Der Unsichtbare
von Manfred Kolb
ich war schon früh aufgestanden, hatte die Terrassentür geöffnet und mich an meinen Schreibtisch gesetzt, um an der begonnen Kurzgeschichte weiter zu schreiben.
Die Augen auf das Display des Notebooks gerichtet verspürte ich plötzlich eine Bewegung im Raum. Ich blickte auf, konnte aber nichts entdecken, was die Bewegung ausgelöst haben könnte.
Ein Windzug konnte nicht die Ursache sein, denn draußen war es windstill. So intensiv ich auch das Zimmer absuchte, ich fand nichts, was Ursache für die kleine Unruhe war
Aber er war da. Das spürte ich mit allen Fasern meines Herzens. Er war also wieder gekommen und hatte sich bei mir eingenistet. Eigentlich hatte ich ja mit ihm gerechnet, aber nicht so früh in diesem Jahr.
Nun würde er wieder bei mir wohnen, mich begleiten, wohin mich meine Wege auch führten. Auch nachts wäre er an meiner Seite, woran ich mich langsam erst gewöhnen musste, denn ich war gewohnt, allein zu leben.
Dass er unsichtbar war wusste ich ja schon von früheren Begegnungen her. Auch dass er mit mir keine Gespräche führen würde. Es genügte ihm, einfach da zu sein.
Er war nicht aufdringlich. Er beanspruchte keinen Platz in meinem Zimmer. Er verhielt sich still und unauffällig. Das machte ihn für mich zu einem angenehmen Begleiter.
Wo er sich in den Zeiten aufhielt, wenn er nicht in meiner Nähe war, wusste ich nicht. Diese Erkenntnis blieb mir wie früher sicher auch dieses Mal verborgen.
Wie lange er bei mir bleiben würde, konnte ich nicht wissen. Seine früheren Aufenthalte waren mal von kurzer Dauer, mal zogen sie sich über viele Wochen hin. Merkwürdig war, dass er manchmal plötzlich verschwand, um nach einigen Tagen zurückzukehren.
Aber eines Tages würde es soweit sein. Er würde mich für einen längeren Zeitabschnitt verlassen. Ohne Ankündigung, ohne Hinterlassen einer Nachricht, wie das so seine Art war.
Ich muss noch nachholen, vom wem hier die Rede ist: vom Sommer natürlich.
ENDE
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