Sonntag, 2. November 2014

Sonntagstext - 2. November 2014



Man sollte ruhig einmal darüber nachdenken!


Ich kann mir nicht vorstellen, zu einem Zeltfest zu gehen, um dort den Auftritt eines Streichquartettes mit einem Werk von Haydn zu hören. Ebenso wenig, wie ich dort einen alten Jodler oder einen schönen Boarischen erwarte. Für die Zeltfeste gibt es eigene Musik und Musikmacher – um sie einmal so zu bezeichnen. Diese haben für derartige Veranstaltungen ihre Berechtigung und Notwendigkeit – soweit man Zeltfeste und dergleichen als notwendig bezeichnen mag. Genau so wenig erwarte ich mir im Goldenen Saal des Musikvereins ein Konzert eines Alpenrockers. Was also für die Musik sich eingebürgert hat, eben gewisse Veranstaltungen mit der dazupassenden Musikgruppe und eben der Musik, so hat die Literatur da noch ein wenig eine Anpassungsschwierigkeiten.

Zum Vergleich: Wer die „Neue Post“ kauft oder als Lesezirkelexemplar liest, wird kaum erwarten dort ein Gedicht von Trakl abgedruckt zu finden. Wer die normale Wochentagsausgabe einer x-beliebigen Tageszeitung hernimmt, wird auch nicht eine weitere Folge eines Romans in Fortsetzungen von Michael Köhlmeier erwarten. Es gibt sie also, die Selektion der Texte nach den Medien, für die sie eventuell gedacht wären. Nur sind sie das auch von den Autoren so? Erwarten wir – die Autorinnen und Autoren – nicht immer und voll Hoffnung, dass gerade der neue Text, der soeben fertig wurde, alles schlägt und der literarische Text schlechthin ist?

Was ist den schwieriger, einen so genannten „hochwertigen“ Text zu verfassen (wer ist eigentlich befugt, das zu beurteilen?) oder einen angeblich „trivialen“ Text? Wie sagte Peter Turrini anlässlich eines der vielen Interviews zu seinem 70. Geburtstag? Achtzig, wenn nicht neunzig Prozent einer literarischen Arbeit sind Handwerksarbeit. Das beginnt bei der Themenauswahl, der Recherche, dem Plot zu erstellen, den Handlungsrahmen zu skizzieren bis dahin ist noch keine Zeile des neuen Textes entstanden. Und genauso geht es weiter: jeder Text, ja jede Zeile eines neues Beitrages ist zu überprüfen, zu überarbeiten und nochmals zu überarbeiten. Es beginnt die Suche nach dem perfekten Satz, wenn man den gefunden hat, beginnt die Suche nach den perfekten Wörtern. Dabei ist es vollkommen egal, ob jetzt an ein Gedicht in Hochsprache oder in Mundart, eine Erzählung, eine Novelle oder eine so genannte leichte Kost entstehen soll. Bekannt ist ja der Grundsatz aller Schaffenden, dass gerade die leichten, eventuell sogar humorvollen Werke, jene sind, die am Schwierigsten in der Entstehung sind.

Hat nicht die Autorin eines vielleicht in die Kategorie Trivialliteratur fallenden Textes das gleiche Problem wie jene Dame, die mit ihrem Herzblut das Fallen der Blätter (rot und gelb gefärbt natürlich) im Herbst beschreibt, ohne daran zu denken, dass genau dieses Phänomen nicht erst seit der Romantik die deutschen Dichter beschäftigt hatte? Was soll denn da Neues werden? Da ist mir doch lieber ein harmloser, aber gut gemachter Text über eine Frau, die sich freut darauf vom Friseur verwöhnt zu werden, es genießt, wie seine Hände zärtlich sie berühren, sich darauf freut, dann endlich nach Stunden den Spiegel vorgehalten zu bekommen und glücklich ist. So lange, bis sie zu Hause sich das Werk ansieht und selber die Reparaturhand anlegt. Wenn es dieser Autorin noch dazu gelingt, alle zwei Wochen so einen Text abzuliefern, der von der Redaktion angenommen und dann genau von jenen Damen beim Friseur unter der Trockenhaube gelesen wird, so hat auch diese Arbeit ihren Zweck erfüllt. Siehe dazu weiter oben, die Musik im Zeltfest.

Ich finde, bitte mir nicht böse zu sein, so einen Text heiter, locker und leicht zu lesen, wesentlich wichtiger als die 893. Darstellung von fallenden Blättern, egal ob färbig oder nicht. So sehr wir uns jedes Jahr über die herbstliche Farbenpracht freuen – ich denke gerade jetzt an die verfärbten Buchen im Talschluss des Buchbergtales, beim Bodenbauer. Die rotbrennenden Buchen, der tiefblaue Himmel, der  leuchtende erste Schnee am Zinken und Buchbergkogel – wer wollte da nicht ein Gedicht schreiben?

 Dann denke der/die daran, wie es

Christian Friedrich Hebbel um 1860 dichtete

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was von dem milden Strahl der Sonne fällt.


Lasst mich noch ein um 100 Jahre älteres Herbstgedicht zitieren:

Barthold Hinrich Brockes (1680-1747)


Gedanken bey dem Fall der Blätter im Herbst

In einem angenehmen Herbst, bey ganz entwölktem heiterm Wetter,
Indem ich im verdünnten Schatten, bald Blätter-loser Bäume, geh',
Und des so schön gefärbten Laubes annoch vorhandnen Rest beseh';
Befällt mich schnell ein sanfter Regen, von selbst herabgesunkner Blätter.
Ein reges Schweben füllt die Luft. Es zirkelt, schwärmt' und drehte sich
Ihr bunt, sanft abwärts sinkend Heer; doch selten im geraden Strich.
Es schien die Luft, sich zu bemühn, den Schmuck, der sie bisher gezieret,
So lang es möglich, zu behalten, und hindert' ihren schnellen Fall.
Hiedurch ward ihre leichte Last, im weiten Luft-Kreis überall,
In kleinen Zirkelchen bewegt, in sanften Wirbeln umgeführet,
Bevor ein jedes seinen Zweck, und seiner Mutter Schooß, berühret;
Um sie, bevor sie aufgelöst, und sich dem Sichtlichen entrücken,
Mit Decken, die weit schöner noch, als persianische, zu schmücken.

(Auszug)

Abschließend ein letztes Gedicht, natürlich von

Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erdeaus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

unendlich sanft in seinen Händen hält.

Wie gesagt, da müsste einer/einem schon gewaltig was Neues einfallen um das zu erreichen. Dabei sind das nur drei Gedicht aus der Unzahl jener die seit Jahrhunderten zum Herbst geschrieben wurden.
Doch, ich schweife ab. Ich will zurück zur Trivialliteratur,  nein, eigentlich nicht direkt. Ich möchte nur ein wenig die Lanze dafür brechen. Vor allem im Vergleich mit jenen Texten, die oftmals eingereicht werden und denen jede Professionalität fehlt. Die „dichterische Inspiration“ so es überhaupt eine gibt und sie zu bemerken ist,  diese allein macht noch keinen „literarisch hochwertigen Text“
Es gibt den Ausdruck des Kunsthandwerks, warum sollte das nicht auch für die Literatur gelten? Und ich bin geneigt, diesen Begriff bei der viel geschmähten Trivialliteratur zu verwenden. Warum eigentlich so viel geschmäht? Warum wird kaum einmal zugegeben, dass die Herren Autoren in ihrer frühesten Jugend natürlich Karl May und die Damen Schriftstellerinnen Trotzkopf gelesen haben. Trivialliteratur in ihrer „schönsten“ Ausformung und wer leugnet, mit Kara Ben Nemsi oder Old Shatterhand nicht mit gezittert zu haben, nun ja,  Selig die nicht sehen und doch glauben!
Also, lassen wir Gebrauchsliteratur als solche stehen und gelten und versuchen wir bei der „anspruchsvollen Literatur“ - wenn wir diese schreiben wollen – jene Professionalität anzuwenden, welche die Verfasser der Leichten Literatur auch nicht aus dem Handgelenk beuteln!
Hans Bäck

1 Kommentar:

  1. Zitat: "Und genauso geht es weiter: jeder Text, ja jede Zeile eines neues Beitrages ist zu überprüfen, zu überarbeiten und nochmals zu überarbeiten. Es beginnt die Suche nach dem perfekten Satz, wenn man den gefunden hat, beginnt die Suche nach den perfekten Wörtern. Dabei ist es vollkommen egal, ob jetzt an ein Gedicht in Hochsprache oder in Mundart, eine Erzählung, eine Novelle oder eine so genannte leichte Kost entstehen soll. Bekannt ist ja der Grundsatz aller Schaffenden, dass gerade die leichten, eventuell sogar humorvollen Werke, jene sind, die am Schwierigsten in der Entstehung sind."

    Lieber Hans,
    Du hast bei Deinen Ausführungen dabei das Medium "Internet" und speziell des "Blogs" nicht erwähnt. Es handelt sich dabei um ein schnelllebiges Medium, bei dem bezüglich der Qualität der Texte Abstriche gemacht werden (können). Das ist sicher nicht zufriedenstellend, aber es ist so. Speziell für die Blogs wird also nicht jeder Beitrag hohe Literatur sein. Es sind Moment-aufnahmen die uns da begegnen, Momentaufnahmen teilweise auch von "unfertigen" bis hin zu "weniger gelungenen" Texten. Es wäre ureigenste Sache des Lesers eines Literaturblogs, zu den vorgestellten Texten seine Meinung kundzutun und auch auf Schwächen hinzuweisen.
    Zu unserem Blog ist zu sagen, dass praktisch keine Rückmeldungen kommen - außer Deinen Beiträgen. Wie heißt es doch: "Der Künster lebt vom Applaus" - nur wenn da keine Rückmeldung kommt, dann wird er irgendwann seine Bemühungen einstellen. Dies gilt auch für diesen Blog.
    Reinhard

    AntwortenLöschen