Julies Aussage
von Dagmar Weck
Jef
betrachtet von seinem Küchenfenster aus den tiefer gelegenen engen Innenhof
seines Wohnhauses mit dem Maße von Scheu, die er seinem eigenen Dasein
auferlegt hat.
Nur
den Mietern seines Wohnhauses ist es erlaubt,
diesen Hof zu betreten.
Nie
geht Jef in diesen Hof , wenn andere Mitbewohner sich dort aufhalten , so
bleibt Jef auch verborgen, was seine Nachbarn mitzuteilen haben.
Er
kennt ihre Gesichter, nicht jedoch ihre Worte.
Allein
mit Graham erlaubt Jef sich spät am Abend den Besuch dieses Hofquadrates,
dessen Zustand ihn in diesem Augenblick mit Entsetzen erfüllt.
Beschädigt
und nicht mehr abschließbar hängt das große Hoftor halb aus seiner Befestigung
gerissen, sinnlos , eher armselig, erscheint Jef dessen Existenz. Er muss es Graham
zeigen, der gleich bei ihm sein wird .
Eine
fremde Frau steht im Hof und sieht zu ihm herauf, eine dunkelrote Baskenmütze
kleidet sie vortrefflich.
Jef
zieht sich zurück in sein winziges Wohnzimmer, hier fühlt er eine begehbare
Sicherheit .
Graham,
sein einziger Besucher, darf Jefs von menschlichen Bindungen losgelöstes Leben
zweimal in der Woche durchbrechen.
„Jemand“,
spricht Jef zu dem von ihm heiß
geliebten Bild einer gedehnten
Sandwüste, „ist schuldig geworden an der gewaltsamen Öffnung meines
Tores.“ Stets blieb es bisher geschlossen, keinen einzigen Jef unbekannten
Passanten von der davor liegenden Straße ließ es bisher in seinen Hof hinein.
Lange
läutet jemand die Schelle an Jefs Wohnungstür , eine dunkel schleichende
Ahnung klammert sich fest an Jef, der
auf seine Uhr sieht.
Heute
gerät etwas aus den Fugen, eine demütige winzige Hoffnung, es möge so sein,
berührt Jefs Herz.
Graham
läutet immer zweimal kurz, Graham, sein Freund, der so wunderbar mit ihm sein
unbewegtes Leben zu teilen vermag.
Jef
öffnet seine Wohnungstür: „Heute früher als sonst, Graham?“
„Tag,
Jef“, ein wortkarger Graham umarmt lange, sehr lange seinen Freund Jef, „deine
Haustür unten stand offen.“
In
Jefs engem Wohnzimmer stellt Graham seine Tasche auf den Tisch, ein warmgelbes Licht der Deckenlampe
beleuchtet sie.
„Jef,
meine Tasche habe ich neu gekauft, ein kleines Reisegepäck passt hinein.“
„Du
verreist doch nie , Graham“, Jef schenkt mit zittrigen Händen zwei bereit
stehende Weingläser sehr voll mit herrlich kaltem Rosé-Wein, „auf deine neue
Tasche, mein Freund, eine Fremde betrat heute meinen Hof, sie hat ein Verbot
übertreten, Graham!“
„Julie
heißt sie, Jef.“
Jef
schweigt , unmittelbar danach bricht er es: „Eine Fremde, die dir nicht fremd
ist, mein Lieber?“
„Wir
müssen heute früher zu unserem Essen gehen, mein Jef.“
„Warum?“
Jef spricht langsam, beinahe begreift er, was er sieht.
Reichlich
bepackt erscheint die Grahamtasche.
„Ich
habe heute noch etwas vor, mein Guter.“
„Du
hast doch sonst nie etwas vor, mein einziger Freund, was könnte ich ohne dich
nur tun?“
„Jef,
die Zeit nicht mehr anhalten, das ist es, vielleicht gestattest du dir
zuzuhören, was Menschen dir sagen.“
„Lass
uns aufbrechen, Jef.“
Es läutet an Jefs Haustür.
Die
Freunde verlassen die Wohnung, nachdem Jef seine dunkelrote Baskenmütze
sorgfältig auf seinem Kopf zurecht gerückt hat.
Auf
der Straße vor Jefs Wohnhaus steht Julie, die sich mit ihrem demütigen,
wohligen Lächeln einfügt in die eingeübten Schritte ihrer zwei Trauernden, je und je.
Im
Lokal „ zum silbernen zeppelin“ speisen sie und genießen den Wein. „Jef, ich
fahre heute fort.“
„Bleib,
Graham“.
„Nein,
Jef.“
Julie
nimmt zart Jefs Hand, der sie ihr überlässt und weint.
Wissend
schaut der Wirt zu seinen Stammgästen herüber.
„Ich
besuche einen anderen Freund, Jef“.
„Bin
ich schuldig geworden, Gra?“
„Nein,
ich verlasse nur unser abgeschiedenes Leben,
wir sind ein wenig hochmütig, mein Guter.“
Hans,
der Wirt, gestattet sich Tränen, nachdem seine drei Gäste, die ihm vertraut sind, ihr Mahl
beendet haben.
Vor
dem Lokal nimmt Gra seinen Abschied von Jef in einer kurzen Umarmung.
„Wann
wirst du zurück sein, Gra?“ Unbeantwortet bleibt diese Frage, Graham geht.
Julie
geleitet Jef nach Hause.
„Ein
wenig verloren bin ich, Jef, auch ich“, Julie löst sich von ihrem Schweigen,
„lass uns zusammen bleiben für eine
Nacht.“
Sie
betreten Jefs Wohnung, uneinsam.
Jefs
kalter Rosé- Wein erfüllt beider Gläser großzügig.
Später,
in ihrem Liebesakt, gehen sie nicht verloren, sanfthochmütig fühlen sie sich ein, einander achtend für
diesen endenden Zeitraum.
Sehr
spät in der Nacht glockt ein Mensch an Jefs Haustür, zweimal kurz.
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