Sonntag, 9. Dezember 2012

Die ungleichen Kinder Evas



(Märchen aus der Steiermark)

Adam und Eva hatten eine sehr große Familie, die Zahl ihrer Kinder belief sich auf neunhundert. Da kam einstmals Gott, sie zu besuchen. Eva schämte sich, Gott einzugestehen, daß sie Mutter so vieler Kinder sei; sie nahm ihre neunhundert Kinder, verbarg fünfhundert derselben und zeigte Gott nur die andern vierhundert. Doch Gott in seiner Allwissenheit erkannte sogleich das Wahre und beschloß, Eva dafür zu strafen. Er befahl ihr, auch die verborgenen Kinder vorzuführen und verhieß den vierhundert, welche ihm Eva gezeigt hatte, daß ihre Nachkommen reich, wohlhabend und glücklich werden sollten; die fünfhundert andern Kinder aber, welche Eva verborgen hatte, sollten die Eltern der armen und unglücklichen Menschen werden. Und so geschah es: Die Glücklichen und Reichen dieser Welt stammen von den vierhundert Kindern, welche Eva Gott freiwillig vorführte, und die Unglücklichen und Armen sind die Nachkommen der fünfhundert Kinder Adams und Evas, welche vor Gott verborgen werden sollten.

Quelle: Germania, Vierteljahresschrift für deutsche Alterthumskunde 10, 1865, S. 429

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