Nächstes Jahr im Küstenland
Christine Casapicola, Edizioni Braitan
Ein rundum gelungener Relaunch – wie man neudeutsch sagen
würde – eines früher sehr schmalen Büchleins aus der Reihe „Europa erlesen“
Ein, nein,
kein Reiseführer, auch keine historische Abhandlung über ehemals
österreichisches Gebiet, auch keine Beschreibung einer Reise von einer
historischen oder kulinarischen oder kunsthistorischen Stätte zur anderen. Und
doch, das alles und noch viel mehr. Sagen wir so, eine Liebeserklärung an einen
Landstrich, der von mehrhundertjähriger österreichischer Verwaltung,
Herrschaft, Ordnung oder auch Besatzung und Unterdrückung, je nachdem aus
welchem Blickwinkel man hinschaut, geprägt ist. Eine Liebeserklärung an kleine
Städte, urige Bauerndörfer, verschwiegene Karsthöhen und –höhlen, an eine
vergangene Zeit, in der man noch auf Formen Wert legte. Ob es sich um den
Kirschgarten der Monarchie handelt, die Käuze der Stadt Triest, das Überleben
im Karst, die Sommerfrische an der Riviera Österreichs in Grado, egal, die
Autorin schlägt hier Seiten einer Vergangenheit auf, die genau vor hundert
Jahren zu Ende ging. Das Schulwesen in Görz, immerhin noch immer die letzte
geteilte Stadt Europas, das Boramuseum in Triest, den Thunfischfang vor
Sistiana, den Pikolit, den Teran, den Karstschinken, das Olivenöl der
slowenischen Bauern, es gibt kaum etwas, was die Autorin in diesem kleinen
Kosmos ausklammert. Sie scheut sich auch nicht, das nicht immer friktionsfreie
Zusammenleben der verschiedenen Völker auf kleinstem Raum zu schildern. Das
Beispiel des Weinbauern aus dem Collio, der von Kaiser Franz Josef über
Vittorio Emmanuele II hin zu Kaiser Karl, wieder zurück zu Vittorio Emmanuele,
weiter zu Mussolini, mit einem Zwischenspiel von Josip Broz Tito und dem
amerikanischen Präsidenten bis endlich dann der italienische Staatspräsident
mit seinem Portrait über dem Küchentisch hing, sagt mehr aus, als umfangreiche
historische Darstellungen.
Ein wenig
Sehnsucht nach Monarchie, Adel oder Nobile ist herauszuspüren, aber das ist in
einem Landstrich, der so von den Familien geprägt wurde, nicht anders zu
erwarten. Der kleine Landarbeiter, der schuftet um seine Familie durchzubringen
bleibt aber nicht draußen, auch er findet seinen Platz.
Man kann
sich schon vorstellen, als am 5. April 1875 Kaiser Franz Josef in Cormons
Station machte auf seiner Reise nach Venedig, die Schulkinder, die Honoratioren
der Stadt zwei Stunden vorher schon Spalier standen um seine Majestät gebührend
zu begrüßen. Immerhin, damals begann das Ausland genau drei Kilometer westlich
von Cormons, begann das Königreich Italien.
Wollte man
den Stationen der Autorin nachfolgen, die Osmizze, Weinkeller, Agritourismi
kennen lernen, man würde sehr lang brauchen dazu, aber sehr vieles erfahren.
Und es würde nicht nur eine (durchaus empfehlenswerte) Reise zu kulinarischen
Köstlichkeiten werden, sondern man würde eine Landschaft erkunden, die so nahe
ist, die uns so vertraut erscheint, so als ob man heimkommen würde. Nicht
umsonst zitiert die Autorin auch den deutschen, in Triest lebenden
Schriftsteller Veit Heinichen, der sagte, die EU stelle eine österreichische
Verschwörung dar, um all das zurück zu kriegen, das 1918 verloren ging.
Man könnte
ein wenig Kummer bekommen, beim Lesen, beim Aufsuchen der Stätten und Städte,
was da alles verloren ging. Gut, das es solche Bücher gibt, die dabei helfen,
dass das Verlorene nicht auch noch vergessen wird.
Das Gute
ist ja, in drei höchsten vier Stunden sind wir heute im Küstenland und auch die
Grenzen sind kein Problem mehr. Also hat das mit der EU-Verschwörung doch etwas
auf sich?
Hans Bäck
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