von Ferdinand Planegger
„Post
für Dich mein Schatz, richtige Post, ein echter Brief“, ruf ich meiner Frau
durch die halbgeöffnete Küchentür zu, als ich vom täglichen Briefkastenleeren
nach dem Nachdenkspaziergang zurück komme.
„Was?
Post für mich? Von wem? fragt mich Regina zwischen zischenden Dampfgeräuschen
und metallischen Klappern von hastig zur Seite geschobenen Küchenutensilien.
Sie ist wieder einmal in ihrem Element. Mich zu bekochen ist ihre große
Leidenschaft. Beim Ausziehen meiner
Schuhe wird deutlich, wo und wie sich ihre Kochkunst niederschlägt. In
gebückter Haltung, den Hintern an der Wand, des Gleichgewichts wegen, mit einer
Hand die Laufschuhe von den Füßen zerrend, erkenne ich den Absender.
„Ein
Brief von unserer Bank“, presse ich aus mir heraus.
„Mach
ihn bitte auf und lies vor. Ich kann nicht, ich habe fettige Hände.“
Der
Brief fühlt sich edel an. Ich ziehe einen Folder aus feinstem Papier mit
Reliefprägung aus dem Kuvert und lese vor:
„Der
Vorstand der Bank lädt sie herzlich zum Literatur-Talk im Donau-Forum in Linz
ein. Der österreichische Schriftsteller und Bestseller-Autor Daniel Glattauer
liest aus seinem neuen Buch“. Das Rahmenprogramm sieht eine Signierrunde mit
dem Autor vor. Selbstverständlich steht ein Büchertisch mit allen Werken von
Daniel Glattauer zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihr Kommen.“
„Und
der Brief ist an mich gerichtet?“
„Ja,
an dich. Nur an Dich!“
„Und
Du? Hast Du keine Einladung bekommen?“
Ich
krame den Wust an Werbeprospekten, Gratiszeitungen und sonstigen
Briefkastenfüllern durch.
„Nein,
da ist nichts.“
Ich
verkneife meine Enttäuschung und sage nicht, was ich denke. Nämlich, dass
meiner Meinung nach der Bank ein grober Fehler unterlaufen ist, denn eigentlich
kann ja nur ich als Interessent für kulturelle Veranstaltungen gemeint sein.
Ich
gebe zu, dass die Bank nicht wirklich wissen kann, dass ich schreibe. Aber
warum dann Regina? Ich bin doch der „Literat“
in diesem Haus. Meine Frau liest zwar meine Geschichten, korrigiert meine Texte,
aber sonst ist sie Leserin, keine Schreiberin.
„Ist
doch egal, Ferdinand. Du weißt ja, ich gehe gerne auf Deine Lesungen, andere
interessieren mich nicht so sehr. Du gehst als meine Vertretung zu dieser Lesung.
O.k?“
Was
soll ich da antworten? Sie ist so angenehm pragmatisch, meine Gute. Mein
anfänglicher Frust ist schon am Abklingen und ich fange an, mich für den Abend
mit Daniel Glattauer einzustimmen. Als erstes besorge ich mir die hochgelobte
Neuerscheinung. Seine letzten Bestseller „Gut
gegen Nordwind“ und den Folgeroman „Alle
sieben Wellen“ habe ich gern gelesen.
„Leichte
Kost“ würden meine Kollegen und insbesondere die vortragenden Schriftsteller
der Literatur-Akademie lästern.
Egal,
ich mag sie trotzdem, die Glattauer´s, die Glavinic´s und so weiter.
Donau-Forum,
wo ist das?
Linz
ist nicht meine Stadt, ich fühle mich fremd hier. Die Erinnerungen an längst
vergangene Zeiten sind negativ. Damals in den 70ern hatte ich hier Arbeit
gesucht.
„Als
Fliesenleger im Winter? Keine Chance“, sagte mir ein Sachbeabeiter am
Arbeitsamt.
„Aber
ich brauche dringend Arbeit, egal was, ich mache alles.“
Ich
schämte mich, keine Arbeit zu haben. Als Fliesenleger arbeitslos zu sein, war
von vornherein verdächtig.
„Gehen
Sie halt stempeln und kommen Sie im Frühjahr wieder.“
„Das
kann ich nicht, mir fehlen die notwendigen Beitragszeiten.“
„Also
gut, ich schau mal nach“. Er blätterte in seiner Kartei, taxierte mich
prüfend und meinte etwas skeptisch:
„Im
Hafen hätt ich was. Verladearbeiten. Da sind sie überqualifiziert, das wird Ihnen
nicht gefallen.“
Tat
es auch nicht, aber was sollte ich tun? Ich hatte keine Wahl, ich war total
abgestürzt, wie man so sagt. Kein Bett, nichts zu Essen, vom Rauchen und
Trinken gar nicht zu reden.
Vier
Tage habe ich Asbestballen von Donauschleppern in Eisenbahnwaggons umgeladen.
Händisch und mit der Sackrodel. Abends wankte ich wie besoffen in das
zugeteilte Arbeiterquartier. Dass es in diesem Dreckloch stank und muffig war,
spielte keine Rolle. Hauptsache ein Dach über dem Kopf und ein paar geschenkte
Zigaretten von Hafenarbeitern.
Am
Freitag gab es Vorschuss auf den Lohn und ich betrat zum ersten Mal die
Kantine. Was für ein Festessen! Ein bis an den Rand gefülltes Teller mit
würziger Gulaschsuppe, Brot dazu und Bier. Drei Halbe.
Mein
Körper revoltierte. Gulaschsuppe samt Bierschaum kamen magenwendend zurück, das
Klo hatte ich knapp verpasst. Der Wirt hat mich rausgeschmissen, der
Vorarbeiter auch. Ich war wieder arbeitslos und zog weiter in Richtung
Innenstadt. An der unteren Donaulände saß ich auf einer Bank, sah den Möwen zu
und dachte an ein besseres Leben.
Jetzt,
in diesem erträumten Leben, stehe ich an gleicher Stelle, nur einen Steinwurf
von dieser Bank entfernt. Nur der Blick
zum Pöstlingberg ist der gleiche, die Umgebung spiegelt sich in Glasfasaden der
Linzer Kulturmeile.
Es
ist noch eine Stunde Zeit bis zur Lesung, einige Besucher stehen mit mir am
Aschenbecher vor dem Glas-Marmor-Palast. Der Eingangsbereich ähnelt einer Aula,
kleine Gruppen diskutierender Literaturliebhaber stehen vereinzelt vor dem
Übergang ins Foyer des Auditoriums. Eine dauerlächelnde Hostess scannt meine
Einladungskarte und mir wird in diesem Moment klar, dass diese Lesung nichts
mit jenen zu tun hat, die ich in der Vergangenheit besucht habe. Das hier ist
keine heimelige Bibliothek mit Sesselkreisen um den Autor, kein intimes
Zusammenrücken zwischen Literaturfreunden. Meine Hoffnung, irgendwen zu treffen
den ich kenne, ist vergeblich. Ich schlängle mich durch die, mit damastweißen Tischtüchern
dekorierten, Stehtische an denen hunderte Menschen mit Sektflöten und
Weinschwenkern smalltalken.
„Ein
Glas Sekt für den Herrn?“, lispelt mir eine junge Auszubildende zu. „Haben Sie
auch was Alkoholfreies?“, frage ich freundlich. Vermutlich wurde sie abkommandiert
für diesen Job, sie wirkt ein wenig schüchtern und unsicher. Das macht sie zu
einer Seelenverwandten, denn mir geht es auch nicht viel besser.
„Ich
hole Ihnen ein Wasser“, sagte sie und suchte nach einer Möglichkeit, die vollen
Sektgläser irgendwo abzustellen.
„Das
ist aber nett von Ihnen. Geben Sie mir das Tablett, ich halte das solange für
Sie“, sage ich im väterlichen Ton.
Die
Wartezeit auf mein Mineralwasser wird durch ein fröhliches, älteres Ehepaar
abgekürzt, sie halten mich für den Sekt-Servierer und räumen kurzerhand den
gesamten Vorrat an Trinkbarem ab. Auch gut, jetzt habe ich wenigstens die Hände
wieder frei. Janette, der Name steht auf ihrem Namenschild, ist mit meinem
Getränk zurück, bedankt sich überschwänglich und wünscht mir einen angenehmen
Abend.
Ich
fühle mich nicht wohl in diesen Menschentrauben, irgendwann gebe ich es auf,
nach bekannten Gesichtern zu suchen und schlendere weiter in Richtung
Veranstaltungssaal und Bühne. Gigantisch. Das ist mein erster Eindruck. Ich bin
einer der Ersten hier im Auditorium und bewege mich zum vorderen Bühnenrand.
Die ersten zehn Sesselreihen sind alle reserviert. Auch für mich? Immerhin
steht auf der Einladung, dass für mich, respektive für Regina, ein Platz
reserviert ist. Ich will mich nicht auf irgendwelche Diskussionen einlassen und
steuere den mittleren Bereich ohne Reservierung an. Die Sicht auf die Bühne ist
gut, außerdem ist das gar nicht mehr so wichtig, denn die Videowall ist so
riesig, dass man auch ganz hinten im Raum bestens sehen und hören kann.
Vereinzelt
sitzen ein paar Sektverweigerer verloren in einem Meer von Sesselreihen. Ich
zähle soweit ich sehen kann, den Rest schätze ich auf fünfzig Stühle
nebeneinander vor der Bühne. Nach hinten sind es etwa dreißig Reihen.
Der
kleine Lesetisch, gerademal groß genug für das Manuskript des Autors und dem
obligaten Wasserglas, bildet mit dem
spartanischen Sessel eine einsame Symbiose.
Nur
gedämpftes Gemurmel der Aperativschlürfer dringt in den Saal. Ich sitze bequem,
fußfrei, im mittleren Besucherblock. Wer früher kommt, hat die Auswahl,
wenigstens für heute stimmt das. Der Programmfolder dient meinen Händen als
Beschäftigung für die rauchfreie Zeit. Es herrscht im gesamten Gebäude
Rauchverbot. Es mehren sich die Argumente, endlich mit dem Rauchen aufzuhören,
denke ich. Meine Alkoholsucht habe ich erfolgreich bekämpft, mit dem Nikotin
bin ich noch nicht so weit. Vermutlich weil das Rauchen keine sozialen Probleme
bereitet. Oder doch? Mittlerweile werden Raucher immer öfter ausgegrenzt, vor
die Tür verbannt, abgesondert.
Von
der Video-Wall schaut das Bild von Daniel Glattauer direkt in die Sesselreihen.
Ich und wahrscheinlich jeder hier im Raum, muss den Eindruck gewinnen, dass er
ihm oder ihr direkt in die Augen schaut. Gut gemacht. Neben dem Bild des
Schriftstellers stehen die Slogans: Bestsellerautor, vier oder noch mehr
Millionen verkaufte Bücher – Trotz Superlative nicht abgehoben – Mensch wie du
und ich – Geerdet.
Ich
ertappe mich beim Fantasieren. Was wäre wenn? Wenn ich von da oben
herunterlächeln würde, mein Buch vorgestellt würde, ich vom Moderator begrüßt
und vom Publikum mit Applaus empfangen würde. Wie mich die Menschen bedrängen
würden, ihnen zu erzählen, wie ich das alles geschafft habe.
Wie
wäre es, wenn mein Wort mehr Gewicht kriegte, ich mir gescheite Sätze einfallen
lassen müsste, um meinen Erfolg zu rechtfertigen. Ich glaube, Erfolg kann betrunken
machen – glücklich betrunken oder poetisch – Trunken vor Glück. Das wäre der
Rausch, den ich mir noch zugestehen würde.
Ja,
ich würde was tun. Mein Anliegen sind die Leute vom Rand. Es gibt zu wenig
Stimmen die gehört werden. Das zu ändern wäre eine Aufgabe.
Ich
habe nicht bemerkt wie sich der Saal füllte, das Licht gedämmt wurde und der
Moderator mit dem Veranstalter das Podium betreten hat. Applaus lässt die Luft
vibrieren, das bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Daniel Glattauer wird
vom Direktor des Hauses angesagt und betritt die Bühne. Applaus! Kein Gejohle
und Gepfeiffe, nur respektvoller Applaus.
Glattauer
begrüßt fast ein bisschen verlegen das Publikum, stellt seine Geschichte vor
und erklärt den Leuten, wie es dazu kam. Des Schriftstellers zweite Kunst ist
das Interpretieren seines Werkes, den Wörterteppich aufzurollen und den Zuhörer
mitzunehmen in seine Welt. Hier und heute ist das fraglos gelungen.
Ich
stelle mich nicht in die endlose Schlange, um das Buch vom Autor signieren zu
lassen. Ich gehe still und leise aus dem Auditorium. Ich will nach Hause an
meinen Schreibtisch. Ich muss die Reise zu meinen Traum beginnen.
von Ferdinand Planegger
„Post
für Dich mein Schatz, richtige Post, ein echter Brief“, ruf ich meiner Frau
durch die halbgeöffnete Küchentür zu, als ich vom täglichen Briefkastenleeren
nach dem Nachdenkspaziergang zurück komme.
„Was?
Post für mich? Von wem? fragt mich Regina zwischen zischenden Dampfgeräuschen
und metallischen Klappern von hastig zur Seite geschobenen Küchenutensilien.
Sie ist wieder einmal in ihrem Element. Mich zu bekochen ist ihre große
Leidenschaft. Beim Ausziehen meiner
Schuhe wird deutlich, wo und wie sich ihre Kochkunst niederschlägt. In
gebückter Haltung, den Hintern an der Wand, des Gleichgewichts wegen, mit einer
Hand die Laufschuhe von den Füßen zerrend, erkenne ich den Absender.
„Ein
Brief von unserer Bank“, presse ich aus mir heraus.
„Mach
ihn bitte auf und lies vor. Ich kann nicht, ich habe fettige Hände.“
Der
Brief fühlt sich edel an. Ich ziehe einen Folder aus feinstem Papier mit
Reliefprägung aus dem Kuvert und lese vor:
„Der
Vorstand der Bank lädt sie herzlich zum Literatur-Talk im Donau-Forum in Linz
ein. Der österreichische Schriftsteller und Bestseller-Autor Daniel Glattauer
liest aus seinem neuen Buch“. Das Rahmenprogramm sieht eine Signierrunde mit
dem Autor vor. Selbstverständlich steht ein Büchertisch mit allen Werken von
Daniel Glattauer zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihr Kommen.“
„Und
der Brief ist an mich gerichtet?“
„Ja,
an dich. Nur an Dich!“
„Und
Du? Hast Du keine Einladung bekommen?“
Ich
krame den Wust an Werbeprospekten, Gratiszeitungen und sonstigen
Briefkastenfüllern durch.
„Nein,
da ist nichts.“
Ich
verkneife meine Enttäuschung und sage nicht, was ich denke. Nämlich, dass
meiner Meinung nach der Bank ein grober Fehler unterlaufen ist, denn eigentlich
kann ja nur ich als Interessent für kulturelle Veranstaltungen gemeint sein.
Ich
gebe zu, dass die Bank nicht wirklich wissen kann, dass ich schreibe. Aber
warum dann Regina? Ich bin doch der „Literat“
in diesem Haus. Meine Frau liest zwar meine Geschichten, korrigiert meine Texte,
aber sonst ist sie Leserin, keine Schreiberin.
„Ist
doch egal, Ferdinand. Du weißt ja, ich gehe gerne auf Deine Lesungen, andere
interessieren mich nicht so sehr. Du gehst als meine Vertretung zu dieser Lesung.
O.k?“
Was
soll ich da antworten? Sie ist so angenehm pragmatisch, meine Gute. Mein
anfänglicher Frust ist schon am Abklingen und ich fange an, mich für den Abend
mit Daniel Glattauer einzustimmen. Als erstes besorge ich mir die hochgelobte
Neuerscheinung. Seine letzten Bestseller „Gut
gegen Nordwind“ und den Folgeroman „Alle
sieben Wellen“ habe ich gern gelesen.
„Leichte
Kost“ würden meine Kollegen und insbesondere die vortragenden Schriftsteller
der Literatur-Akademie lästern.
Egal,
ich mag sie trotzdem, die Glattauer´s, die Glavinic´s und so weiter.
Donau-Forum,
wo ist das?
Linz
ist nicht meine Stadt, ich fühle mich fremd hier. Die Erinnerungen an längst
vergangene Zeiten sind negativ. Damals in den 70ern hatte ich hier Arbeit
gesucht.
„Als
Fliesenleger im Winter? Keine Chance“, sagte mir ein Sachbeabeiter am
Arbeitsamt.
„Aber
ich brauche dringend Arbeit, egal was, ich mache alles.“
Ich
schämte mich, keine Arbeit zu haben. Als Fliesenleger arbeitslos zu sein, war
von vornherein verdächtig.
„Gehen
Sie halt stempeln und kommen Sie im Frühjahr wieder.“
„Das
kann ich nicht, mir fehlen die notwendigen Beitragszeiten.“
„Also
gut, ich schau mal nach“. Er blätterte in seiner Kartei, taxierte mich
prüfend und meinte etwas skeptisch:
„Im
Hafen hätt ich was. Verladearbeiten. Da sind sie überqualifiziert, das wird Ihnen
nicht gefallen.“
Tat
es auch nicht, aber was sollte ich tun? Ich hatte keine Wahl, ich war total
abgestürzt, wie man so sagt. Kein Bett, nichts zu Essen, vom Rauchen und
Trinken gar nicht zu reden.
Vier
Tage habe ich Asbestballen von Donauschleppern in Eisenbahnwaggons umgeladen.
Händisch und mit der Sackrodel. Abends wankte ich wie besoffen in das
zugeteilte Arbeiterquartier. Dass es in diesem Dreckloch stank und muffig war,
spielte keine Rolle. Hauptsache ein Dach über dem Kopf und ein paar geschenkte
Zigaretten von Hafenarbeitern.
Am
Freitag gab es Vorschuss auf den Lohn und ich betrat zum ersten Mal die
Kantine. Was für ein Festessen! Ein bis an den Rand gefülltes Teller mit
würziger Gulaschsuppe, Brot dazu und Bier. Drei Halbe.
Mein
Körper revoltierte. Gulaschsuppe samt Bierschaum kamen magenwendend zurück, das
Klo hatte ich knapp verpasst. Der Wirt hat mich rausgeschmissen, der
Vorarbeiter auch. Ich war wieder arbeitslos und zog weiter in Richtung
Innenstadt. An der unteren Donaulände saß ich auf einer Bank, sah den Möwen zu
und dachte an ein besseres Leben.
Jetzt,
in diesem erträumten Leben, stehe ich an gleicher Stelle, nur einen Steinwurf
von dieser Bank entfernt. Nur der Blick
zum Pöstlingberg ist der gleiche, die Umgebung spiegelt sich in Glasfasaden der
Linzer Kulturmeile.
Es
ist noch eine Stunde Zeit bis zur Lesung, einige Besucher stehen mit mir am
Aschenbecher vor dem Glas-Marmor-Palast. Der Eingangsbereich ähnelt einer Aula,
kleine Gruppen diskutierender Literaturliebhaber stehen vereinzelt vor dem
Übergang ins Foyer des Auditoriums. Eine dauerlächelnde Hostess scannt meine
Einladungskarte und mir wird in diesem Moment klar, dass diese Lesung nichts
mit jenen zu tun hat, die ich in der Vergangenheit besucht habe. Das hier ist
keine heimelige Bibliothek mit Sesselkreisen um den Autor, kein intimes
Zusammenrücken zwischen Literaturfreunden. Meine Hoffnung, irgendwen zu treffen
den ich kenne, ist vergeblich. Ich schlängle mich durch die, mit damastweißen Tischtüchern
dekorierten, Stehtische an denen hunderte Menschen mit Sektflöten und
Weinschwenkern smalltalken.
„Ein
Glas Sekt für den Herrn?“, lispelt mir eine junge Auszubildende zu. „Haben Sie
auch was Alkoholfreies?“, frage ich freundlich. Vermutlich wurde sie abkommandiert
für diesen Job, sie wirkt ein wenig schüchtern und unsicher. Das macht sie zu
einer Seelenverwandten, denn mir geht es auch nicht viel besser.
„Ich
hole Ihnen ein Wasser“, sagte sie und suchte nach einer Möglichkeit, die vollen
Sektgläser irgendwo abzustellen.
„Das
ist aber nett von Ihnen. Geben Sie mir das Tablett, ich halte das solange für
Sie“, sage ich im väterlichen Ton.
Die
Wartezeit auf mein Mineralwasser wird durch ein fröhliches, älteres Ehepaar
abgekürzt, sie halten mich für den Sekt-Servierer und räumen kurzerhand den
gesamten Vorrat an Trinkbarem ab. Auch gut, jetzt habe ich wenigstens die Hände
wieder frei. Janette, der Name steht auf ihrem Namenschild, ist mit meinem
Getränk zurück, bedankt sich überschwänglich und wünscht mir einen angenehmen
Abend.
Ich
fühle mich nicht wohl in diesen Menschentrauben, irgendwann gebe ich es auf,
nach bekannten Gesichtern zu suchen und schlendere weiter in Richtung
Veranstaltungssaal und Bühne. Gigantisch. Das ist mein erster Eindruck. Ich bin
einer der Ersten hier im Auditorium und bewege mich zum vorderen Bühnenrand.
Die ersten zehn Sesselreihen sind alle reserviert. Auch für mich? Immerhin
steht auf der Einladung, dass für mich, respektive für Regina, ein Platz
reserviert ist. Ich will mich nicht auf irgendwelche Diskussionen einlassen und
steuere den mittleren Bereich ohne Reservierung an. Die Sicht auf die Bühne ist
gut, außerdem ist das gar nicht mehr so wichtig, denn die Videowall ist so
riesig, dass man auch ganz hinten im Raum bestens sehen und hören kann.
Vereinzelt
sitzen ein paar Sektverweigerer verloren in einem Meer von Sesselreihen. Ich
zähle soweit ich sehen kann, den Rest schätze ich auf fünfzig Stühle
nebeneinander vor der Bühne. Nach hinten sind es etwa dreißig Reihen.
Der
kleine Lesetisch, gerademal groß genug für das Manuskript des Autors und dem
obligaten Wasserglas, bildet mit dem
spartanischen Sessel eine einsame Symbiose.
Nur
gedämpftes Gemurmel der Aperativschlürfer dringt in den Saal. Ich sitze bequem,
fußfrei, im mittleren Besucherblock. Wer früher kommt, hat die Auswahl,
wenigstens für heute stimmt das. Der Programmfolder dient meinen Händen als
Beschäftigung für die rauchfreie Zeit. Es herrscht im gesamten Gebäude
Rauchverbot. Es mehren sich die Argumente, endlich mit dem Rauchen aufzuhören,
denke ich. Meine Alkoholsucht habe ich erfolgreich bekämpft, mit dem Nikotin
bin ich noch nicht so weit. Vermutlich weil das Rauchen keine sozialen Probleme
bereitet. Oder doch? Mittlerweile werden Raucher immer öfter ausgegrenzt, vor
die Tür verbannt, abgesondert.
Von
der Video-Wall schaut das Bild von Daniel Glattauer direkt in die Sesselreihen.
Ich und wahrscheinlich jeder hier im Raum, muss den Eindruck gewinnen, dass er
ihm oder ihr direkt in die Augen schaut. Gut gemacht. Neben dem Bild des
Schriftstellers stehen die Slogans: Bestsellerautor, vier oder noch mehr
Millionen verkaufte Bücher – Trotz Superlative nicht abgehoben – Mensch wie du
und ich – Geerdet.
Ich
ertappe mich beim Fantasieren. Was wäre wenn? Wenn ich von da oben
herunterlächeln würde, mein Buch vorgestellt würde, ich vom Moderator begrüßt
und vom Publikum mit Applaus empfangen würde. Wie mich die Menschen bedrängen
würden, ihnen zu erzählen, wie ich das alles geschafft habe.
Wie
wäre es, wenn mein Wort mehr Gewicht kriegte, ich mir gescheite Sätze einfallen
lassen müsste, um meinen Erfolg zu rechtfertigen. Ich glaube, Erfolg kann betrunken
machen – glücklich betrunken oder poetisch – Trunken vor Glück. Das wäre der
Rausch, den ich mir noch zugestehen würde.
Ja,
ich würde was tun. Mein Anliegen sind die Leute vom Rand. Es gibt zu wenig
Stimmen die gehört werden. Das zu ändern wäre eine Aufgabe.
Ich
habe nicht bemerkt wie sich der Saal füllte, das Licht gedämmt wurde und der
Moderator mit dem Veranstalter das Podium betreten hat. Applaus lässt die Luft
vibrieren, das bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Daniel Glattauer wird
vom Direktor des Hauses angesagt und betritt die Bühne. Applaus! Kein Gejohle
und Gepfeiffe, nur respektvoller Applaus.
Glattauer
begrüßt fast ein bisschen verlegen das Publikum, stellt seine Geschichte vor
und erklärt den Leuten, wie es dazu kam. Des Schriftstellers zweite Kunst ist
das Interpretieren seines Werkes, den Wörterteppich aufzurollen und den Zuhörer
mitzunehmen in seine Welt. Hier und heute ist das fraglos gelungen.
Ich
stelle mich nicht in die endlose Schlange, um das Buch vom Autor signieren zu
lassen. Ich gehe still und leise aus dem Auditorium. Ich will nach Hause an
meinen Schreibtisch. Ich muss die Reise zu meinen Traum beginnen.
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