Ein Stern im Béarn
Roman von Claudia Tebel-Nagy
Edition Ausblick, Wien 2014,
ISBN 978-3903798-18-2
Eine Studentin der Vergleichenden Literaturwissenschaften
lernt bei einer Sylvesterparty einen umwerfenden jungen französischen
Architekten kennen. Die große Liebe beginnt, solange eben, bis – der Teufel
hole die modernen Kommunikationsmittel – sie auf seinem achtlos weggelegten
Mobiltelefon eine SMS einer anderen Frau findet.
Es beginnt, was beginnen muss: Seelenschmerz, tiefste
Verlassenheit, zu Tode betrübt – man kennt das schon. Ausgewalzt und
beschrieben, die beste Freundin als Helferin in der Not, der untreue Architekt,
der alles so nicht gemeint haben will. Die Mutter im fernen Rom, na ja hat ihre
eigenen Probleme, der verehrte Vater, vor Jahren verstorben, weil er den Stress
als Geiger der Berliner Philharmoniker nicht mehr gewachsen war. Dann kommt da eine weitere französische
Familie ins Spiel. Vater Diplomat des Vichy-Regimes im Vatikan, wartet dort die
Verjährung der Kollaboration ab bevor er wieder nach Frankreich zurückkehrt.
Die Tochter wächst behütet und wohlverwahrt hinter den Vatikanmauern auf – im
wahrsten Sinne des Wortes. Erlebt nichts von der Welt, deren Gefahren, Nöten,
hat keine Schulkameraden, immer nur von Hauslehrern unterrichtet.
Großer Sprung, die verlassene Studentin folgt einem
Therapievorschlag der fernen Mutter und zieht sich ins noch fernere und
unbekanntere Department Pyrenées-Atlantique zurück. Eine Freundin der Muter
betreibt dort in einem alten Chateau eine Institution mit Kursen für alles
Mögliche, auch zur Selbstfindung, auch zur Heilung von Liebeskummer. Nun, das
Chateau gehörte der Tochter des Diplomaten, die nun schon hoch in den
Achtzigern das Anwesen verkaufte und dort in zwei Räumen lebt. So kommen wir
wieder zur Ausgangsperson aus dem Vatikan zurück. Und zufällig – ein paar Zufälle
dürfen in jedem Roman vorkommen, ist der untreue Lucas im Nachbardorf des
Chateaus beheimatet. Doch, ich will die Story nicht zur Gänze verraten, etwas
soll auch dem Leser übrig bleiben, obwohl der Leser/die Leserin zu Recht
vermuten darf, dass die verlassene Studentin aus Wien eine neue Liebe findet,
der untreue Architekt vergeblich anreist, um seine Sarah zurück zu gewinnen.
Das alles ist bekannt und oft gelesen. Man könnte also das Buch zur Seite legen
und sich zurück lehnen, vielleicht einen Pastis trinken und darüber nachdenken,
warum in manchen Büchern noch immer die Frauen in der ersten Zeit der Liebe
„auf Händen getragen werden“ müssen, das Studentenleben wild zu sein hat, es
extreme Spannungen geben muss, einzigartige Einfühlungsvermögen erwartet
werden, usw. Man wird dem langsam überdrüssig. Dann passiert sogar, dass auf
der Seite 10 der junge Franzose Belgrand heißt und eine Seite weiter (und in
der Folge dann immer) Durand. Oder dass ein unvorstellbarer GAU geschieht. Das
ist bitte unmöglich, das ist so, als ob jemand von einem Regen ohne Wasser
schreiben wollte: Ein GAU ist eindeutig der Größte Anzunehmende Unfall! Also
anzunehmend und nicht unvorstellbar, das passt hint’ und vorn nicht zusammen.
Doch lassen wir das, das sind Dinge die zu korrigieren wären. Warum also doch
weiter lesen und sogar, die Nachtruhe deswegen zu verkürzen, um zu wissen –
nein, nicht wie es ausgeht, das war sehr bald klar – sondern um zu erfahren,
wie die Autorin mit der Sprache umgeht. Und da ist einiges zu bemerken. Es ist
eine fast möchte ich sagen, kostbare Sprache. Sie geht sehr sorgfältig mit den
Dingen um, die Autorin verbindet geschickt die Wochen der Studentin im Chateau
mit der Lebensgeschichte der alten Dame. Eine eigenartige Freundschaft
entsteht, die Junge erfährt plötzlich die ganz große Sensation, dass es noch
jemand gibt der Briefe handschriftlich verfasst, sechs Seiten lange, und keine
Mails oder SMS sendet. Auch andere Ereignisse, Lebenshaltungen lernt sie von
der alten Dame kennen. Wenn die ihr beispielsweise erzählt, dass es auch zu
ihrer Zeit und in ihrer Familie Ereignisse gab, wie die junge Sarah schmerzlich
in Wien erleben musste. Doch der große Unterschied und das macht für die Junge
den Erkenntniswert aus, deswegen muss man nicht alles hinwerfen. Altmodische
Ideen kommen aufs Tapet. Auch die Sprache bekommt ihren etwas altertümlichen
Klang zurück, wenn die beiden miteinander reden. Wenn Madam der Jungen von
ihrem Leben erzählt, so erscheinen vor dem Auge des Lesers die dazugehörigen
Accessoirs, wie die Spitzendecke auf den Tischchen, die Intarsienarbeit und
viele Kleinigkeiten, Kostbarkeiten, die heute als verloren gelten können.
Geschickt baut die Autorin diese vergangene Welt in die Gespräche zwischen Jung
und Uralt ein, lässt nicht nur ihre Protagonistin sondern auch den Leser diese
Preziosen erfahren. Und das ist die eigentliche Entdeckung dieses Buches.
Die Autorin, eine Diplom Journalistin aus Paderborn lebt und
arbeitet in Wien und im Burgenland. Der vorliegende Band ist ihr erster Roman nach
einer Reihe von Sachbüchern. Für TV entwickelte sie Talkshow-Formate. Diese
Erfahrung ist im Buch auch zu erkennen. Das sind die Menschen von heute, die
hier auftreten, unbekümmert einerseits, anderseits voll mit Sehnsüchten nach
einer Welt, die sie selber gründlich zerstört und aufgegeben haben.
Wem es nicht stört, dass viele Klischees „verbraten“ werden,
aber das ist im Sinne des Plots durchaus begründet, der wird an dem Buch
Vergnügen finden. Wer Beckmesserisch die Wortungetüme, hoffnungslos mit Adjektiven
überfrachtete Landschafts- und Naturschilderungen anstreicht, wird mit dem Buch
keine Freude haben. Es ist voll damit. Vielleicht hätte man doch einiges
reduzieren können: Muss die Mittagshitze backofenwarm von der Hauswand
zurückstrahlen? Oder „Die letzten Sonnenstrahlen schälten sich von den
hügeligen Feldern vor den Pyrenäen und die weißen Kühe standen in Gruppen auf
den Wiesen, als gehörten sie sich selbst.“ Und das sich die Wellen des
Atlantiks in langen weißen Streifen tosend brachen und am Ufer ausrollten, nun
das wissen wir sowohl von den einschlägigen Romanen von der Adria, dem
Mittelmeer und nun halt auch vom Atlantik.
Aber, wie gesagt, Lektoratsvorschläge und
Autorenvorstellungen gehen oftmals nicht konform.
Lesen Sie „Ein Stern im Béarn“ und Sie werden ein schönes
Buch erleben, dessen viele schöne Stellen die paar ein wenig ärgerlichen schon
aufwiegen können. Vor allem, sie lernen eine Welt kennen (wieder kennen), die
uns schon entrückt war, die es aber wert wäre in solchen Erzählungen erhalten
zu bleiben. Allein die Schilderung der Ehe der Schloßherrin, dem seinerzeitigen
jungen Mädchen hinter den Vatikanmauern ist eine Kostbarkeit, in die man sich
vertiefen muss! Vielleicht trotz oder gerade wegen der jungen Menschen von
heute, die darin vorkommen, ein unglaublich altmodisches Buch. Und seien wir
ehrlich was kann einem Leser im Zeitalter von
Facebook, SMS, Twitter, Apps usw Besseres passieren?
Hans Bäck,
Kapfenberg, Europa Literaturkreis
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen