bunter teller, und küche
von Dagmar Weck
Noch
nicht eingeschaltet haben sie die Lichterkette in der Weihnachtsgirlande an
ihrer Haustür.
Krystin
drückt mit ihren kalten Händen den Geschenkkorb für Julie und Friedo an ihren
Bauch. Sie steht da, einige Minuten vergehen, hinter der Tür dieses
wohlgepflegten Hauses lauert der dunkle Flur.
Manfred
fährt vorbei, gelb stahlt eine von Weihnachtsgrün gehaltene Lichterreihe an der
Frontscheibe seines LKWs und heißt
den Heiligen Abend willkommen. Krystin winkt Manfred zu, Manfred winkt ihr
zurück, dieser Männername steht geschrieben auf einem Pappschild in Höhe seines
Lenkrades.
Die
wahre Identität des Manfred wird Krystin nie erfahren.
„Haahlloo“,
Friedo steht vor ihr in der geöffneten Eingangstür.
Sie
umarmen sich lange, „schön, dass du da bist, Krystin, jetzt wird es gemütlich.“
„Danke
für eure Einladung, ich freue mich.“ Krystin legt Jacke und Korb ab, “warm habt ihr es.“
„Komm,
ich zeig dir was“, Friedo drückt sie an sich, küsst sie leicht auf den Mund und
führt sie ins Wohnzimmer.
„Ist
er nicht wunderschön, Krystinchen?“
Erwartungsvoll
steht er da, streng in seiner Gestalt, vornehm, seine Spitze berührt die
Zimmerdecke.
„Ihre
Länge haben wir genau berechnet, die herrlichste Fichte in ganz Essen-Werden
haben wir uns gegönnt.“. „Julie hat die
Kugeln ausgesucht, sie haben richtig Geld gekostet.“
Friedo
streichelt eine goldene Kugel. Große silberne Kugeln mildern das Zuviel der
noch größeren goldenen Kugeln.
„Wo
ist Julie?“ Vorsichtig lehnt sich Krystin an den Arm des
Gastgebers.
Geschmeidig-weißes Licht von elektrischen Kerzen fällt in sein Gesicht, gelöst
lächelt er seinen Gast an.
„Euren
Baum habt ihr mit Liebe hergerichtet, halten die Kerzen auf den Zweigen?“
„Sicher,
bei uns ist alles gesichert.“ Krystin spürt eine Träne in ihrem Auge. „Krystin,
sei gegrüßt,“ Julie und Krystin umarmen sich lange, Julie will sie nicht
loslassen.
Die
Besuchsfreundin muss sich lösen und geht in den Flur, um ihre Weihnachtsgabe zu
holen.
„Für
Euch, meine Lieben,“ sie überreicht ihren Freunden den
Korb
mit hübsch verpackten Gaben, rotes und silbernes Papier
mit
Herzchen hat sie miteinander kombiniert, „ein paar Sachen zum Genießen.“
„Danke,“
Julie durchsucht die Gabe, „oh, da sind aber mehr als ein paar Sachen drin,
Champagner auch, Hirschwurst, und der Wein, den ich so gern trinke, der war
aber teuer, du sollst doch nicht so viel Geld ausgeben, meine gute Krystin.“
Julie
trägt ihren Schatzkorb fort, Friedo lächelt verlegen und geht an seinem Baum
vorbei, einige Zweige ordnend.
„Auf
uns“, feierlicher Friedo. Drei Menschen finden sich zusammen neben dem Baum der
Herrlichkeit, ein jeglicher hat ein Piccolöchen vor sich stehen. „Wir hätten
die Feiertage allein verbracht, wenn du nicht gekommen wärst, bitte, fahre
morgen noch nicht wieder nach Bonn zurück, bleib doch bis
übermorgen
bei uns.“ Julie lächelt zu Krystin, ich habe extra einen bunten teller fertig
gemacht, der gehört zu Weihnachten dazu.“ Krystin schaut sich um, „Da, auf der
Anrichte,“ Julie steht auf und stellt sich neben den bunten teller.“
Glänzendes
Papier in Grün, Blau, Silber, Rot, Gold umhüllen die Süßigkeiten, die
anscheinend schwer lastend auf dem von Weihnachten nicht zu trennenden teller
liegen.
Einige
Nikoläuse halten Wache auf der hoch gelobten tellerplatte, äußerst viele
kleine, allerliebst in quadratischen Schächtelchen verpackte Süßigkeiten fallen
auf.
Etwas
anderes kann nicht darin sein, eigentlich nicht. Krystin zeigt darauf, „solche
Päckchen habe ich noch nie gesehen, gibt es die nur hier bei euch in Essen-Werden
zu kaufen?“
Julie
errötet.
„Im
letzten Jahr hatten wir keinen so entzückenden teller, nicht wahr, Julie?“ Der
Freund kneift seiner Frau ein Auge zu. „Jedes Jahr müssen wir ihn nicht haben,
das wird zu teuer“, Julie entsendet mit ihrer Stimme nicht ihr Herz.
„Den
ganzen Keller habe ich voller Sekt, ich hole uns noch mal Piccolöchen, die habe
ich von einem Bekannten fast umsonst bekommen,“ er, der großzügige Friedo
versorgt die
Freundin.
„Ja, ich möchte gern noch einen Sekt,“ Krystin fordert.
„Wir
sind oft einsam, Freunde haben wir nicht mehr, auch den mit dem Sekt nicht
mehr.“ Julie setzt sich neben die mit
ihr befreundete Krystin und nimmt deren Hand, „wenigstens haben wir eine gute Pension, uns fehlt es an nichts.“
Krystin
schaut die Frau an ihrer Seite an, ein denkwürdiger Heiliger Abend wird sich
heute ereignen.
„Wie
wollen gleich etwas mit dir besprechen, erst kümmere ich mich um unser Essen,“
Julie streicht über die Wange ihres Gastes und lässt diesen allein.
Keinen
Plan hat die Eingeladene von der Besprechung, vielleicht haben die Gastgeber
ein Geheimnis, das sich verbirgt in den Quadrat-Schächtelchen. Drei Menschen
versammeln sich, Krystin will auch nicht allein sein heute. Die Erinnerung an
einen einsamen 24. Dezember würde sie noch bis in den kommenden Sommer hinein
traurig machen, sicher.
„Wir
haben es ja,“ der Hausherr stellt exakt dreimal einen Sekt der kleinen Art auf
den Tisch, eine CD mit Weihnachtsliedern lässt er erklingen, „ finanziell sind
wir gut versorgt, anderen Leuten geht es schlechter.“
„Kommt,
das Mahl ist angerichtet“, Julie erscheint im Wohnraum.
Krystin
lässt ihre Gastgeber vorangehen ins Esszimmer, täuscht vor, ihre Tempos zu
suchen , wagt sich in die Nähe des
bunten weihnachtlich glänzenden tellers, nimmt sich ein Quadratpäckchen, sehr
leicht fühlt es sich an, sie steckt es in ihre Jeanstasche und begibt sich zum
Dinner.
Ein
eleganter Topf nimmt die Mitte des Esstisches in Anspruch.
Keiner
der Drei soll zu kurz kommen, so teilt Julie mit einer antiken Suppenkelle jedem
seinen Anteil an der
Linsensuppe
zu, dazu ein kleines Würstchen.
„Wir
essen zu Weihnachten immer schlicht, Krystin, so viel, wie in dem Lokal, in das
du uns einlädst, wenn wir dich besuchen, wollte ich nicht vorbereiten, ich mag
nicht, wenn so viel Essen übrig bleibt.“
„Heute
wird kaum etwas übrig bleiben, liebe Freundin“.
Julie
ist Germanistin, Sarkasmus versteht sie jedoch nicht.
Krystin
schaut auf ihre Uhr, in etwa 13 Stunden fährt sie wieder zurück, morgen früh,
gegen neun Uhr, exakt.
„Was
wollt ihr mir sagen, meine Süßen?“
„Wenn
einer von uns diese Welt verlässt, soll der andere nicht in diesem Hause zurückbleiben müssen, er soll
nicht vor sich hinwurschteln so ohne Partner. Kann dann einer von uns zu dir
nach Bonn kommen? Eine Wohnung findet er schon, für uns wäre diese Aussicht
eine Beruhigung.“
„So
viel Vertrauen habt ihr zu mir?“ Eine Antwort geben die
Essener
nicht.
„Zu
unseren Kindern wollen wir nicht ziehen, sie hätten immer etwas, was einer von
uns für sie tun soll.“
„Ja,
einer von euch kann nach Bonn kommen, gern, bei der Wohnungssuche helfe ich“,
Krystin lügt.
„Wenn
ich zu dir komme, könnten wir gemeinsam kochen, meine Liebe“, Julie nimmt noch
von ihrer Linsensuppe. Krystin umklammert das Quadrat in ihrer Hosentasche.
Friedo
sagt nichts von seinen Freizeitwünschen als
Witwersingle.
Die
Gastgeberin räumt den Tisch ab und holt das Dessert.
„Wir
ziehen zusammen, sollte ich übrig bleiben“, der mögliche Alterssingle krabbelt
an Krystins Oberschenkel herum, schaut geil und glücklich.
Die
Eingeladene schubst seine Hand weg,
freundlich.
Sie
entzieht sich einer Antwort.
Als
Dessert gibt es eine Käseplatte mit abgezählten Käsestückchen. „Du sollst doch
nicht so viel Geld ausgeben, Julie, wer von euch wird zu mir kommen, später,
wenn es so weit ist ? “ Julie hört nicht das Böse in ihrer Freundin, Friedo
beschäftigt sich mit seinem Schnaps, einen teuren hat er für sich ausgewählt.
Im
Gästezimmer darf Krystin übernachten.
Ihr gestohlenes Quadratpaket drückt sie in ihrer Hand zusammen, nichts
befindet sich darin.
Spät
in der Nacht sucht sie den bunten teller,
im
Reich der Sinne steht er, das Küche genannt wird.
Einige
andere der gleichen Päckchen erforscht sie, leer sind sie.
„Wir
sehen uns bald“, versichern sich ein Mann und zwei Frauen beim Abschied.
„Schade, dass du nicht länger bleiben kannst, unsere liebe Freundin.“
„Ich
möchte noch jemanden besuchen, macht es gut.“
An
einer Raststätte auf der Autobahn hält Krystin und
verweilt
dort lange.
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