Samstag, 11. April 2015

es gibt Dinge, die sind so grundfalsch, dass man sie nicht richtig schreiben kann...



von Christine Teichmann

Eine Frau hat ihre vierjährige Tochter mit Medikamenten vergiftet und sich dann anschließend die Pulsadern aufgeschnitten. Beide überlebten.


Du hast mir das Leben genommen
meine Existenz gelöscht
du hast in diesem immer enger werdenden Tunnel
durch den du dich die letzten Wochen bewegt hast
nur mehr Platz für dich gehabt
und mich trotzdem mitgenommen
als du das Licht am Ende ausgeknipst hast

Ich werde nicht erfahren, wie es ist aufzuwachsen
ohne Mutter
im Wissen, dass ich nicht wichtig genug war,
dich zurückzuhalten
du hast beschlossen, mir das zu ersparen
mich als unlöslichen Teil von dir zu sehen
der einfach mitgehen muss, wenn du gehst

ich bin tot
von meiner Mutter vergiftet

du wolltest nicht
ohne mich weiterleben
dich von der Last
die ich für dein Leben bin
von der Fessel, die dich im Leben hält,
befreien.

du warst keine böse Königin
die ihrer Tochter den vergifteten Apfel reicht
um selbst die Schönste zu sein

du warst nicht Abraham
der seinen Sohn leichter opferte
als seinen Glauben

du warst nicht Tantalos
der um die Götter zu testen
seinen Sohn schlachtete

du hast nicht wie Medea
deine Kinder getötet
um dich an deinem treulosen Mann zu rächen

du kennst sie gar nicht
die biblischen und die antiken Vorbilder
du bist ganz allein
zu deinem Entschluss gekommen
so allein,
dass du zu diesem Entschluss gekommen bist.

du dachtest
so
und jetzt
ist für uns alles vorbei

was machen wir jetzt
wo wir trotzdem leben
welche Geschichten erzählst du mir
wenn ich einschlafe
und welche Geschichte erzählst du mir
wenn ich aufwache

Werde ich deinen Auftrag, mich abzuschaffen
über die kommenden Jahre stückweise erfüllen
es gibt so viele Möglichkeiten
ich kann mich
tätowieren und piercen
ritzen und schlitzen
kiffen und spritzen
und saufen

aber zuerst werde ich dich trösten

Kinder, die ihre Eltern trösten
sind gegen den Strich gekämmt
das glättet sich nicht

da stehen wir nun
so ganz unfreiwillig
und immer noch
Hand in Hand



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