Gedichtüberschriften
Ging es im ersten Beitrag (2010) darum, dass Gedichtüberschriften mittels Wechselbezügen ein Spannungsverhältnis zum Gedicht aufbauen können, so geht es diesmal um Gedichtüberschriften,
die entweder auf das Objekt oder auf das Erleben hinweisen. So kann das im Titel genannte Thema anhand vieler Beispiele entfaltet und variiert werden, so z.B. in Goethes nachfolgendem Gedicht:
Nähe des Geliebten
Ich
denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich
denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.
Ich
sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
In
tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.
Ich
höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im
stillen Haine geh ich oft zu lauschen
Wenn alles schweigt.
Ich
bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die
Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
O wärst du da!
Die
Gedichtüberschrift kann aber auch die Situation oder den Anlass für die
Entstehung des Gedichts aufzeigen, so wie in Eichendorffs Gedicht „Mondnacht“,
das über die Beschreibung einer mondhellen Frühsommernacht hinaus die Sehnsucht
nach Heimat und Frieden thematisiert:
Mondnacht
Es war, als hätt
der Himmel
Die Erde still
geküsst,
Dass
sie im Blütenschimmer
Von
ihm nun träumen müsst.
Die
Luft ging durch die Felder,
Die
Ähren wogten sacht
Es
rauschten leis die Wälder,
So
sternklar war die Nacht
Und
meine Seele spannte
Weit
ihre Flügel aus,
Flug
durch die stillen Lande,
Als
flöge sie nach Haus.
Interessant,
weil es auf eine andere Wirkung zwischen Überschrift und Text abzielt, ist das
nachfolgende Gedicht von Erich Kästner:
Sachliche Romanze
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
In
diesem Gedicht fällt sofort das Oxymoron in der Überschrift deutlich ins Auge.
In Verbindung mit der sarkastischen Bemerkung aus Vers 2: „und man darf
sagen: sie kannten sich gut“, bekommt das Gedicht in Verbindung mit dem
Widerspruch aus der Überschrift einen unwirklich wirkenden Charakter bzw. wirkt
verharmlosend. Kästner gelingt es, den Inhalt seines Gedichts ironisch –
sarkastisch wirken zu lassen. Sein Gedicht ist ein Beispiel dafür, dass gerade auch
mit dem Widersprüchlichen eine Spannung zwischen Überschrift und Text mit
„großer Wirkung“ erzielt werden kann.
Abschließend darf ich auf das Seminarangebot des ELKK für das kommende Jahr hinweisen.
Das war's bis zum nächsten Mal!
Reinhard Mermi
Redaktion
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