Der Grüne Kilian
von Reinhard Lackinger
"Als
ich
Christtagsfreude holen ging" lautet der Titel meiner
Lieblings-Weihnachtsgeschichte. Sie ist von Peter Rosegger und
stammt aus
dessen Waldheimat, unweit meines Geburtsortes Kapfenberg.
Es
geht dabei um
den Bericht des zwölfjährigen Waldbauernbuben, den der Vater in
dunkler und
eisiger Herrgottsfrühe ins Tal und in das Dorf Langenwang
schickt, um
Schuldgelder einzutreiben und damit Lebensmittel einzukaufen.
Ingredienzien für
die Weihnachtsschleckereien. Auf dem Rückweg trifft der kleine
Peterl den
Grünen Kilian. Einen Asozialen, wie man heute sagen würde.
Dieser bietet dem
Buben an, ihm beim Tragen der Waren zu helfen. Beide stapfen
eine Weile
nebeneinander durch den Schnee. Als die Schritte des grünen
Kilian immer größer
und schneller werden und der Waldbauernbub nicht mehr mitkommt
und
zurückbleibt, schreit Peterl angstvoll auf und dem Grünen Kilian
nach!. Ein
Kutscher, den sie in ihrer Hast einholen hilft dem Peterl
schließlich, die
Lebensmittel zurückzufordern. So kehrt der Bub mit den
weihnachtlichen
Siebensachen in seine traute Waldheimat zurück.
Ein
Auge auf jene
Fischbacher Alpen mit Langenwang, Krieglach und Alpl gerichtet,
während das
andere auf meine Wahlheimat Salvador blickt, sehe ich nicht den
Bauernbuben,
sondern den grünen Kilian als Hauptperson der Erzählung.
Was
wohl geht in
Hirn und Herz derjenigen vor, die sich ausgegrenzt und abseits
sozialer
Gewissheit fühlen? Was bringt den grünen Kilian dazu, mit den
Lebensmitteln im
Korb davonzueilen? Wie viele Kinder hat er in seiner Hütte, und
wie wenig, um
deren Hunger zu stillen? Wie gerecht ist unsere Gesellschaft?
Wie
gehen einem
derart pamphletarische Sprüche auf die Nerven?
Soll er doch arbeiten der Grüne Kilian und sein eigenes Geld verdienen!
Soll er doch arbeiten der Grüne Kilian und sein eigenes Geld verdienen!
Im
Traume stoße ich
auf einen Urururenkel des grünen Kilians. Der ist ein guter
Skifahrer, hat aber
noch nie ein Rennen gewonnen. Ein Verlierer also! Genauso wie
sein
Urururgroßvater. Er erzählt mir von seinen Fassdauben, mit denen
er über Stock
und Stein von seiner Fischbacher Hütte ins Tal jagt. Er spricht
von mehr oder
weniger redlich organisierten Holzskiern mit Riemenbindung,
selbst
aufgeschraubten Stahlkanten und gekochtem Wachs.
-
Früher brauchte
ein Skirennfahrer ein Drittel Mut, ein Drittel Talent und ein
Drittel Kraft -,
sagte er. - Bei den neumodernen Abfahrtspisten, die wie
Autobahnen aussehen,
kann einer auf Talent und teilweise auch auf Mut verzichten und
muss sich bloß
auf die Kraft der Beine konzentrieren. Heute entscheidem die
Muskeln und die
Ausstattung, ob ein Skirennfahrer Erfolg hat oder nicht. So ist
es überall im
Leben -, sagte er noch, dann rennt er davon, hinterlässt im
Schnee die Abdrücke
der Sohlen seiner Goiserer.
Ich
werde ab heute
an der gleißend hellen Weihnachtsdekoration und am
Einkaufsrummel
vorbeischauen. Mein Blick wird die Verlierer unserer
Gesellschaft suchen.
Diejenigen, die um ihre Existenz kämpfend, gezwungen sind zu
improvisieren, um
einen billigen Euphemismus zu strapazieren.
Improvisiert
haben
auch Maria und Josef, als Christi Geburt nahte. Jahrtausende
vergehen, aber die
soziale Gerechtigkeit bleibt unverändert. Irgendetwas stimmt bei
diesem
Vergleich nicht. Was wohl?
Heute
werde ich
meiner Weihnachtskrippe neue Figuren beifügen. Die des hageren
Grünen Kilian,
dessen verhärmten Weibes mit rotziger Kinderschar.
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