Sonntag, 22. September 2013

Zu den Gedichtbänden von Ilse Brem





Unter einem fremden Himmel
Licht am Horizont
Nur ein kurzer Flügelschlag


„Wem kalt ist, dem erklärt man, dass Frieren zum Leben gehört“

Das sind drei Zeilen eines Gedichtes aus dem Band „nur ein kurzer Flügelschlag“
Dabei stellt sich für mich das Problem dar:

Die Gedichte sind schön und gut gemacht, sie entsprechen durchaus dem Postulat Peter von Matts: „Es gibt zwei Grundtatsachen, die allen Gedichten eingeschrieben sind: Erstens will das Gedicht schön sein - auch wenn das ein Dorn im Auge des regierenden Kunstbegriffs ist, und zweitens will es vollkommen sein: Die Sekunde der Vollkommenheit in Dauer verwandeln“[1]

Früher war es vollkommen klar, die Nymphe im Brunnen, das Mädchen am Brunnen, die Rosen im Haag, der Vollmond über de Weiden, aus denen der weiße Nebel steigt. All das war klar ersichtlich und wurde geschrieben und gedichtet. Wobei sich natürlich die Frage erhebt, wann war denn das „früher“? Im vorigen Jahrhundert, also von 1900 bis 2000 oder im Jahrhundert davor oder noch früher? In der Romantik, in der Klassik, im Barock? War das Früher vielleicht gar schon zur Zeit der alten Römer oder der Frau Ava? Jedenfalls, früher, da war alles anders, klarer, verständlicher und besser sowieso. Auch die Poesie. Der Vollmond war noch jungfräulich, die Metaphern noch unverbraucht, die Wanderer hockten zwischendurch auf den Bäumen, mit der Geige in der Tasche. In der nächsten Minute fiedelten sie bereits wieder frisch und fröhlich drauf los, kein Teufel kümmerte sich um Nachstimmen der Saiten. Das Bild reichte vollkommen. Man las und war vergnügt. Und gereimt hatte sich auch alles. Kunstvoll wurden immer weitere und komplizierte  Versformen gesucht und gefunden. Damit zog die Künstlichkeit in die Poesie ein. Unwiderruflich! Das Gedicht wurde daran gemessen, welche neuen Worte es für bekannte Bilder fand. Der Dichter wurde danach beurteilt, wie er Altbekanntes so verpackte, dass der Leser den „aha Effekt“ erlebte. Zwangsläufig einher ging damit eine Reduktion der Leserschaft. Lieschen (ob Müller oder eine andere spielt keine Rolle) fand sich nicht mehr in der Laube mit dem Sticktuch oder am Brunnen sitzen, mit der Katze spielend. Plötzlich kamen Begriffe in die Poesie, die verstörten, die verärgerten. Das „Nest von jungen Wasserraten im Haar Ophelias“[2], die „Krebsbaracke“[3] oder es sitzt Günter Eich verseschreibend auf der Latrine „über stinkenden Graben/Papier voll Blut und Urin/umschwirrt von funkelnden Fliegen“[4] wurden Gedicht. Wer will das noch lesen? Wen wunderts, dass sich die Leser von Gedicht abwandten, dem Roman zu. Der Trivialität ein Ohr schenkten. Und doch: Das nachweisbare Ereignis des Hässlichen im Gedicht widerlegt das Prinzip Peter von Matts nicht, dass das Gedicht schön sein will. Aber, ich kehre zu Peter von Matt (siehe Fußnote 1) zurück und zitiere: „Warum Ärgernis? Wir haben es uns bequem eingerichtet mit der Regel, dass Kunst wahr sein müsse, die Wahrheit aber nach dem Kenntnisstand des  20. Jahrhunderts keineswegs „schön“ sei. Wahr könne nur sein, was nicht schön ist. Also ist, was schön ist, nicht wahr, ist Lüge.“
Ist daher eine Kunstform, die in ihrem Innersten eigentlich schön sein will, ist sie daher verlogen von Grund auf?
Kehren wir zurück zu Ilse Brem. Zu dem eingangs zitierten Satz. So aneinander gereiht, stehen die Worte unpoetisch da. Ein Stehsatz, eine Allerweltsweisheit, wenn man versucht, das den Jungen heute mitzugeben, kann es passieren, dass man im besten Fall mitleidige Blicke bekommt. Im besten Fall! Also, warum diesen Satz aus einem Gedicht gerissen. Bei Georg Büchner steht einmal (Dantons Tod) wenn die Masken herunter gerissen werden, geht auch das Gesicht mit. Was reißen wir mit, wenn wir einen einzelnen Satz hernehmen? Der schnelle Leser würde sagen: Wo ist da die Poesie? Das ist nüchterne Prosa, das ist ein Großvatersatz, dem Enkel auf den Weg mitgegeben. Doch, nehmen wir das ganze Gedicht einmal her:

            Alltäglicher Bericht

Die Kinder haben selber Kinder,
ihre eigenen Verletzungen
und Vorstellungen vom Leben.

Den Eltern und Großeltern geht es gut
Ruhen sorgenfrei unterm Moos
Auf grauem Stein.

Unsere Freunde und Feinde
Stehen mit uns
Auf der Abschussrampe.

Wem kalt ist,
dem erklärt man,
dass Frieren zum Leben gehört.

Und urplötzlich baut sich eine Welt, ein Universum auf. Ein einfacher, vollkommen poesieloser Satz, ein von Trivialität triefender, möchte man fast sagen, wird Bestandteil eines Kosmos.

Ilse Brem gelingt es immer wieder, mit derart einfachen Sätzen, die allein gelassen nichtssagend bleiben würden (die Kinder haben selber Kinder – no na möchte man ausrufen) die Welt zu bauen, sie darzustellen. Es ist nicht leicht, für jemand der auch daran geschult ist, die Gedichte der Moderne und der Postmoderne zu lesen, Ilse Brem gerecht zu werden. Sehr schnell könnte man mit dem Attribut „altbacken“ daher kommen. Und damit einer Dichterin unrecht tun. Wie unrecht, an einem weiteren Beispiel aus dem selben Band: „unbemerkt bleibt der Engel/der gegen Abend/den schwarzen Strand kühlt.“ (Teneriffa S 52).
Um Gottes Willen, ein Gedicht über Teneriffa würde man im ersten Schreck ausrufen. Denkt dabei unwillkürlich an die Aquarelle malenden Hausfrauen, die sich selbstbestimmend – oder danach suchend – über die Lande ergießen. Toskana, Balearen, Teneriffa, es bleibt kein Landstrich verschont. Und Wochen später dürfen Kulturreferenten, vielleicht sogar Bürgermeister, in jedem Fall aber Volkshochschulkursleiter Vernissagen eröffnen. Und nun auch noch ein Gedicht über Teneriffa! Warum nicht gar über Venedig? Doch, was ist mit dem Gedicht von Ilse Brem? Das Meer wird plötzlich zu einem grünblauen Fischschuppenmuster die Luft wird von schrillen Schreien der Seemöwen geschliffen. Und Teneriffa wird zum Universum. Abgehoben von den „Schatten der Drachenbäume“ entstehen Bilder von beeindruckender Schönheit. Teneriffa? Einzig der Drachenbaum als Spezifikum? Und das Versprechen der Liebenden, das in den Sand des Vergessens fällt. Schade, dass Lieschen das nicht mehr liest. Aber sie hat ja den Brunnenrand verlassen. Sie wird nie erfahren, wie das ist, wenn „Kommt/ eine mühsame Zeit/wird uns/das schüttere Laub/keine Last abnehmen.//Leugnen/beharrlich/die Wahrnehmungen// um unser Gleichgewicht/zu retten.[5]

Ja, könnte man sagen, das ist schon richtig, aber die Sprache ist doch der Vergangenheit entlehnt. Da gibt es nichts Neues, keine Innovationen, keine Neuschöpfungen. Sehr brav und bieder, gut gemacht. Aber vom Hocker reißen die Gedichte nicht! Darauf zu antworten ist leicht: Müssen sie das? beziehungsweise, sie tun das doch! Schau nach, „Licht am Horizont“ Seite 78 „Am Friedhof“ Da steigt der „Rauch aus einem Schornstein mit dem Namen Gewesener// hier wurde Gemeinschaft/wo im Leben einst/der Bruderblick/das Schwesterlächeln fehlte.“ Das, verehrte Leser der Gedichte von Ilse Brem, das ist neu, das ist Ungeheuer! Da bedauert der heutige Leser, das Lieschen (Müller oder sonst eine) schon aufstand, die Laube verließ und keine Gedichte mehr zur Hand nimmt.

Ich erlaube mir ein Resümee:
Ilse Brem, natürlich nicht in der unmittelbaren Nachfolge eines Günter Eich, eines Ernst Jandl auch nicht einer Mayröcker. Ich stelle die Frage, warum sind die Gedichte der Ilse Brem in den „Manuskripten“ nicht vertreten? Im Vergleich zu manchen, der dort veröffentlichten Gedichte - oder soll ich sagen Poesieexperimente? - sind die Gedichte von Ilse Brem pralle Lyrik aus dem und im Leben. Es ist selten geworden, Derartiges heute zu lesen, macht Freude, ohne Nostalgie zu wecken! Das muss erst jemand können: solide gearbeitete Texte, frei von unnötigen Modernismen im heutigen Leben stehend, aus diesem greifend, dieses kommentierend, so zu schreiben!

Kapfenberg, 5. September 13
Hans Bäck




[1] Peter von Matt, Die verdächtige Pracht; Hanser 1998
[2] Georg Heym: Das Lyrische Werk, München 1977
[3] Gottfried Benn, sämtliche Werke, Stuttgart, 1986
[4] Günter Eich,  die Maulwürfe Frankfurt/M 1991
[5] Ilse Brem Unter einem fremden Himmel S 69

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