Jeder kennt das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern von
Hans Christian Andersen, in dem jeder Hofschranze und Untertan die (nichtvorhandenen)
neuen Kleider des Königs lobt. So geschah es auch in diesem Jahr, als der
Lyriker Jan Wagner den Preis der Leipziger Buchmesse für sein Werk „Regentonnenvariationen“
überreicht bekam. Doch wofür? Und weshalb jubelte der Hanser-Verlag mit den
großspurigen Worten: „In seinem neuen Gedichtband vermisst Jan Wagner poetisch
die Welt – von Schlehen im Frost bis zu Eseln in Sizilien.“ Oder die Jury sagte
dazu: "Ein Gedichtband, in dem die Regentonne zur Wundertüte wird, der
Giersch zur Gischt, Unkraut und unreiner Reim ihren Charme entfalten und die
Lust am Spiel mit der Sprache vor den strengen Formen nicht Halt macht: Lyrik voller
Geistesgegenwart“, und offensichtlich scheint das Gros der Gemeinschaft der
deutschen Kritiker und Claqueure ein Spiegelbild des Andersen-Märchens abzuliefern,
das beflissen Klappentexte abschreibt und nachplappert, was andere bereits
gesagt und geschrieben haben. Offensichtlich auch um die Heimeligkeit ihres
gemeinschaftlichen literarischen Umfelds und dessen Hermetik nicht zu beeinträchtigen.
Um die Qualität eines Gedichts zu
beurteilen, braucht man sich nur eine einfache Frage stellen:
„Wird das Werk oder der Text noch in einhundert Jahren aktuell sein, den Leser auch dann noch erreichen oder bewegen?“ Die klare Antwort ist nein!
„Wird das Werk oder der Text noch in einhundert Jahren aktuell sein, den Leser auch dann noch erreichen oder bewegen?“ Die klare Antwort ist nein!
Ohne dem Preisträger die
Beherrschung des Handwerks absprechen zu wollen, ist doch zu hinterfragen: Welchen
Sinn macht Lyrik noch, wenn Banalitäten, Privates, Effekte haschendes Wort- und
Sprachgeklingel, sich ihrer bemächtigen, Ödnis und Langeweile zum „Format“
erkoren werden?
geschieht,
bis hoch zum giebel kriecht, bis giersch
schier überall sprießt, im ganzen garten giersch
sich über giersch schiebt, ihn verschlingt mit nichts als giersch.
schier überall sprießt, im ganzen garten giersch
sich über giersch schiebt, ihn verschlingt mit nichts als giersch.
Oder aus dem Gedicht „aus der
globusmanufaktur“:
einmal
verlegte ich mein pausenbrot
in einer südhalbkugel, die noch einzeln
und offen war, nun träumt ein junge, bohrt
sich in der nase, sucht die sandwich-inseln.
in einer südhalbkugel, die noch einzeln
und offen war, nun träumt ein junge, bohrt
sich in der nase, sucht die sandwich-inseln.
Die Verquickung der
unterschiedlichsten Begriffsebenen ist nicht als überraschend sondern nur als abstrus
– weil schlichtweg als banal zu bezeichnen. Im Ergebnis bleibe ich als Leser
ratlos zurück und kann nur vermuten, dass in diesem Jahr der Hanser-Verlag „mit
dem Buchpreis dran war“. Denn unter Lyrik verstehe ich etwas anderes als nur Prosa
mit Zeilenumbrüchen. Oder ich habe bis heute nicht verstanden, was Lyrik
eigentlich ist.
Reinhard Mermi
Blog-Redaktion
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