320 Euro im Monat zum Leben", Maja hat jetzt eine blasse
Stimmfarbe.
"Wie?",
sage ich etwas zu laut.
"Zum
Leben, für Lebensmittel, Hannah", ein wenig zu viel Entrüstung liegt
gerade
in Majas Gesicht.
"Eigentlich
kann ich mir die Reise nicht leisten", Maja lacht manieristisch in den
Bochumer
Sommer.
"Maja,
wie viele dieser Leute hier mögen einsam sein? Manchmal bin ich auch
einsam."
Ich schäme
mich meiner Einsamkeit, bin aber etwas befreit, weil ich das nun zu-
geben kann,
dieses EinsamGefühl.
Majas Frage
wird eine Bitte sein.
"Bei
einem anderen Versandhaus habe ich auch noch Schulden, fällt mir gerade
ein",
Maja sieht mich lange an.
Meine
innerseelischen Pläne gebe ich Maja später bekannt.
"Komm,
laß uns hier essen gehen", ich gehe voran, ein gemütliches Lokal, eine
Entscheidung
treffen wir gleich, die des Essens und die des Weines.
Noch einige
Zeit werden wir einen guten Abend haben.
"Die
Schuldnerberatung hat lange Wartezeiten, da gehe ich nicht hin, das Rezept
meines
Salates gebe ich Dir mal, Hannah, Du mußt ihn unbedingt essen."
"Nein,
ich habe keine Lust, mir Salat zu machen", sage ich bestimmt.
"Ja,
ich möchte bitte eine Bodo", sage ich dem an unserem Tisch stehenden
Bodo-Verkäufer.
Er gibt mir
die Bodo, ich bezahle.
"Darf
ich Sie zum Essen einladen?" frage ich ihn.
Majas Frage
wurde von ihr noch nicht gestellt, sie betrifft nicht den Bodo-Verkäufer.
"Ja,
gerne, danke", antwortet mir der Bodo-Mann.
"Bitte,
nehmen Sie Platz", ich sehe ihn an mit Entgegenkommen.
"Danke",
sagt er höflich und setzt sich erst jetzt.
Maja schaut
mich an, sehr überrascht sehe ich sie.
"Wie
geht es Ihnen, ich bin Hannah, das ist Maja", ich versuche, ihm ein wenig
nahezukommen,
"schauen Sie in die Weinkarte, wenn Sie Wein mögen."
"Ich
heiße Sören", stellt sich mein Gast vor, "geht mir ganz gut."
"Läuft
der Verkauf heute gut?" frage ich meinen Bodo-Menschen mit seinem
Schicksal,
bin unsicher, ob ihn diese Frage stört oder gar verletzt.
"Ja,
läuft alles ganz gut", sagt Sören.
Wir
schweigen miteinander, drei unsagbare Menschen, Sören erzählt von sich
aus nichts
weiter.
Ihm möchte
ich etwas näherkommen, aus seinem Leben möchte ich etwas
erfahren,
er berührt mich, insbesondere möchte ich wissen, was ihn aus
der Bahn
geworfen hat
Die einzige
Nähe, die ich heute Abend bekommen könnte, könnte von der
Begegnung
mir diesem Mann ausgehen.
"Heute
sind viele Leute unterwegs hier im Bermuda-Dreieck", sage ich.
Inzwischen
haben wir unser Essen bekommen, den Wein , der die richtige
Temperatur
hat, exzellent, "zum Wohle", sagen wir drei Menschen an
unserem
gemeinsamen Tisch.
Vorübergehend
ist diese Tisch-Zeit, es tut mir weh.
"Es
ist heute sehr voll, lange verkaufe ich nicht mehr", sagt Sören, den ich
auf Mitte
Dreißig schätze, nach seinem Alter wage ich nicht zu fragen.
Sören
bleibt ziemlich ernst am Tisch.
Maja schaut
mich an, ich überlege, was ich sagen könnte, damit Sören mehr
von sich
erzählt.
Wir
bestellen noch mehr Wein.
"Der
ist gut, der Wein", sage ich.
"Hmm",
sagt Sören, Maja sagt gerade nichts.
"War
bei mir im Leben vieles auch nicht einfach", sage ich, bin unsicher,
ob ich das
hätte sagen dürfen.
"Ist
oft so", Sören hat sein Essen beendet, "ich muß mal gehen, vielen
Dank."
Sören ist
sehr höflich, er zeigt eine gewisse Einfühlsamkeit, die ich mir von Maja
wünsche.
"Alles
Gute, Sören, war schön, Dich zu treffen", nehme ich Abschied.
Sören geht
mit seinen restlichen Zeitungen fort, sagt noch: "Alles Gute!"
Er kann
davon ausgehen, dass es Maja und mir gut geht, die Tür fällt hinter ihm
zu, mit
seinen restlichen Zeitungen ist er gegangen, vielleicht sind sie
sein ganzer
Besitz.
"Ich
wollte mal erfahren, was in seinem Leben passiert ist", wende ich mich
Maja zu.
"Er
hat ja nichts erzählt", antwortet mir Maja, " morgen esse ich
vielleicht doch
anderthalb
Würstchen."
"Ich
hoffe, er hat eine Unterkunft", setze ich unser Gepräch fort.
"Maja,
auch mir hätte es passieren können, dass ich mich selbst aus der Bahn
geworfen
hätte, ich war drauf und dran, meine Berufsausbildung hinzuwerfen,
es war die
Liebe, die ich von jemandem wollte, er hat sie mir nicht gegeben,
ich war die
Versagerin, damals, so dachte ich, auf einem Schiff wollte ich damals
vielleicht
anheuern, meine Referendarzeit nicht mehr weitermachen."
"Morgen
esse ich vielleicht anderthalb Würstchen, Hannah", Maja sieht ihr
Weinglas
an, "mit meinem Salat. Sören, den Namen finde ich unmöglich."
Wir
bestellen noch Wein, diesmal wähle ich einen Rosé.
Maja hat
auch eine Referendarzeit hinter sich und ist eine Beamtin auf Lebenszeit.
"Zum
Wohle", sage ich zu ihr, die mir darauf nicht antwortet.
Ein Gefühl,
bitte, nur ein einziges für das, was sich ereignet hat, gerade, für
das, was
ich Maja gerade erzählt habe, erwarte, verlange ich.
Ein
Abschied von Maja steht unmittelbar bevor, der einzige Abschied, den ich von
ihr nehmen
werde, es gibt kein nächstes Treffen mehr.
"Ich
wollte Dich fragen, Hannah", Maja trinkt genüßlich ihren Wein, "
kannst Du mir
Geld
leihen, es sind nur eintausend Euro, ich muß einiges bezahlen, was ich jetzt
nicht kann.
Ratenzahlungen von zwei Versandhäusern und meine Raten für
meinen
letzten Urlaub nach Marokko muß ich auch noch bezahlen."
Sie trinkt
von ihrem Wein, zu dem sie eingeladen ist.
"Zusammen
sind es neunhundert Euro, die mir gerade fehlen, gib mir bitte ein-
tausendunddreihundert
Euro, dann habe ich noch etwas Taschengeld."
Ich trinke
von meinem Rosé, Maja sieht zu mir, und doch an mir vorbei hinein ins Lokal.
Erkenntnisse
über ein Gefühl der Enttäuschung haben mich erreicht.
"Das
Geld brauche ich dringend in den nächsten vier Tagen", Maja ist unberührt
von Gefühlen.
Ich sehe
sie an, ein wenig unsicher fühle ich mich, "nein", sage ich deutlich
und ein
wenig hart.
"Ich
dachte, Du hast doch Geld, Hannah."
"Du
verdienst so viel wie ich, Maja, nein, ich gebe Dir kein Geld."
Erklärungen
gebe ich nicht ab, schuldig fühle ich mich nur verschwindend wenig.
"Ich
zahle es Dir zurück, in Raten, so über drei Jahre hinweg", Maja genießt
ihren Wein.
"Du
kannst mir das Geld doch gar nicht zurückzahlen bei Deinen vielen Schulden,
Maja", mein Rosé ist sehr gut.
"Nein,
Maja, ich finanziere Dir nicht ein Leben, das Du Dir nicht leisten kannst,
" vollziehe ich diesen Abend.
Ich zahle,
so hatte ich es geplant, bin jetzt frei.
Wir umarmen
uns nicht mehr beim Abschied, sagen nur: "Wiedersehen", eine
Täuschung.
Drei
Menschen entläßt diese Nacht.
Sören,
einen abgestürzten, armen Gast der Dunkelheit, Sören, ich hoffe, er hat eine
Bleibe.
Sören wird
entlassen von dieser Bochumer Nacht mit einer armseligen Zukunft.
Seinerzeit
hatte ich doch noch meine Berufsausbildung beendet.
Maja entläßt
diese Nacht, eine einsame und planlose Frau, die ihre Bindung zu ihrem
guten
Gehalt manisch zu verlieren begonnen hat und die depressiv geworden ist.
Mich,
Hannah, entläßt diese Nacht, eine
einsame Frau, die eine solche Nacht wieder
suchen
wird.
Sie wird
sie finden, möglich ist das in Bochum.