von Christine Teichmann
Eine Frau hat ihre vierjährige Tochter
mit Medikamenten vergiftet und sich dann anschließend die Pulsadern
aufgeschnitten. Beide überlebten.
Du hast mir das Leben genommen
meine Existenz gelöscht
du hast in diesem immer enger werdenden
Tunnel
durch den du dich die letzten Wochen bewegt
hast
nur mehr Platz für dich gehabt
und mich trotzdem mitgenommen
als du das Licht am Ende ausgeknipst hast
Ich werde nicht erfahren, wie es ist
aufzuwachsen
ohne Mutter
im Wissen, dass ich nicht wichtig genug
war,
dich zurückzuhalten
du hast beschlossen, mir das zu ersparen
mich als unlöslichen Teil von dir zu sehen
der einfach mitgehen muss, wenn du gehst
ich bin tot
von meiner Mutter vergiftet
du wolltest nicht
ohne mich weiterleben
dich von der Last
die ich für dein Leben bin
von der Fessel, die dich im Leben hält,
befreien.
du warst keine böse Königin
die ihrer Tochter den vergifteten Apfel
reicht
um selbst die Schönste zu sein
du warst nicht Abraham
der seinen Sohn leichter opferte
als seinen Glauben
du warst nicht Tantalos
der um die Götter zu testen
seinen Sohn schlachtete
du hast nicht wie Medea
deine Kinder getötet
um dich an deinem treulosen Mann zu rächen
du kennst sie gar nicht
die biblischen und die antiken Vorbilder
du bist ganz allein
zu deinem Entschluss gekommen
so allein,
dass du zu diesem Entschluss gekommen bist.
du dachtest
so
und jetzt
ist für uns alles vorbei
was machen wir jetzt
wo wir trotzdem leben
welche Geschichten erzählst du mir
wenn ich einschlafe
und welche Geschichte erzählst du mir
wenn ich aufwache
Werde ich deinen Auftrag, mich abzuschaffen
über die kommenden Jahre stückweise
erfüllen
es gibt so viele Möglichkeiten
ich kann mich
tätowieren und piercen
ritzen und schlitzen
kiffen und spritzen
und saufen
aber zuerst werde ich dich trösten
Kinder, die ihre Eltern trösten
sind gegen den Strich gekämmt
das glättet sich nicht
da stehen wir nun
so ganz unfreiwillig
und immer noch
Hand in Hand
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