Samstag, 6. Dezember 2014

Adventskalender 2014 - 6. Advent (Nikolaus)






Zwei Söhne
von Dagmar  Weck                                                      


Camilles und Matts Erwartung füllt ihr Häuschen und die Zeit
der Weihnacht. „Er kommt heute, Matt“ Camille zupft am Ärmel
von Matts ausgebeultem roten Pulli, „zieh dich um!“
Matt schlurft durch das Wohnzimmer zum Weihnachtsbaum, prüft
die gleichmäßige Verteilung der matt-goldenen Weihnachtskugeln, schüttelt
von einigen  künstlichen Zweigen Staub,  der lässt sich auf den Weihnachtspäckchen unter dem Baum nieder

Vier Jahre steht der Kunstbaum in unveränderter Position da, in seinem unveränderbaren Christbaumschmuck.
„Deinen besten Anzug habe ich dir aufs Bett gelegt, wir wollen Leon festlich
empfangen, mein Lieber“.
Matt verlässt das Zimmer, er ist Mitte Fünfzig und geht gebeugt.
Er weiß wenig über seine Nachbarn, die direkt nebenan wohnen, er weiß
nichts mehr von seinen alten Freunden. Er fragte sie nicht mehr, was sie tun, was sie freut und bedrückt, so kamen sie nicht wieder.
Von seinem Sohn Leon weiß er etwas, Leon ging  ohne Abschied fort am
Heiligen Abend vor vier Jahren. 

Einmal im Jahr sagte er seinen  Eltern am Telefon, er komme wieder, am Heiligen Abend werde er da sein, gewiss.

Matt steht vor seiner Haustür, sein bester Anzug kleidet ihn gut. Er rückt
den draußen angebrachten roten Weihnachtstern  zurecht.
„Hallo, Matt, was tust du da?“ Thea, seine nächste Nachbarin, sieht zu ihm
herüber. Eine Sehnsucht ergreift ihn, sein Herz klopft heftig, wie lange nicht mehr, er lächelt und winkt einmal zaghaft Thea zu.
Er geht wieder hinein,  lässt die Haustür geöffnet.
Für Leon.

Matt geht in das  Herz des Hauses  zurück, ins Wohnzimmer. Camille hat den Tisch gedeckt, um genau 18.15 Uhr beginnt in  jedem Jahr das Festmahl, keine Minute früher, keine Minute später. Dem Heilligen Abend gebührt die Ehre der
Pünktlichkeit.
Wein gibt es reichlich, köstlich duftet eine große Gans.
Nachdem Matt und Camille zwei Flaschen Wein geleert und sich ihre Liebe zu
Leon und für einander erklärt haben, klopfen zwei Menschen an ihre offen stehende Zimmertür. Thea und Leon treten ein.
So viel Besuch löst Angst in ihnen aus.
„Ich bin da, pünktlich, wie versprochen.“
Camille drückt ihren Sohn fest an sich. Matt begreift und lässt einer Träne
freien Lauf, er fasst sie vorsichtig mit einem Finger an, fast ungläubig, breitet     seine Arme aus, und geht auf Leon zu.
„Habt ihr meinen Ruedi gesehen“, Thea steht zitternd da., „heute morgen ist er aus dem Haus gegangen und noch nicht wiedergekommen.“
Matt und Camille sehen sich an. „Er kommt wieder, liebe Thea, nur etwas später“, Camille weiß viel.


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