Aufenthalt in Ely
von Dagmar Weck
Ziemlich leer ist die U 35, mein
Gefühl von Angst ist stark,
es verläßt mich nicht, so sehr
ich auch versuche, diesen
inneren Zustand unspürbar zu
machen.
Ich unterliege.
Am Bochumer Hauptbahnhof steige
ich aus, atme tief
durch, versuche wieder, Angst
hier zu hinterlegen, Angst
geht mit mir mit.
Thorvald, ihn treffe ich in
wenigen Minuten im Restaurant
"Zum Rumpelstilzchen".
Unser Treffen wollte ich nicht ab-
sagen, Thorvald würde dann noch
zorniger werden als sonst.
Also treffe ich auf ihn, heute.
Das Restaurant liegt in
unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs,
mein Herz schlägt zu laut,
Thorvald liebe ich nicht.
Es ist nicht meine Angst, die ich
vor Thorvald habe, langsam
gehe ich, es ist eine grenzenlose
Zustandsangst.
Angst, sie wird schlimmer, den
Namen des Lokals sehe ich schon.
Thorvald, heute ist er vielleicht
gnädig, parliert mit mir nicht wieder
so verzerrt, so hämisch.
Vielleicht läßt er meine Sätze,
die ich sage beim Essen, stehen und
bricht sie nicht wieder mitten
durch.
"Guten Abend,
Thorvald," ich küsse ihn auf die Wange.
"Grüß Dich, Katharina,"
Thorvald hört sich normal an.
Freundlich begrüßt uns der Herr
Ober und führt uns zu dem
von Thorvald bestellten Tisch am
Fenster.
"Heute ist viel los in der
Stadt, Thorvald," sage ich , "viele Leute
sind unterwegs."
Thorvald schaut mich an, sagt
nichts. Er sieht sich im Lokal um.
Unser Herr Ober bringt uns die
Speisekarten.
"Wir hätten gern zwei große
Pils," bestellt Thorvald, "den Wein haben
wir zu Hause, den brauchen wir
hier nicht zu trinken."
Unser Ober hat das mit dem Wein
nicht mehr gehört.
"Wie war 's bei Dir heute?" frage ich den Mann
vor mir.
"Am Freitag sind immer viele
Leute unterwegs, das ist doch nichts
Besonderes," Thorvald trinkt
sein halbes Bier leer, "wie es war?",
er trinkt die andere Hälfte
schnell hinterher.
"Ich habe ja meine
Strategien, Katharina, ganz gut war es.
Meine Ex-Frau hört nicht auf, mir
Ärger zu machen, sie will unser
gemeinsames Haus verkaufen, das
lasse ich mir nicht gefallen."
Leise spricht er, ohne erkennbare
Melodie, nimmt meine Hand,
drückt sie sanft.
Der Abend wird vielleicht stabil
bleiben.
Er schlägt unvermittelt mit
seinem Zeigefinger auf den Tisch.
Rasch wird das nächste Pils
geliefert, nach dem auch ich mich sehne.
"Gestern habe ich Aufsätze
korrigiert," das Bier mundet, " es waren gute Ar-
beiten dabei."
Dieses Thema ist sicher wenig brisant,
hoffe ich .
"So?" Thorvald sieht
mich mit kleinen Augen an, "sooooo?"
Er lacht blutleer, es tut mir
weh.
"Du bist viel zu gnädig mit
Deinen Zensuren", erst jetzt sehen wir
uns die Speisekarte an, meine
Hände schwitzen.
Ich möchte nicht hier sein, bin
aber hier bei Thorvald, der immer
noch mein Geliebter ist. Pils um
Pils wird von uns getrunken.
Einen Beginn fühle ich, wieder
den Beginn, ich kann nicht von ihm
fortgehen, will es tun und gehe
nicht, immer gehe ich nicht.
Ein neues harmloses Thema finde
ich nicht mehr.
"Meine Ex ist so geldgierig,
sie will mir schaden," Thorvald sieht mich
nicht an, er spricht auf den
Tisch, "sie will mir einfach das Leben schwer-
machen, sie will nicht, dass ich
mein Leben genieße."
Er hebt sein Glas, "dieses
Lokal hat doch ein höchst gemütliches Am-
biente, nicht? Oh, Kathi, was muß
ich durchmachen. Hier war
ich oft mit Liz, meiner Ex."
"Meine Aufsätze.....,"
ich breche ab.
"Laß doch die Schule,
Katharina, wir genießen den Abend."
Er spricht sanft, ich weiß, lange
dauert der weiche Wandel in
Thorvalds Stimmung nicht an.
Wir bestellen unser Essen, mit abweisender
Strenge behandelt
Thorvald unseren Herrn Ober.
Aufgeben möchte ich eigentlich
meine Versuche, wieder ein
reizloses Thema zu finden, das
Thorvalds Zynismus eindämmt.
"Du," in mein altes
Verhalten falle ich zurück, " gestern habe ich
im Fernsehen einen alten
Edgar-Wallace-Film gesehen, eine
ganze Reihe mit diesen Filmen
läuft jetzt, die Filme finde ich so
süß!"
Der erste Gang kommt, die Suppe.
"Was? Haaa," Thorvald
beginnt seine Suppe zu schlürfen,
sein Geschlürfe darf ich ihm
nicht sagen, weil ich in mir Panik ver-
meiden will, Kritik führt bei
diesem feindlichen Geliebten zu
unkontrollierten Ausbrüchen
seiner Gefühle.
"Edgar Wallace," er
spricht wieder leise, auch durch seine Zähne
hindurch. In den Schlürfpausen
tritt ES wieder ein: er bewegt
seinen Mund nach vorne, spitzt
ihn ein wenig, dann bewegt er
dieses Körperinstrument wieder
breit nach hinten.
Werde ich untergehen bei ihm?
Ich selbst muß mich retten, und
bin doch ohnmächtig.
"Wie kannst Du Dir nur
diesen Blödsinn ansehen?" er spricht
mit Freude, "die Suppe ist
gut. Du hast keinen Geschmack,
Kathi."
Möge dies das letzte Essen sein
mit diesem Fiesling.
Noch weiß ich an diesem Abend
nicht, was am nächsten Tag
geschehen wird.
Noch weiß ich nicht, dass es noch Monate
dauern wird, bis ich diesen
Teufel verlassen kann.
"Ich kenne niemanden," Thorvald
stellt seinen Suppenteller an die
Seite, " der solche Filme
mag, das ist doch nicht mehr normal, so
was zu mögen."
Der zweite Gang kommt, weitere
Biere werden von uns der Vernichtung
zugeführt.
"So viel Geld habe ich schon
für meinen Anwalt ausgegeben, Kathi,"
Thorvald zerschneidet sein
angeliefertes großes Steak.
Thorvald möchte ich am liebsten
mit meinem Messer in die Hand
schneiden, ihm wehtun.
"Sieh Dir nicht noch mal
Edgar Wallace an, ich warne Dich, sonst trete ich
Dich," der Teufelsgeliebte
tritt sanft gegen mein Knie.
Jetzt müßte ich gehen, es gelingt
mir nicht, etwas fehlt mir dazu,
darauf komme ich aber nicht.
"So schlimm fand ich Liz
nicht, dass sie Dir so was antut, hätte ich nicht
von ihr gedacht."
Wieder der Versuch, noch etwas zu
retten, vergeblich wird
auch dieser Versuch enden.
"Du verteidigst Liz auch
noch?" er klopft mit seinem Messer auf seinem
Tellerrand herum.
"Nein," ich lächle ihn
an, aus diesem Teufelskreis mit Thorvald komme
ich nicht heraus.
Einen Wert habe ich im Moment
nicht mehr.
"Du lügst mich an,"
Thorvald untermalt mit seiner Gabel sein Tischkonzert,
unser Ober sieht zu uns herüber.
In unserer Nähe unterhalten sich
Menschen und essen miteinander.
Sein Messer legt Thorvald hin,
mit seiner rechten Hand schlägt er
auf meine rechte Hand, es tut
weh.
Ich esse weiter, fange an zu
weinen, esse fertig.
Thorvald sieht mich nicht an.
Zu dieser Welt gehöre ich nicht,
und doch bin ich in dieser Welt,
ich muß es schaffen, von dem
Schläger wegzugehen, wer bin ich?
Wem habe ich etwas nicht gegeben?
Wem habe ich keine Liebe gegeben,
so dass ich jetzt alleine bin?
"Hmm," der Mann kaut,
schaut mich von unten aus gesenkter Kopf-
position an, "das Steak ist
gut."
Hilfe brauche ich.
"Gut angezogen sind die
Gäste in diesem Lokal", höre ich mich sagen.
"Hmhm," sagt der Fremde
an meinem Tisch, "eine Entschuldigung
muß man nicht sagen," mein
Liebesteufel spricht, " man darf sich nicht
entschuldigen, denn sonst geht ja
alles wieder von vorne los."
Mein Liebhaber, den ich loswerden
will, ist verrückt geworden, oder
erklärt er sein weiteres
Vorgehen?
Thorvald trinkt noch mehrere
Ramazottis, ich bleibe beim Pils.
Aus dem Fenster sehe ich, Ely,
ihr gilt meine Sehnsucht, der Kathe-
drale von Ely.
Ich bestelle mir noch einige
Pilschen, wann beginne ich, an mich zu
glauben?
Ely, vor sechs Monaten habe ich
diese Ely-Kathedrale besucht,
begleitet von zwei Freundinnen,
denen ich meine Abwesenheit aus
dieser Welt nicht erzählen
konnte.
Ely, in einer Bank konnte ich
mich für einige Stunden aus meiner Thorvald-
-Welt verabschieden.
Ely gab mir einen Raum,
friedlich, groß, Ely, ein stabiles Schiff aus
Stein, unzerstörbar, das vor
Anker gegangen ist, um Menschen aufzu-
nehmen.
"Was denkst Du, Kathi?"
"Laß uns gehen,
Thorvald."
Wir unarmen uns zum Abschied,
jeder fährt mit dem Taxi in seine Wohnung.
Am nächsten Tag, eine Vorahnung
hatte ich, glockt um zehn Uhr morgens mein
Telefon.
"Thorvald hier,"
verhaltene Stimme, "ich sollte besser mit meiner Hand
Brot schneiden," der Mann
zögert, "ich habe was Schönes zu essen gemacht,
kommst Du gleich?"
In Ely bin ich lange
herumgegangen, zu mir möchte ich gnädig sein, Thorvald
möchte ich schlagen.
An seiner Haustür glocke ich, er
zeigt sich froh, dass ich gekommen bin.
Nach Likör riecht er, den er mir
erst später anbietet.
Was mache ich mit mir selbst?
In Ely konnten Besucher auch
etwas essen, Geschenke konnte man einkaufen,
Thorvald ist schwach, das ist mir
klar, und doch fühle ich mich schuldig.
Mein Leben habe ich verkehrt.
So gefalle ich Thorvald.
Im Oktogon von Ely ist niemand schuldig.
Thorvald läßt mich in den Eßflur
seiner Wohnung.
Er tischt Essen auf, hat sich
Mühe gegeben, ist ungewöhnlich still.
Thore räumt schließlich ab.
Wir legen uns auf den Teppich
seines Eßflures, in sein Wohnzimmer
darf ich nicht gehen, sein Schlafzimmer
ist heute auch versperrt.
Wir führen den Liebesakt aus.
Wir sind fertig, Thorvald stöhnt
noch ein wenig, ich bin froh,
kann nach Hause fahren.
Dann gehe ich.
Später, so gegen zwei Uhr in der
Nacht, bekomme ich Panik und rufe die
Telefonseelsorge an.
Was fehlt mir?
Ein Geheimnis berge ich, was ist
dessen Charakter?
Monate vergehen.
"Ihre Wut wird Thorvald
nicht überleben," mein Psychiater rückt meine
kleine Welt zurecht, "Sie
dürfen Wut haben, die kann Thorvald nicht ertragen."
Thorvald ruft mich nicht mehr an,
den Augenblick, in dem meine Wut den Thorvald
erreicht hat, habe ich nicht
bewußt mitbekommen, er war nur da, dieser
Augenblick.
So einfach kann das Leben sein.
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