Samstag, 4. Oktober 2014

Buchbesprechung




Ein Stern im Béarn


Roman von Claudia Tebel-Nagy


Edition Ausblick, Wien 2014, 
ISBN 978-3903798-18-2


Eine Studentin der Vergleichenden Literaturwissenschaften lernt bei einer Sylvesterparty einen umwerfenden jungen französischen Architekten kennen. Die große Liebe beginnt, solange eben, bis – der Teufel hole die modernen Kommunikationsmittel – sie auf seinem achtlos weggelegten Mobiltelefon eine SMS einer anderen Frau findet.
Es beginnt, was beginnen muss: Seelenschmerz, tiefste Verlassenheit, zu Tode betrübt – man kennt das schon. Ausgewalzt und beschrieben, die beste Freundin als Helferin in der Not, der untreue Architekt, der alles so nicht gemeint haben will. Die Mutter im fernen Rom, na ja hat ihre eigenen Probleme, der verehrte Vater, vor Jahren verstorben, weil er den Stress als Geiger der Berliner Philharmoniker nicht mehr gewachsen war.  Dann kommt da eine weitere französische Familie ins Spiel. Vater Diplomat des Vichy-Regimes im Vatikan, wartet dort die Verjährung der Kollaboration ab bevor er wieder nach Frankreich zurückkehrt. Die Tochter wächst behütet und wohlverwahrt hinter den Vatikanmauern auf – im wahrsten Sinne des Wortes. Erlebt nichts von der Welt, deren Gefahren, Nöten, hat keine Schulkameraden, immer nur von Hauslehrern unterrichtet.
Großer Sprung, die verlassene Studentin folgt einem Therapievorschlag der fernen Mutter und zieht sich ins noch fernere und unbekanntere Department Pyrenées-Atlantique zurück. Eine Freundin der Muter betreibt dort in einem alten Chateau eine Institution mit Kursen für alles Mögliche, auch zur Selbstfindung, auch zur Heilung von Liebeskummer. Nun, das Chateau gehörte der Tochter des Diplomaten, die nun schon hoch in den Achtzigern das Anwesen verkaufte und dort in zwei Räumen lebt. So kommen wir wieder zur Ausgangsperson aus dem Vatikan zurück. Und zufällig – ein paar Zufälle dürfen in jedem Roman vorkommen, ist der untreue Lucas im Nachbardorf des Chateaus beheimatet. Doch, ich will die Story nicht zur Gänze verraten, etwas soll auch dem Leser übrig bleiben, obwohl der Leser/die Leserin zu Recht vermuten darf, dass die verlassene Studentin aus Wien eine neue Liebe findet, der untreue Architekt vergeblich anreist, um seine Sarah zurück zu gewinnen. Das alles ist bekannt und oft gelesen. Man könnte also das Buch zur Seite legen und sich zurück lehnen, vielleicht einen Pastis trinken und darüber nachdenken, warum in manchen Büchern noch immer die Frauen in der ersten Zeit der Liebe „auf Händen getragen werden“ müssen, das Studentenleben wild zu sein hat, es extreme Spannungen geben muss, einzigartige Einfühlungsvermögen erwartet werden, usw. Man wird dem langsam überdrüssig. Dann passiert sogar, dass auf der Seite 10 der junge Franzose Belgrand heißt und eine Seite weiter (und in der Folge dann immer) Durand. Oder dass ein unvorstellbarer GAU geschieht. Das ist bitte unmöglich, das ist so, als ob jemand von einem Regen ohne Wasser schreiben wollte: Ein GAU ist eindeutig der Größte Anzunehmende Unfall! Also anzunehmend und nicht unvorstellbar, das passt hint’ und vorn nicht zusammen. Doch lassen wir das, das sind Dinge die zu korrigieren wären. Warum also doch weiter lesen und sogar, die Nachtruhe deswegen zu verkürzen, um zu wissen – nein, nicht wie es ausgeht, das war sehr bald klar – sondern um zu erfahren, wie die Autorin mit der Sprache umgeht. Und da ist einiges zu bemerken. Es ist eine fast möchte ich sagen, kostbare Sprache. Sie geht sehr sorgfältig mit den Dingen um, die Autorin verbindet geschickt die Wochen der Studentin im Chateau mit der Lebensgeschichte der alten Dame. Eine eigenartige Freundschaft entsteht, die Junge erfährt plötzlich die ganz große Sensation, dass es noch jemand gibt der Briefe handschriftlich verfasst, sechs Seiten lange, und keine Mails oder SMS sendet. Auch andere Ereignisse, Lebenshaltungen lernt sie von der alten Dame kennen. Wenn die ihr beispielsweise erzählt, dass es auch zu ihrer Zeit und in ihrer Familie Ereignisse gab, wie die junge Sarah schmerzlich in Wien erleben musste. Doch der große Unterschied und das macht für die Junge den Erkenntniswert aus, deswegen muss man nicht alles hinwerfen. Altmodische Ideen kommen aufs Tapet. Auch die Sprache bekommt ihren etwas altertümlichen Klang zurück, wenn die beiden miteinander reden. Wenn Madam der Jungen von ihrem Leben erzählt, so erscheinen vor dem Auge des Lesers die dazugehörigen Accessoirs, wie die Spitzendecke auf den Tischchen, die Intarsienarbeit und viele Kleinigkeiten, Kostbarkeiten, die heute als verloren gelten können. Geschickt baut die Autorin diese vergangene Welt in die Gespräche zwischen Jung und Uralt ein, lässt nicht nur ihre Protagonistin sondern auch den Leser diese Preziosen erfahren. Und das ist die eigentliche Entdeckung dieses Buches.

Die Autorin, eine Diplom Journalistin aus Paderborn lebt und arbeitet in Wien und im Burgenland. Der vorliegende Band ist ihr erster Roman nach einer Reihe von Sachbüchern. Für TV entwickelte sie Talkshow-Formate. Diese Erfahrung ist im Buch auch zu erkennen. Das sind die Menschen von heute, die hier auftreten, unbekümmert einerseits, anderseits voll mit Sehnsüchten nach einer Welt, die sie selber gründlich zerstört und aufgegeben haben.

Wem es nicht stört, dass viele Klischees „verbraten“ werden, aber das ist im Sinne des Plots durchaus begründet, der wird an dem Buch Vergnügen finden. Wer Beckmesserisch die Wortungetüme, hoffnungslos mit Adjektiven überfrachtete Landschafts- und Naturschilderungen anstreicht, wird mit dem Buch keine Freude haben. Es ist voll damit. Vielleicht hätte man doch einiges reduzieren können: Muss die Mittagshitze backofenwarm von der Hauswand zurückstrahlen? Oder „Die letzten Sonnenstrahlen schälten sich von den hügeligen Feldern vor den Pyrenäen und die weißen Kühe standen in Gruppen auf den Wiesen, als gehörten sie sich selbst.“ Und das sich die Wellen des Atlantiks in langen weißen Streifen tosend brachen und am Ufer ausrollten, nun das wissen wir sowohl von den einschlägigen Romanen von der Adria, dem Mittelmeer und nun halt auch vom Atlantik.
Aber, wie gesagt, Lektoratsvorschläge und Autorenvorstellungen gehen oftmals nicht konform.

Lesen Sie „Ein Stern im Béarn“ und Sie werden ein schönes Buch erleben, dessen viele schöne Stellen die paar ein wenig ärgerlichen schon aufwiegen können. Vor allem, sie lernen eine Welt kennen (wieder kennen), die uns schon entrückt war, die es aber wert wäre in solchen Erzählungen erhalten zu bleiben. Allein die Schilderung der Ehe der Schloßherrin, dem seinerzeitigen jungen Mädchen hinter den Vatikanmauern ist eine Kostbarkeit, in die man sich vertiefen muss! Vielleicht trotz oder gerade wegen der jungen Menschen von heute, die darin vorkommen, ein unglaublich altmodisches Buch. Und seien wir ehrlich was kann einem Leser im Zeitalter von  Facebook, SMS, Twitter, Apps usw Besseres passieren?

Hans Bäck,
Kapfenberg, Europa Literaturkreis

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