Sonntag, 15. Dezember 2013

Buchbesprechung



M. Chobot: Reise nach Unterkralowitz

Manfred Chobot

„Reise nach Unterkralowitz“ (Limbus Verlag 2009)
„Versuch den Blitz einzufangen“ (Limbus Verlag 2011)


Ich gebe zu, ich war konsterniert. Da legt ein Autor wie Manfred Chobot einen Familienroman vor. Nach meiner persönlich subjektiven Schätzung den 89327. dieses Genres.
Nicht genug damit, zwei Jahre später „schießt“ er einen weiteren nach. Damit wäre ich dann schon mit meiner Schätzung beim etwa 95768. Familienroman angelangt. Was zum Teufel ist in den Manfred Chobot gefahren? Das gibt es doch nicht, dass sich dieser Autor hinreißen lässt und in diesem Genre wildert! So meine erste Einschätzung. Und weil ich das nicht glauben wollte, setzte ich mich neuerlich hin und las die beiden Bücher nochmals. Sorgfältig, um nur ja nicht zu überlesen, was den Autor veranlasst hätte zuerst einmal die Geschichte einer/seiner Familie seit den letzten Zügen der Monarchie zu beschreiben. Alles was wir da kennen: Die nach Wien einwandernden „Böhmen“, die Zustände in den Mietskasernen, die Zwischenkriegszeit mit ihren Polarisierungen und dem täglichen Kampf ums Überleben, den aufkommenden Nationalsozialismus, die Verheißungen die damit versprochen wurden, die Jahre der Braunen Diktatur incl. des Krieges und jener Menschen, die es sich „gerichtet“ haben und auch die neuerliche Wende nicht nur der Fahnen und Gesinnungen! Sogar die „Friedensdemo Künstler für den Frieden“ findet breiten Raum in der Schilderung der unmittelbaren Familiengeschichte. Das eigene Kind, die Probleme der Groß-Eltern damit. Natürlich, da blitzt immer wieder der bekannte Humor des Autors in seinen Bildern auf. Wenn er beispielsweise erzählt, wir Kriegsbeschädigte des Ersten Weltkrieges mit ihren Krücken dastehen und das fehlende Bein „hingegeben für Kaiser und Vaterland. Weder der Kaiser noch das Vaterland haben sein Bein gefunden. Wie Tausendfüßler würden der österreichische und der deutsche Kaiser aussehen.“ Ja, das sind schon Chobot’sche Glanzlichter. Aber deswegen einen Familienroman schreiben? Also, warum bloß?
M. Chobot: Versuch den Blitz einzufangen
Dann hatte ich die „Erleuchtung“ oder - ich fand den Arianefaden! Wie kunstvoll Manfred Chobot die unterschiedlichen Erzählperspektiven ineinander verflocht! Was sonst als K.o. Kriterium bei Erzählungen und Romanen angeführt wird, der Wechsel der Erzählperspektive, hier ist es zur Erzählform, ja ich möchte sogar behaupten, zur Kunstform entwickelt worden.  Ist es dann wesentlich, wie es den Nachfahren des Franz Chudy geht, wie die Familienverhältnisse verknüpft und verschlungen sind? Ich meine, da hat einer etwas versucht, das in dieser Form oft genug unternommen wurde und jedes Mal voll daneben ging. Dem Manfred Chobot ist der Spagat gelungen.
Und weil es so schön war (und ihn sicher gefreut hat) folgt dann nach zwei Jahren der „Versuch den Blitz einzufangen“. Waren bei der „Reise nach Unterkralowitz“ die Männer die Hauptakteure, so sind es nun die Frauen. Und welche Frauen! Sapperlot, da legt der Autor so richtig los! Die Antonia, die unzähligen Tanten aus allen Himmelsrichtungen, die sich ein Stelldichein geben, um in den meisten Fällen zu streiten, dass die sprichwörtlichen Fetzen fliegen. Und dann die köstliche Brigitte, die Hure Erster Klasse. Großartig, wie die Frauen es schaffen durch die Zeiten zu kommen. Und das mit fast bei jeder zweiten Seite wechselnder Erzählperspektive.
Wie das zu lesen war? Natürlich köstlich, ich musste mir nur angewöhnen, auf einem Zettel neben dem Buch aufzuschreiben, welche der vielen Frauen gerade an der Stelle am Werken war, ihre Kinder verdrosch, den Mann austauschte oder auch dem Mann „ins Feld“ nachfolgte. Von da weg, las ich die beiden Bücher mit Genuss, fand die typischen Chobot-Spezialitäten verborgen in so kleinen Episoden wie die Erfindung der Honigmarmeladenfabrik mit den dazugehörigen Honigmarmeladenabfüllmaschinen usw.
Ein Resümee? Aber natürlich kann man (nein, kann Chobot) und darf man einen oder auch zwei Familienromane hintereinander schreiben, wenn sie so viele Neuerungen in den alten Bildern, die wir alle schon hunderte und tausende Male bis zum Überdruss gelesen haben, beinhalten und damit aufwarten.
Wenn man das überwunden hat, ist der Lesespaß garantiert!


Hans Bäck

Europa Literaturkreis Kapfenberg

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