Sonntag, 19. Januar 2014

Sonntagsgedicht - 19.01.2014




Anleitung




Wenn Sie ein Gedicht lesen,

dann lesen Sie es am besten so,

sehen Sie, so.

Selbstverständlich können Sie

es auch anders lesen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten.

Beispielsweise so.

Oder so.

Ich habe einen Mann gekannt,

der Gedichte so las.

Aber er war eine Ausnahme.

Die meisten lesen Gedichte so.

Ja, genau so.

Haben Sie schon einmal

ein Gedicht so gelesen?

Nein, nicht so, sondern so.

ich sage ihnen, es bringt nicht viel,

wenn man ein Gedicht so liest.

Man liest es besser so.

Verbindliche Regeln gibt es nicht.

Aber glauben Sie mir:

Sie haben mehr von einem Gedicht,

wenn Sie es so lesen —

sehen Sie, so.



Axel Kusch

Sonntag, 12. Januar 2014

Das Sonntagsgedicht - 12.01.2014



Zeitspuren



Der Abend neigt sich
still und stumm,
bedächtig starr,

weiß nicht warum.

Da kommt mir plötzlich
in den Sinn,
dass ich

ein Daseinssucher bin,

der ständig

durch den Alltag hetzt:

Grad dadurch
seine Zeitspur setzt!


Richard Mösslinger 


Hier könnte auch Dein Gedicht oder Text stehen.
Die Redaktion.

Sonntag, 5. Januar 2014

Das Sonntagsgedicht - 05.01.2014










Das Karussell
Jardin du Luxembourg

    Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
    sich eine kleine Weile der Bestand
    von bunten Pferden, alle aus dem Land,
    das lange zögert, eh es untergeht.
    Zwar manche sind an Wagen angespannt,
    doch alle haben Mut in ihren Mienen;
    ein böser roter Löwe geht mit ihnen
    und dann und wann ein weißer Elefant.

    Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
    nur daß er einen Sattel trägt und drüber
    ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

    Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
    und hält sich mit der kleinen heißen Hand,
    dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

    Und dann und wann ein weißer Elefant.

    Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
    auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
    fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
    schauen sie auf, irgendwohin, herüber -

    Und dann und wann ein weißer Elefant.

    Und das geht hin und eilt sich, daß es endet,
    und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
    Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
    ein kleines kaum begonnenes Profil –.
    Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
    ein seliges, das blendet und verschwendet
    an dieses atemlose blinde Spiel ...

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)


Hier könnte auch Dein Gedicht oder Text stehen.
Die Redaktion.

Mittwoch, 1. Januar 2014

Prosit Neujahr!





Allen Literaturfreunden und Lesern unseres Blogs wünsche ich ein gutes und friedvolles Neues Jahr!



Man nehme 12 Monate, putze sie sauber von Neid, Bitterkeit, Geiz, Pedanterie und zerlege sie in 30 oder 31 Teile, so daß der Vorrat für ein Jahr reicht. Jeder Tag wird einzeln angerichtet aus 1 Teil Arbeit und 2 Teilen Frohsinn und Humor. Man füge 3 gehäufte Eßlöffel Optimismus hinzu, 1 Teelöffel Toleranz, 1 Körnchen Ironie und 1 Prise Takt. Dann wird die Masse mit sehr viel Liebe übergossen. Das fertige Gericht schmücke man mit Sträußchen kleiner Aufmerksamkeiten und serviere es täglich mit Heiterkeit.

Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808), Mutter v. Johann Wolfgang von Goethe