Dienstag, 23. Dezember 2014

Adventskalender 2014 - 23. Advent

Der Grüne Kilian

von Reinhard Lackinger


"Als ich Christtagsfreude holen ging" lautet der Titel meiner Lieblings-Weihnachtsgeschichte. Sie ist von Peter Rosegger und stammt aus dessen Waldheimat, unweit meines Geburtsortes Kapfenberg.

Es geht dabei um den Bericht des zwölfjährigen Waldbauernbuben, den der Vater in dunkler und eisiger Herrgottsfrühe ins Tal und in das Dorf Langenwang schickt, um Schuldgelder einzutreiben und damit Lebensmittel einzukaufen. Ingredienzien für die Weihnachtsschleckereien. Auf dem Rückweg trifft der kleine Peterl den Grünen Kilian. Einen Asozialen, wie man heute sagen würde. Dieser bietet dem Buben an, ihm beim Tragen der Waren zu helfen. Beide stapfen eine Weile nebeneinander durch den Schnee. Als die Schritte des grünen Kilian immer größer und schneller werden und der Waldbauernbub nicht mehr mitkommt und zurückbleibt, schreit Peterl angstvoll auf und dem Grünen Kilian nach!. Ein Kutscher, den sie in ihrer Hast einholen hilft dem Peterl schließlich, die Lebensmittel zurückzufordern. So kehrt der Bub mit den weihnachtlichen Siebensachen in seine traute Waldheimat zurück.

Ein Auge auf jene Fischbacher Alpen mit Langenwang, Krieglach und Alpl gerichtet, während das andere auf meine Wahlheimat Salvador blickt, sehe ich nicht den Bauernbuben, sondern den grünen Kilian als Hauptperson der Erzählung.
Was wohl geht in Hirn und Herz derjenigen vor, die sich ausgegrenzt und abseits sozialer Gewissheit fühlen? Was bringt den grünen Kilian dazu, mit den Lebensmitteln im Korb davonzueilen? Wie viele Kinder hat er in seiner Hütte, und wie wenig, um deren Hunger zu stillen? Wie gerecht ist unsere Gesellschaft?
Wie gehen einem derart pamphletarische Sprüche auf die Nerven?
Soll er doch arbeiten der Grüne Kilian und sein eigenes Geld verdienen!

Im Traume stoße ich auf einen Urururenkel des grünen Kilians. Der ist ein guter Skifahrer, hat aber noch nie ein Rennen gewonnen. Ein Verlierer also! Genauso wie sein Urururgroßvater. Er erzählt mir von seinen Fassdauben, mit denen er über Stock und Stein von seiner Fischbacher Hütte ins Tal jagt. Er spricht von mehr oder weniger redlich organisierten Holzskiern mit Riemenbindung, selbst aufgeschraubten Stahlkanten und gekochtem Wachs.

- Früher brauchte ein Skirennfahrer ein Drittel Mut, ein Drittel Talent und ein Drittel Kraft -, sagte er. - Bei den neumodernen Abfahrtspisten, die wie Autobahnen aussehen, kann einer auf Talent und teilweise auch auf Mut verzichten und muss sich bloß auf die Kraft der Beine konzentrieren. Heute entscheidem die Muskeln und die Ausstattung, ob ein Skirennfahrer Erfolg hat oder nicht. So ist es überall im Leben -, sagte er noch, dann rennt er davon, hinterlässt im Schnee die Abdrücke der Sohlen seiner Goiserer.

Ich werde ab heute an der gleißend hellen Weihnachtsdekoration und am Einkaufsrummel vorbeischauen. Mein Blick wird die Verlierer unserer Gesellschaft suchen. Diejenigen, die um ihre Existenz kämpfend, gezwungen sind zu improvisieren, um einen billigen Euphemismus zu strapazieren.
Improvisiert haben auch Maria und Josef, als Christi Geburt nahte. Jahrtausende vergehen, aber die soziale Gerechtigkeit bleibt unverändert. Irgendetwas stimmt bei diesem Vergleich nicht. Was wohl?

Heute werde ich meiner Weihnachtskrippe neue Figuren beifügen. Die des hageren Grünen Kilian, dessen verhärmten Weibes mit rotziger Kinderschar.

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