Unter einem fremden
Himmel
Licht am Horizont
Nur ein kurzer
Flügelschlag
„Wem kalt ist, dem erklärt man, dass Frieren zum Leben
gehört“
Das sind drei Zeilen eines Gedichtes aus dem Band „nur ein
kurzer Flügelschlag“
Dabei stellt sich für mich das Problem dar:
Die Gedichte sind schön und gut gemacht, sie entsprechen
durchaus dem Postulat Peter von Matts: „Es gibt zwei Grundtatsachen, die allen
Gedichten eingeschrieben sind: Erstens will das Gedicht schön sein - auch wenn
das ein Dorn im Auge des regierenden Kunstbegriffs ist, und zweitens will es
vollkommen sein: Die Sekunde der Vollkommenheit in Dauer verwandeln“[1]
Früher war es vollkommen klar, die Nymphe im Brunnen, das
Mädchen am Brunnen, die Rosen im Haag, der Vollmond über de Weiden, aus denen
der weiße Nebel steigt. All das war klar ersichtlich und wurde geschrieben und
gedichtet. Wobei sich natürlich die Frage erhebt, wann war denn das „früher“?
Im vorigen Jahrhundert, also von 1900 bis 2000 oder im Jahrhundert davor oder
noch früher? In der Romantik, in der Klassik, im Barock? War das Früher
vielleicht gar schon zur Zeit der alten Römer oder der Frau Ava? Jedenfalls,
früher, da war alles anders, klarer, verständlicher und besser sowieso. Auch
die Poesie. Der Vollmond war noch jungfräulich, die Metaphern noch
unverbraucht, die Wanderer hockten zwischendurch auf den Bäumen, mit der Geige
in der Tasche. In der nächsten Minute fiedelten sie bereits wieder frisch und
fröhlich drauf los, kein Teufel kümmerte sich um Nachstimmen der Saiten. Das
Bild reichte vollkommen. Man las und war vergnügt. Und gereimt hatte sich auch
alles. Kunstvoll wurden immer weitere und komplizierte Versformen gesucht und gefunden. Damit zog
die Künstlichkeit in die Poesie ein. Unwiderruflich! Das Gedicht wurde daran
gemessen, welche neuen Worte es für bekannte Bilder fand. Der Dichter wurde
danach beurteilt, wie er Altbekanntes so verpackte, dass der Leser den „aha
Effekt“ erlebte. Zwangsläufig einher ging damit eine Reduktion der Leserschaft.
Lieschen (ob Müller oder eine andere spielt keine Rolle) fand sich nicht mehr
in der Laube mit dem Sticktuch oder am Brunnen sitzen, mit der Katze spielend.
Plötzlich kamen Begriffe in die Poesie, die verstörten, die verärgerten. Das
„Nest von jungen Wasserraten im Haar Ophelias“[2], die
„Krebsbaracke“[3] oder es sitzt Günter Eich
verseschreibend auf der Latrine „über stinkenden Graben/Papier voll Blut und
Urin/umschwirrt von funkelnden Fliegen“[4]
wurden Gedicht. Wer will das noch lesen? Wen wunderts, dass sich die Leser von
Gedicht abwandten, dem Roman zu. Der Trivialität ein Ohr schenkten. Und doch:
Das nachweisbare Ereignis des Hässlichen im Gedicht widerlegt das Prinzip Peter
von Matts nicht, dass das Gedicht schön sein will. Aber, ich kehre zu Peter von
Matt (siehe Fußnote 1) zurück und zitiere: „Warum Ärgernis? Wir haben es uns
bequem eingerichtet mit der Regel, dass Kunst wahr sein müsse, die Wahrheit
aber nach dem Kenntnisstand des 20.
Jahrhunderts keineswegs „schön“ sei. Wahr könne nur sein, was nicht schön ist.
Also ist, was schön ist, nicht wahr, ist Lüge.“
Ist daher eine Kunstform, die in ihrem Innersten eigentlich
schön sein will, ist sie daher verlogen von Grund auf?
Kehren wir zurück zu Ilse Brem. Zu dem eingangs zitierten
Satz. So aneinander gereiht, stehen die Worte unpoetisch da. Ein Stehsatz, eine
Allerweltsweisheit, wenn man versucht, das den Jungen heute mitzugeben, kann es
passieren, dass man im besten Fall mitleidige Blicke bekommt. Im besten Fall!
Also, warum diesen Satz aus einem Gedicht gerissen. Bei Georg Büchner steht
einmal (Dantons Tod) wenn die Masken herunter gerissen werden, geht auch das
Gesicht mit. Was reißen wir mit, wenn wir einen einzelnen Satz hernehmen? Der
schnelle Leser würde sagen: Wo ist da die Poesie? Das ist nüchterne Prosa, das
ist ein Großvatersatz, dem Enkel auf den Weg mitgegeben. Doch, nehmen wir das
ganze Gedicht einmal her:
Alltäglicher
Bericht
Die Kinder haben selber Kinder,
ihre eigenen Verletzungen
und Vorstellungen vom Leben.
Den Eltern und Großeltern geht es gut
Ruhen sorgenfrei unterm Moos
Auf grauem Stein.
Unsere Freunde und Feinde
Stehen mit uns
Auf der Abschussrampe.
Wem kalt ist,
dem erklärt man,
dass Frieren zum Leben gehört.
Und urplötzlich baut sich eine Welt, ein Universum auf. Ein
einfacher, vollkommen poesieloser Satz, ein von Trivialität triefender, möchte
man fast sagen, wird Bestandteil eines Kosmos.
Ilse Brem gelingt es immer wieder, mit derart einfachen
Sätzen, die allein gelassen nichtssagend bleiben würden (die Kinder haben
selber Kinder – no na möchte man ausrufen) die Welt zu bauen, sie darzustellen.
Es ist nicht leicht, für jemand der auch daran geschult ist, die Gedichte der
Moderne und der Postmoderne zu lesen, Ilse Brem gerecht zu werden. Sehr schnell
könnte man mit dem Attribut „altbacken“ daher kommen. Und damit einer Dichterin
unrecht tun. Wie unrecht, an einem weiteren Beispiel aus dem selben Band:
„unbemerkt bleibt der Engel/der gegen Abend/den schwarzen Strand kühlt.“
(Teneriffa S 52).
Um Gottes Willen, ein Gedicht über Teneriffa würde man im
ersten Schreck ausrufen. Denkt dabei unwillkürlich an die Aquarelle malenden
Hausfrauen, die sich selbstbestimmend – oder danach suchend – über die Lande
ergießen. Toskana, Balearen, Teneriffa, es bleibt kein Landstrich verschont.
Und Wochen später dürfen Kulturreferenten, vielleicht sogar Bürgermeister, in
jedem Fall aber Volkshochschulkursleiter Vernissagen eröffnen. Und nun auch
noch ein Gedicht über Teneriffa! Warum nicht gar über Venedig? Doch, was ist
mit dem Gedicht von Ilse Brem? Das Meer wird plötzlich zu einem grünblauen
Fischschuppenmuster die Luft wird von schrillen Schreien der Seemöwen
geschliffen. Und Teneriffa wird zum Universum. Abgehoben von den „Schatten der
Drachenbäume“ entstehen Bilder von beeindruckender Schönheit. Teneriffa? Einzig
der Drachenbaum als Spezifikum? Und das Versprechen der Liebenden, das in den
Sand des Vergessens fällt. Schade, dass Lieschen das nicht mehr liest. Aber sie
hat ja den Brunnenrand verlassen. Sie wird nie erfahren, wie das ist, wenn „Kommt/
eine mühsame Zeit/wird uns/das schüttere Laub/keine Last
abnehmen.//Leugnen/beharrlich/die Wahrnehmungen// um unser Gleichgewicht/zu
retten.[5]
Ja, könnte man sagen, das ist schon richtig, aber die
Sprache ist doch der Vergangenheit entlehnt. Da gibt es nichts Neues, keine
Innovationen, keine Neuschöpfungen. Sehr brav und bieder, gut gemacht. Aber vom
Hocker reißen die Gedichte nicht! Darauf zu antworten ist leicht: Müssen
sie das? beziehungsweise, sie tun das doch! Schau nach, „Licht am Horizont“ Seite
78 „Am Friedhof“ Da steigt der „Rauch aus einem Schornstein mit dem Namen
Gewesener// hier wurde Gemeinschaft/wo im Leben einst/der Bruderblick/das
Schwesterlächeln fehlte.“ Das, verehrte Leser der Gedichte von Ilse Brem, das
ist neu, das ist Ungeheuer! Da bedauert der heutige Leser, das Lieschen (Müller
oder sonst eine) schon aufstand, die Laube verließ und keine Gedichte mehr zur
Hand nimmt.
Ich erlaube mir ein Resümee:
Ilse Brem, natürlich nicht in der unmittelbaren Nachfolge
eines Günter Eich, eines Ernst Jandl auch nicht einer Mayröcker. Ich stelle die
Frage, warum sind die Gedichte der Ilse Brem in den „Manuskripten“ nicht
vertreten? Im Vergleich zu manchen, der dort veröffentlichten Gedichte - oder
soll ich sagen Poesieexperimente? - sind die Gedichte von Ilse Brem pralle
Lyrik aus dem und im Leben. Es ist selten geworden, Derartiges heute zu lesen,
macht Freude, ohne Nostalgie zu wecken! Das muss erst jemand können: solide
gearbeitete Texte, frei von unnötigen Modernismen im heutigen Leben stehend, aus
diesem greifend, dieses kommentierend, so zu schreiben!
Kapfenberg, 5. September 13
Hans Bäck
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