Dienstag, 9. Dezember 2014

Adventskalender 2014 - 9. Advent




Eine aktuelle Krippengeschichte


Der "Mohr von Venedig" im Stadtwappen
der Gemeinde Mittenwald.
Auf dem Handelsweg zwischen Venedig
und Augsburg gelegen, da hatte man noch
nie Vorurteile gegenüber Fremden.
(Anm. Redaktion)

von Reinhard Lackinger


Mutti freut sich über die Weihnachtsbotschaften die sie eben ausgehändigt kriegt. Das Leuchten ihrer Augen und ihre roten Wangen bezeugen das.
“Persönliche Schreiben werden immer seltener”, sagt sie. Dabei betrachtet sie mit besonderem Interesse das Weihnachtsbillet, das uns mein Onkel Hans geschickt hat.
Mutti sagt, ich soll mich zu ihr setzen.
“Schau”, sagt sie. Die vor uns liegende Karte zeigt die Weihnachtskrippe von Grafendorf.
Mutti erklärt mir die Figuren rund um das Heilige Paar mit dem Chistkind. Dabei wirft sie einen fragenden Seitenblick auf Vati, der die Zeitung liest.
Vati geht nie mit uns in die Kirche. Ab und zu sagt er, Religion sei gut für die Erziehung der Kinder. Damit bin ich gemeint. Das heisst, er habe nichts dagegen wenn ich mit Mutti der Heiligen Messe beiwohne.
Mutti weiss dass ich Weihnachtskrippen mag. Wir haben hier zu Hause auch eine. Jedes Jahr holt Vati am Heiligen Abend die Pappschachtel mit den Figuren aus dem Keller und stellt die Krippe unter den Christbaum.
Wie Mutti, kenne auch ich längst alle Krippenfiguren. Dennoch vergewissere ich mich immer wieder ob diesmal nicht ein Herbergsbesitzer darunter ist. Ich zähle sogar die Anzahl der Schafe und Hirten.
Die Grusskarte mit der Weihnachtskrippe aus Grafendorf zeigt Figuren, die während des Advents noch nicht zur Gruppe gehören. Die Heiligen Drei Könige knien vor der Krippe und hinter ihren Geschenken.
Die Verspätung der drei Weisen ist mir ein Rätsel! Warum haben  Kaspar, Melchior und Balthasar just König Herodes nach dem Weg fragen müssen? Hätte sie der Stern von Bethlehem nicht direkt zum Geburtsort Christi geführt? Was haben sich die Intellektuellen von jenem grausamen Machthaber erwartet?
Ein Umweg über Jerusalem, der ihnen zwei Wochen Reisezeit kostete und tausenden Neugeborenen das Leben.
Während Mutti von der vielen Arbeit spricht, die so eine Weihnachtskrippe beansprucht, wird mein Gesichtssinn vom Antlitz des dunkelhäutigen Magiers angezogen. Von seiner Physiognomie sind nur die Augen und die dicken hellen Lippen zu sehen. Er erinnert mich an den Zeigungsverkäufer am Grazer Hauptplatz. Als wir unlängst in einem Laden der Sporgasse Marzipan einkauften, stand er da an der Ecke zur Sackstraße. Ich sage zu Mutti dass König Balthazar eigentlich und genau genommen aussieht wie jene Opfer der nordamerikanischen Polizei, von denen in letzter Zeit im Fernsehen die Rede ist
Irgendwie erinnert mich der Mohr auch an die Palestinenser vom Gazastreifen, erlaube ich mir hinzuzufügen. Bethlehem und Jerusalem liegen ja auch nicht mehr weit entfernt.
Animiert und angespornt durch Muttis rote Wangen erdreiste ich mich zu behaupten dass ich mir König Herodes wie Benjamin Netanyahu vorstelle.
Da senkt auch schon Vati die Zeitung und schaut mich mit ernstem Gesicht an.
Kein Wunder! Vati war nie gut auf die Schwarzen zu sprechen! Auch wenn die Schwarzen von seiner Politisiererei keine Mohren sind.
Da sagt Vati zu Mutti dass er von nun an daran zweifle ob Religion und Weihnachtskrippen weiterhin gut wären für die Erziehung der Kinder.

Salvador 8. Dezember 2014

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