Samstag, 14. Dezember 2013

11. Dezember - Advent 2013


bunter teller, und küche

von Dagmar Weck

Noch nicht eingeschaltet haben sie die Lichterkette in der Weihnachtsgirlande an ihrer Haustür.
Krystin drückt mit ihren kalten Händen den Geschenkkorb für Julie und Friedo an ihren Bauch. Sie steht da, einige Minuten vergehen, hinter der Tür dieses wohlgepflegten Hauses lauert der dunkle Flur.
Manfred fährt vorbei, gelb stahlt eine von Weihnachtsgrün gehaltene Lichterreihe an der Frontscheibe seines LKWs und heißt den Heiligen Abend willkommen. Krystin winkt Manfred zu, Manfred winkt ihr zurück, dieser Männername steht geschrieben auf einem Pappschild in Höhe seines Lenkrades.
Die wahre Identität des Manfred wird Krystin nie erfahren.
„Haahlloo“, Friedo steht vor ihr in der geöffneten Eingangstür.
Sie umarmen sich lange, „schön, dass du da bist, Krystin, jetzt wird es gemütlich.“
„Danke für eure Einladung, ich freue mich.“ Krystin legt  Jacke und Korb ab, “warm  habt ihr es.“
„Komm, ich zeig dir was“, Friedo drückt sie an sich, küsst sie leicht auf den Mund und führt sie ins Wohnzimmer.
„Ist er nicht wunderschön, Krystinchen?“
Erwartungsvoll steht er da, streng in seiner Gestalt, vornehm, seine Spitze berührt die Zimmerdecke.
„Ihre Länge haben wir genau berechnet, die herrlichste Fichte in ganz Essen-Werden haben wir uns gegönnt.“.  „Julie hat die Kugeln ausgesucht, sie haben richtig Geld gekostet.“
Friedo streichelt eine goldene Kugel. Große silberne Kugeln mildern das Zuviel der noch größeren goldenen Kugeln.
„Wo ist Julie?“ Vorsichtig lehnt sich Krystin an den Arm des
Gastgebers. Geschmeidig-weißes Licht von elektrischen Kerzen fällt in sein Gesicht, gelöst lächelt er seinen Gast an.
„Euren Baum habt ihr mit Liebe hergerichtet, halten die Kerzen auf den Zweigen?“
„Sicher, bei uns ist alles gesichert.“ Krystin spürt eine Träne in ihrem Auge. „Krystin, sei gegrüßt,“ Julie und Krystin umarmen sich lange, Julie will sie nicht loslassen.
Die Besuchsfreundin muss sich lösen und geht in den Flur, um ihre Weihnachtsgabe zu holen.
„Für Euch, meine Lieben,“ sie überreicht ihren Freunden den
Korb mit hübsch verpackten Gaben, rotes und silbernes Papier
mit Herzchen hat sie miteinander kombiniert, „ein paar Sachen zum Genießen.“
„Danke,“ Julie durchsucht die Gabe, „oh, da sind aber mehr als ein paar Sachen drin, Champagner auch, Hirschwurst, und der Wein, den ich so gern trinke, der war aber teuer, du sollst doch nicht so viel Geld ausgeben, meine gute Krystin.“
Julie trägt ihren Schatzkorb fort, Friedo lächelt verlegen und geht an seinem Baum vorbei, einige Zweige ordnend.
„Auf uns“, feierlicher Friedo. Drei Menschen finden sich zusammen neben dem Baum der Herrlichkeit, ein jeglicher hat ein Piccolöchen vor sich stehen. „Wir hätten die Feiertage allein verbracht, wenn du nicht gekommen wärst, bitte, fahre morgen noch nicht wieder nach Bonn zurück, bleib doch bis
übermorgen bei uns.“ Julie lächelt zu Krystin, ich habe extra einen bunten teller fertig gemacht, der gehört zu Weihnachten dazu.“ Krystin schaut sich um, „Da, auf der Anrichte,“ Julie steht auf und stellt sich neben den bunten teller.“
Glänzendes Papier in Grün, Blau, Silber, Rot, Gold umhüllen die Süßigkeiten, die anscheinend schwer lastend auf dem von Weihnachten nicht zu trennenden teller liegen.
Einige Nikoläuse halten Wache auf der hoch gelobten tellerplatte, äußerst viele kleine, allerliebst in quadratischen Schächtelchen verpackte Süßigkeiten fallen auf.
Etwas anderes kann nicht darin sein, eigentlich nicht. Krystin zeigt darauf, „solche Päckchen habe ich noch nie gesehen, gibt es die nur hier bei euch in Essen-Werden zu kaufen?“
Julie errötet.
„Im letzten Jahr hatten wir keinen so entzückenden teller, nicht wahr, Julie?“ Der Freund kneift seiner Frau ein Auge zu. „Jedes Jahr müssen wir ihn nicht haben, das wird zu teuer“, Julie entsendet mit ihrer Stimme nicht ihr Herz.
„Den ganzen Keller habe ich voller Sekt, ich hole uns noch mal Piccolöchen, die habe ich von einem Bekannten fast umsonst bekommen,“ er, der großzügige Friedo versorgt die
Freundin. „Ja, ich möchte gern noch einen Sekt,“ Krystin fordert.
„Wir sind oft einsam, Freunde haben wir nicht mehr, auch den mit dem Sekt nicht mehr.“ Julie setzt sich  neben die mit ihr befreundete Krystin und nimmt deren Hand, „wenigstens haben wir eine  gute Pension, uns fehlt es an nichts.“
Krystin schaut die Frau an ihrer Seite an, ein denkwürdiger Heiliger Abend wird sich heute ereignen.
„Wie wollen gleich etwas mit dir besprechen, erst kümmere ich mich um unser Essen,“ Julie streicht über die Wange ihres Gastes und lässt diesen allein.
Keinen Plan hat die Eingeladene von der Besprechung, vielleicht haben die Gastgeber ein Geheimnis, das sich verbirgt in den Quadrat-Schächtelchen. Drei Menschen versammeln sich, Krystin will auch nicht allein sein heute. Die Erinnerung an einen einsamen 24. Dezember würde sie noch bis in den kommenden Sommer hinein traurig machen, sicher.
„Wir haben es ja,“ der Hausherr stellt exakt dreimal einen Sekt der kleinen Art auf den Tisch, eine CD mit Weihnachtsliedern lässt er erklingen, „ finanziell sind wir gut versorgt, anderen Leuten geht es schlechter.“
„Kommt, das Mahl ist angerichtet“, Julie erscheint im Wohnraum.
Krystin lässt ihre Gastgeber vorangehen ins Esszimmer, täuscht vor, ihre Tempos zu suchen , wagt  sich in die Nähe des bunten weihnachtlich glänzenden tellers, nimmt sich ein Quadratpäckchen, sehr leicht fühlt es sich an, sie steckt es in ihre Jeanstasche und begibt sich zum Dinner.
Ein eleganter Topf nimmt die Mitte des Esstisches in Anspruch.
Keiner der Drei soll zu kurz kommen, so teilt Julie mit einer antiken Suppenkelle jedem seinen Anteil an der
Linsensuppe zu, dazu ein kleines Würstchen.
„Wir essen zu Weihnachten immer schlicht, Krystin, so viel, wie in dem Lokal, in das du uns einlädst, wenn wir dich besuchen, wollte ich nicht vorbereiten, ich mag nicht, wenn so viel Essen übrig bleibt.“
„Heute wird kaum etwas übrig bleiben, liebe Freundin“.
Julie ist Germanistin, Sarkasmus versteht sie jedoch nicht.
Krystin schaut auf ihre Uhr, in etwa 13 Stunden fährt sie wieder zurück, morgen früh, gegen neun Uhr, exakt.
„Was wollt ihr mir sagen, meine Süßen?“
„Wenn einer von uns diese Welt verlässt, soll der andere nicht  in diesem Hause zurückbleiben müssen, er soll nicht vor sich hinwurschteln so ohne Partner. Kann dann einer von uns zu dir nach Bonn kommen? Eine Wohnung findet er schon, für uns wäre diese Aussicht eine Beruhigung.“
„So viel Vertrauen habt ihr zu mir?“ Eine Antwort geben die
Essener nicht.
„Zu unseren Kindern wollen wir nicht ziehen, sie hätten immer etwas, was einer von uns für sie tun soll.“
„Ja, einer von euch kann nach Bonn kommen, gern, bei der Wohnungssuche helfe ich“, Krystin lügt.
„Wenn ich zu dir komme, könnten wir gemeinsam kochen, meine Liebe“, Julie nimmt noch von ihrer Linsensuppe. Krystin umklammert das Quadrat in ihrer Hosentasche.
Friedo sagt nichts von seinen Freizeitwünschen als  Witwersingle.
Die Gastgeberin räumt den Tisch ab und holt das Dessert.
„Wir ziehen zusammen, sollte ich übrig bleiben“, der mögliche Alterssingle krabbelt an Krystins Oberschenkel herum, schaut geil und glücklich.
Die Eingeladene schubst  seine Hand weg, freundlich.
Sie entzieht sich einer Antwort.
Als Dessert gibt es eine Käseplatte mit abgezählten Käsestückchen. „Du sollst doch nicht so viel Geld ausgeben, Julie, wer von euch wird zu mir kommen, später, wenn es so weit ist ? “ Julie hört nicht das Böse in ihrer Freundin, Friedo beschäftigt sich mit seinem Schnaps, einen teuren hat er für sich ausgewählt.
Im Gästezimmer darf Krystin übernachten.  Ihr gestohlenes Quadratpaket drückt sie in ihrer Hand zusammen, nichts befindet sich darin.
Spät in der Nacht sucht sie den bunten teller,
im Reich der Sinne steht er, das Küche genannt wird.
Einige andere der gleichen Päckchen erforscht sie, leer sind sie.

„Wir sehen uns bald“, versichern sich ein Mann und zwei Frauen beim Abschied. „Schade, dass du nicht länger bleiben kannst, unsere liebe Freundin.“
„Ich möchte noch jemanden besuchen, macht es gut.“
An einer Raststätte auf der Autobahn hält Krystin und
verweilt dort lange.

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