von
Manfred Kolb
Bei einer Wanderung am Strand von Groß Schwansee
entdeckte ich am Meeressaum verweilend ein Pärchen, das angestrengt auf das
Meer hinausblickte. Sie mochten beide um die 50 Jahre alt sein, von hagerer
Gestalt, für eine Strandwanderung etwas zu elegant gekleidet, also
offensichtlich Gäste des Schlosshotels Groß Schwansee.
Ich gesellte mich zu ihnen und blickte wie sie
angestrengt auf das Meer hinaus. Nach einer Weile sagte ich leise vor mich hin:
„herrlich, dass die Steine heute Abend endlich wieder reden. Das haben sie
lange nicht mehr getan“ und zu meinen
Stehnachbarn gewandt: „hören Sie das auch?“
Die beiden reagierten nicht gleich. Aber nach
einem kurzen Augenblick wandte sich der Mann mir zu und sagte, sichtlich
irritiert von meiner Ansprache: „was sagten Sie eben? Dass die Steine reden?
Ich höre nichts.“
„Doch,
doch“, hakte ich nach: „sie sprechen zu Ihnen. Hören Sie doch einmal genau hin.
Die Strandsteine vor ihren Füßen reden.“
Auch die Begleiterin des Mannes hatte sich vom
Betrachten der Dünung gelöst und wandte sich mir zu:“ was sagten Sie da zu
meinem Mann? Sie hören Steine reden? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“
„Die Steine können reden“, beharrte ich. „Sie müssen
schon genau hinhorchen: dieser rote Porphyr mit Quarz-Einsprenglingen vor Ihren
Füßen zum Beispiel redet ganz deutlich.“
Und mit diesen Worten verfiel ich in eine Pose
angestrengten Zuhörens.
„Was
erzählen Sie denn da für einen Unsinn“, sprach die Dame weiter, „Steine können
gar nicht reden. Das habe ich ja noch nie gehört! Ich höre jedenfalls nichts.
Aber wenn ihre Steine mit Ihnen sprechen, was sagen die denn so?“
„Das sind nicht meine Steine“, wies ich sie
zurecht. „Aber was Sie von sich geben, können auch Sie hören. Steine sprechen übrigens
zu jedem Menschen in einer ihm verständlichen Sprache! Warum sie das tun, kann
ich Ihnen nicht sagen“, setzte ich das Gespräch fort, „aber sie reden. Nicht
immer, aber an manchen Abenden, immer nur an Abenden, so wie heute.“
„Und was sagen sie so gerade jetzt, die Steine?“,
fragte mich der Mann mit einem höhnischen Tonfall in der Stimme.
„Ich weiß nicht, was Steine zu Ihnen
sagen. Ich kann nur hören, was die Steine mir
mitteilen. Sie freuen sich über die schöne Abendstimmung und das sanfte
Schlagen der Wellen an den Strand. Zu meiner Freundin sprechen sie übrigens ganz
anders, wenn sie mit ihr reden.“
„Und da dachten sie, dass die Seine auch mit uns
kommunizieren“, mischte sich die Dame wieder ein.
„Natürlich“, antwortete ich, „das ist so ihre Art.“
„Sprechen denn alle Steine?“, fragte mich der
Mann listig.
„Nein“, antwortete ich. „Am gesprächigsten sind
die Porphyre und die Unakite, das sind die rot gesprenkelten und die dunkelbraunen
mit kristallinen rhombenförmgen Quarz-Einschlüssen, die man auch Konglomerate
nennt.“
„Und woher wissen Sie das alles?“, fragte mich
der Mann voll unüberhör-barem Spott in der Stimme.
„Ich bin Geologe“, gab ich zur Antwort, „da
lernt man viel über Steine, ihre Zusammensetzung und ihre Fähigkeiten. Jede Art
von Strandsteinen, Granite, Vulkanite, Porphyre, Unakite, Quarzite, Kalcite,
Feuersteine, Sandsteine haben bei ihrer Entstehung ihre eigene Sprache mit
bekommen. Diese Steine hier am Strand sind mit den letzten vier großen Eiszeiten
der Erdgeschichte aus den heutigen skandinavischen Ländern mit Gletschern und
Meeresströmungen als sogenanntes Geschiebe auch bis an den Strand von nach Groß
Schwansee gelangt. Wir Menschen können Sie verstehen und sie uns wahrscheinlich
auch, wenn Sie zu uns sprechen. Versuchen Sie es doch noch einmal. Ich
wiederhole es gern:: Sie müssen nur ganz konzentriert hinhören!“
„Sie spinnen doch“, fuhr mich der Mann an, „so
einen Blödsinn habe ich noch nie gehört!“
„Ich halte Ihnen einen wissenschaftlich
fundierten Vortrag“, antwortete ich beleidigt, „und Sie ziehen das ins
Lächerliche. Hören Sie doch endlich einmal hin! Ich versuche Ihnen schon die
ganze Zeit klar zu machen, dass Steine nicht von stummer anorganische Natur sind,
sondern dass sie Leben in sich tragen, dass sie gesprächig sind, sich sogar untereinander
über ihre Herkunftsorte und Wege durch das Meer verständigen und zu uns Menschen
reden können. Nicht zu allen, sondern nur zu den Feinfühligen und Sensiblen!“
Mit diesen Worten ließ ich die Ignoranten stehen.
Im weg Gehen sah ich aus den Augenwinkeln, dass
der Mann sich verstohlen zwei größere Strandsteine in die Umhängetasche
steckte.
Ich lächelte. Es macht mir einfach Spaß,
Menschen mit scheinbar unlösbaren Situationen zu konfrontieren.
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