Samstag, 11. Juli 2015

Die 39. Tage der deutschsprachigen Literatur '15


Ein zusammenfassender Bericht von Reinhard Mermi 

auch in diesem Jahr verschwand der eine oder andere Text (samt Autor) im Dunkel des Dreiecks gebildet von den Eckpunkten aus Frankfurter Würstchen, Affenhitze und Bonsai-Barock oder wurde - so der Autorin Teresa Präauer mit ihrem Text "Oh, Schimmi!" bei der Preisvergabe geschehen - einfach durchgereicht. "Immergrüner Psychoterror" betitelte dann auch am 8. Juli die FAZ in ihrem Feuilleton das Wettlesen um den heurigen Bachmannpreis passend. Dort in Klagenfurt, das bekanntlich in Österreich am schönen Wörthersee liegt, wo man keine Wiener sondern "Frankfurter Würstchen" im ORF-TheaterCafé verspeist (man ißt bekanntlich keine Landsleute auf), dort bekamen bei sommerlicher Affenhitze gleich mehrere Autoren von der Jury sprichwörtlich "ihr Fett weg": Von "Bonsai-Barock" oder auch einem "riesigen Floskel-Haufen" war da zeitweise die Rede.

Doch bekanntlich kommt es anders als ...!

Teresa Präauer - hier während ihrer Lesung zu sehen -
vermochte sich mit ihrem Text "Oh, Schimmi" schluss-
endlich doch nicht durchzusetzen  - (c) ORF / Johannes Puch

Apropos "Affen..." zu einem solchen - und nicht nur im sprichwörtlichen Sinn - machte sich in Präauers Text auch der verschmähte Liebhaber, frei nach dem Motto: "Lass mich dein Primat sein" (so getitelt auch von Gerrit Bartels in "Der Tagesspiegel" vom 4. Juli). Von „Zauberstück auf offener Bühne“ bis „unglaubliche Lockerheit beim Erzählen“ reichte das Lob für Präauer, die erzählte, oder noch mehr: Ihren "verdrehten" Text mit den darin enthaltenen Popkultur-Elementen gekonnt performte: "Wir", sage ich zu Ninni, "du und ich", und ich sage es sehr ruhig, "wir sind füreinander gemacht. Die Ninni und ihr Aff." Love, Laff, Laff.
Die Jury war des Lobes voll, und so dachte man am letzten Lesungstag (Samstag), mit Teresa Präauer die diesjährige Bachmannpreisträgerin gefunden zu haben....

Geteiltes Leid ist halbes Leid! 


Ein ähnliches Los ereilte die schweizer Autorin Monique Schwitter, die auf Einladung von Hildegard E. Keller am 2. Lesungstag, nach Präauer, gelesen hatte, und ebenfalls als eine aussichtsreiche Kandidatin für den diesjährigen Bachmannpreis gehandelt wurde. In ihrem Text "Die Esche" muss ein homosexueller Mann entscheiden, ob seine demente Mutter auf einem Friedwald begraben werden soll.


Monique Schwitter las am 2. Lesungstag auf Einladung der
Jurorin Hildegard E. Keller nach Teresa Präauer ihren
aussichtsreichen Text mit dem Titel: "Die Esche".  - (c) ORF / Johannes Puch
Dabei zeigt sich im Laufe dieser "schrägen Geschichte", dass es nicht nur bei der  elterlichen "Ménage à trois" im Umfeld der Geschehnisse bleibt. Die Jurorin Sandra Kegel war  „interessiert und fasziniert“ und auch Klaus Kastberger - der "Bad Guy" unter den Juroren -  fand gut, dass in der Handlung immer etwas Neues hinzukomme, die Begebenheiten seien „genau richtig schräg“ und erfreut stellte er fest, dass nicht nur die Autorin, sondern auch ihr Text frech seien und „eine Schnauze haben“.

Und die Verlierer:


Jürg Halter, Bern - Autor und Performance-
künstler - (c) ORF / Johannes Puch
Weitgehend enttäuschend waren die diesjährigen Beiträge der sich ohnehin in der Minderzahl befindlichen männlichen Autoren - "lediglich vier(!) von insgesamt vierzehn Autorinnen und Autoren!" - die "sang- und klanglos" im diesjährigen Wettbewerb untergingen; vorweg der schweizer Autor und Performancekünstler Jürg Halter. Er machte am 3. und letzten Lesungstag den Anfang mit dem Text "Erwachen im 21. Jahrhundert" durch den er mit monotoner Stimme "zwischen 5 Uhr 20 und 7 Uhr 55" schlafwandelte und dabei seine tiefgründigen Beobachtungen und Weisheiten verkündete.
"Was ist nur mit dem Schweizer Mann los?", fragte dann auch Klaus Kastberger (seiner Rolle in der Jury entsprechend) boshaft lächelnd in die Runde – und setzte gleich noch eine kleine Gemeinheit hinzu: Diese Weltverbesserungsprosa sei doch, wie wenn man Jean Ziegler zwei Schlaftabletten gegeben hätte.


Der 3sat-Preis für einen groß angelegten literarischen Text -


"Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit", dieser Text erzählt die Geschichte und die politische Wende Rumäniens anhand der Kindheits- und Jugenderinnerungen und des aktuellen Lebens einer Frau in Bukarest nach. „Der Text ist witzig, sehr gut gelesen, hat einen gewissen Twist, den man nicht auf den ersten Blick erkennt, dadurch wird er zu einer herrlichen Satire in drei Etappen“, das war die Meinung des Juror Hubert Winkels über den Text der Autorin Dana Grigorcea, die auf Einladung von Hildegard E. Keller las, und fügte noch hinzu: „Besser kann man die Geschichte Rumäniens fast nicht erzählen“. Sandra Kegel wiederum erspürte aus dem Text einen "märchenhaften" Grundton, dessen ironische Art sie anrührend erreicht habe.

Preisverleihung: Dana Grigorcea (Bildmitte) - (c) ORF / Johannes Puch
 Eine Komödie und zugleich Tragödie erkannte Stefan Gmünder und bescheinigte dem Text, dass hier „in der Schwere der Erzählung eine Leichtigkeit mitschwinge“. Auf Platz 3 in seinem persönlichen „Der-beste-erste-Satz-Ranking“reihte Kastberger den Satz „Rapineu wohnte zwei Straßen entfernt und war Vaters Schulfreund“ ein. "Der Satz sage ihm, dass der folgende Text über 800 Seiten gehen könnte und deute auf einen großen Gesellschaftsroman hin". Lob auch von seiner Seite für die unterschiedlichen Stimmlagen in der Geschichte sowie im Vortrag.

Kelag-Preis und BKS-Publikumspreis:

Auch wenn's nicht der Bachmannpreis wurde - Die Grazerin Valerie Fritsch konnte sich letztendlich freuen! Sie las den Text „Das Bein“. Eine Vater-Sohn-Geschichte über einen alten Mann, dessen Bein amputiert wurde und seinen Sohn, der erkennen muss, dass sein Vater wohl bald sterben wird - ein Text über die Vergänglichkeit des Lebens. "Er kam heim wie alle Kinder, zu spät, alt, dem falschen Anlass folgend, schon an der Tür mit der Ahnung einer Vergeblichkeit, von der er nicht wusste, was ihr zugrunde lag." - Bereits der erste Satz ließen die Eindringlichkeit des Textes, seine bildhaften Beschreibungen und seine literarische Qualität erahnen, und so zeigte sich auch Meike Feßmann in ihrer Eigenschaft als Jurorin berührt von der Handlung der Geschichte, eine „seltene Mischung aus kühler Souveränität und überraschender Einfühlsamkeit“.Von "schmerzender Scham" des Vaters ob des fehlenden Beins war die Rede: "Der Stumpf war ihm ein Geheimnis, das er mit niemandem teilen mochte, eine Intimzone, die er beschützte und so sorgfältig versteckte wie sein Geschlecht."


Lesung: Valerie Fritsch - (c) ORF / Johannes Puch
Valerie Fritsch las auf Einladung von Klaus Kastberger. Der Juror bezeichnete ihren Text als „literarischsten Text, den wir bisher gehört haben. Ein Text, der sich in lange literarische Traditionen hinein begibt“. So könne es mit Literatur weitergehen, meinte Kastberger, und sah die junge Autorin in den Spuren von Ingeborg Bachmann.
Große Zustimmung gabs auch von Stefan Gmünder (Juror), für die aus seiner Sicht ebenfalls stimmigen Bilder und Metaphern sowie für die insgesamt „meisterhafte“ Arbeit der Autorin. Gmünder: Der Text wirke auf ihn „wie eine literarische Patience die ausgespielt wird“, und er fügte hinzu: „Es ist sehr schwer, gegen diesen Text etwas vorzubringen.“ Leiser Widerspruch regte sich nur bei Hubert Winkels (Leiter der Jury) - jedoch nur „ganz milde“ - wie er sich ausdrückte. Winkels: Der Text habe ein überschaubares Terrain und sei für die Rettung der Literatur nicht in Anspruch zu nehmen. Winkels: „Es ist ein guter Text. Aber das ist es dann auch.“ Seiner Meinung nach handelt es sich um eine „ödipale Geschichte“ mit überschaubarer „allegorischer Dichte“. Und es gebe durchaus ein paar Dinge, die ihn stören, die „zu dick aufgetragen“ seien.

Kastberger betonte abschließend noch einmal, schon im Hinblick auf die Preisverleihung und mit einem Augenzwinkern, die große Leistung des Textes und seine „Gegenwärtigkeit“. Er kenne nicht viele solcher Texte und hoffe, dass beim Abstimmen am Sonntag niemand von seinen Jury-Kollegen vergesse, was jetzt gesagt wurde. Er habe - zur Sicherheit - mitgeschrieben.

Die Bachmann-Preisträgerin '15:

Nora Gomringer las auf Einladung von Sandra Kegel ihren Text "Recherche". In einem mehrstöckigen Wohnhaus stürzte sich ein 13-jähriger, vermutlich homosexueller, Bub, vom Balkon. Eine Frau will mehr herausfinden über die Umstände dieses Selbstmordes und recherchiert.

Nora Gomringers Text löste im Publikum langen Applaus und Jubel aus. Die Jury diskutierte um existenzielle Fragen wie der nach Literatur in der Cloud. Nora Gommringer performte gekonnt mit unterschiedlichen Stimmen ihren Textvortrag gleich einer Poetry Slammerin. Die veranlasste Kastberger, der der Autorin eine "glänzende Performace" bescheinigte, die Fragestellung aufzuwerfen, ob der Text ohne laut vorgelesen (und performt) zu werden, dieselbe Wirkung erzielen würde. Würde der Text außerhalb dieser Lesung - ohne "tddl" - bestehen? Habe doch Gomringer quasi „als Medium den Text aus der Cloud geholt um ihn uns vorzutragen.“

"In Performance": Nora Gomringer  -  (c) ORF / Johannes Puch
Jury-Vorsitzender Hubert Winkels verglich die Lesung mit einem Hörspiel und empfand sie als „großartig und abwechslungsreich“. Er thematisierte die veränderte Mediensituation in der Literatur. Schon lange gäbe es Diskussion darüber, inwiefern sich das Publikum und die Jury von der Art des Vortrages beeinflussen lassen und Meike Feßmann sah ein „kategoriales Problem“ darin. Gomringers Geschichte sei „als Text nicht so wirksam wie als Performance“. Alle waren sich einig, dass sich die Rezeption von Literatur mit den neuen Medien verändert habe - gleiche Chancen für alle Autoren und Vortragende.
Sandra Kegel, die Nora Gomringer eingeladen hatte, verortete den Beitrag als „Verstörungskomödie“, und sah „einen meisterlich komponierter Text“. Winkels fand darüber hinaus auch Gefallen am „jandlhaften Sprachspielgedicht“ im letzten Teil der Lesung und Gmünder schloss sich den positiven Kommentaren an: „Genial gemacht“, lautete sein knapper Kommentar. Er schätze die vielen Figuren in der Handlung.



Im Bild: Dana Grigorcea, der Moderator
Christian Ankowitsch, Nora Gomringer,
Valerie Fritsch. -  (c) ORF / Johannes Puch

Und im Nachhinein scheint alles gut:

"Am Ende gewinnt die Zauberkünstlerin" so titelte Wiebke Porombka, Klagenfurt, in der "Zeit-Online" am 5. Juli und schrieb weiters: "So viele gute Texte für so wenige Preise: Der Jahrgang des diesjährigen Bachmann-Wettbewerbs war ungewöhnlich stark." - Dem kann man sich nur anschließen. 

Vielleicht noch eines zum Nachdenken: "Literatur, die (*weiblich)" - titelte das Meinungsmedium "der Freitag" am 7. Juli und Anne Utz, Mitglied in der Freitag-Community, blogte: "#tddl Selbstverständlich hat eine Frau den Bachmannpreis gewonnen. Die Männer werden sich noch umschauen, wenn die Frauen sie überholen."





 

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