Sonntag, 26. April 2015

Regentonnenvariationen von Jan Wagner



(c) Reinhard Mermi
Eine Rezension von Reinhard Mermi

Jeder kennt das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern von Hans Christian Andersen, in dem jeder Hofschranze und Untertan die (nichtvorhandenen) neuen Kleider des Königs lobt. So geschah es auch in diesem Jahr, als der Lyriker Jan Wagner den Preis der Leipziger Buchmesse für sein Werk „Regentonnenvariationen“ überreicht bekam. Doch wofür? Und weshalb jubelte der Hanser-Verlag mit den großspurigen Worten: „In seinem neuen Gedichtband vermisst Jan Wagner poetisch die Welt – von Schlehen im Frost bis zu Eseln in Sizilien.“ Oder die Jury sagte dazu: "Ein Gedichtband, in dem die Regentonne zur Wundertüte wird, der Giersch zur Gischt, Unkraut und unreiner Reim ihren Charme entfalten und die Lust am Spiel mit der Sprache vor den strengen Formen nicht Halt macht: Lyrik voller Geistesgegenwart“, und offensichtlich scheint das Gros der Gemeinschaft der deutschen Kritiker und Claqueure ein Spiegelbild des Andersen-Märchens abzuliefern, das beflissen Klappentexte abschreibt und nachplappert, was andere bereits gesagt und geschrieben haben. Offensichtlich auch um die Heimeligkeit ihres gemeinschaftlichen literarischen Umfelds und dessen Hermetik nicht zu beeinträchtigen.
Um die Qualität eines Gedichts zu beurteilen, braucht man sich nur eine einfache Frage stellen:
„Wird das Werk oder der Text noch in einhundert Jahren aktuell sein, den Leser auch dann noch erreichen oder bewegen?“ Die klare Antwort ist nein!

Ohne dem Preisträger die Beherrschung des Handwerks absprechen zu wollen, ist doch zu hinterfragen: Welchen Sinn macht Lyrik noch, wenn Banalitäten, Privates, Effekte haschendes Wort- und Sprachgeklingel, sich ihrer bemächtigen, Ödnis und Langeweile zum „Format“ erkoren werden?

geschieht, bis hoch zum giebel kriecht, bis giersch
schier überall sprießt, im ganzen garten giersch
sich über giersch schiebt, ihn verschlingt mit nichts als giersch.

Oder aus dem Gedicht „aus der globusmanufaktur“:

einmal verlegte ich mein pausenbrot
in einer südhalbkugel, die noch einzeln
und offen war, nun träumt ein junge, bohrt
sich in der nase, sucht die sandwich-inseln.

Die Verquickung der unterschiedlichsten Begriffsebenen ist nicht als überraschend sondern nur als abstrus – weil schlichtweg als banal zu bezeichnen. Im Ergebnis bleibe ich als Leser ratlos zurück und kann nur vermuten, dass in diesem Jahr der Hanser-Verlag „mit dem Buchpreis dran war“. Denn unter Lyrik verstehe ich etwas anderes als nur Prosa mit Zeilenumbrüchen. Oder ich habe bis heute nicht verstanden, was Lyrik eigentlich ist.

Reinhard Mermi
Blog-Redaktion

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