Warten
von Insa Segebade
Das Café des Arts ist eines der ältesten Cafés in
der Stadt. Die hohen Wände des rechteckigen Raums mit dem Kuppeldach erinnern
an die Wartehalle eines Bahnhofs um die Jahrhundertwende. Hohe Fenster, durch
die die letzten Strahlen einer untergehenden Sonne fallen. Holzvertäfelungen an
den Wänden, mit Schnitzereien übersät. Vögel, Blumenranken, Farne, unheimliche
Fabelwesen. Die Tische sind symmetrisch angeordnet. In vier Reihen durchlaufen
sie den gesamten Raum. Erst die Theke aus schwerem, dunklem Holz gebietet ihnen
Einhalt. Drei schmale Gänge sind frei, durch die Kellner in schwarzen Anzügen
hin und her eilen.
Ich sitze an einem kleinen Tisch mit einer
blütenweißen Tischdecke. In der Mitte der Längsseite, die gegenüber der
Eingangstür liegt. Der lange verschnörkelte Zeiger der großen Bahnhofsuhr,
Relikt einer vergangenen Zeit, steht kurz vor der Sechs. Um halb acht wollte er
mich hier treffen. Das war seine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Die erste
seit fünf Jahren.
Ein Kellner mit makellosem Teint und
zurückgekämmten, pomadeglänzenden Haaren kommt an meinen Tisch. In Cafés oder
Restaurants mit Kellnern in schwarzen Anzügen und weißen Tischdecken habe ich
mich schon immer unbehaglich gefühlt. Das sind die Orte, an denen man sein Glas
mit dem Ärmel vom Tisch fegt oder nicht weiß, wie man seinen Salat essen soll.
Meine Eltern mochten diese Restaurants. Oft saß ich zwischen ihnen in meinem
Sonntagsstaat auf hohen, unbequemen Stühlen. Weiße Teller mit Goldrand auf
gestärkten Leinen. Da war diese Kartoffel, die ich mit der Gabel zerquetschen
wollte. Sie sprang vom Teller über das weiße Leinentuch, wo sie einen braunen
Soßenfleck hinterließ, auf den Teppich. Ich beugte mich über meinen Teller und
hoffte, niemand hätte es bemerkt, als auch schon ein befrackter Kellner
herbeisprang, stirnrunzelnd die Kartoffel aufhob und mit spitzen Fingern in
einen Abfalleimer hinter der Theke fallen ließ.
Ich frage mich, warum er mich in diesem Café
treffen will. Damals gingen wir in Kneipen mit zerkratzten und fleckigen
Tischen, auf denen verschütteter Kaffee nicht auffiel. Komisch, dass ich dort
nie etwas verschüttet habe. Ich bestelle einen Cappucchino. Mit aufgeschlagener
Milch, fragt der Kellner. Mit Sahne, antworte ich, obwohl ich Cappucchino immer
mit aufgeschlagener Milch trinke. Ich schaue dem Kellner in die Augen, lächle
ihn an, während ich nach einem Glas Wasser frage. Er erwidert meinen Blick,
lächelt zurück und registriert mit einem Nicken die Bestellung. Dann wendet er
sich mit dem gleichen Lächeln an den Nachbartisch.
In einer Wandnische steht eine Figur aus Holz.
Sie thront auf einem Messingblock und starrt mich aus schwarzen Augen an. Die
braun lackierten Haare umschließen das kalte Gesicht wie eine Löwenmähne. Dann
sehe ich die feinen Risse an ihrem Körper, die an einigen Stellen die
Lackschicht gesprengt und kleine Farbpartikel abgestoßen haben. Und sind die
kleinen, dunklen Löcher auf den gefalteten Händen nicht die Spuren eines
Holzwurms?
Ich summe das Lied mit, das der Klavierspieler
anschlägt. "People". Früher habe ich es oft gehört, gesummt,
gesungen. Das Richtige für traurig-melancholische Stunden. Wie sieht er jetzt
aus? Werden wir uns fremd geworden sein? Abgestumpft nach dem erst verdrängten,
irgendwann auch verarbeiteten Trennungsschmerz? Der lange Zeiger der
Bahnhofsuhr ist jetzt steil nach unten gerichtet. Ich schaue auf die
Eingangstür.
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