Sonntag, 22. September 2013

Klausurtagung 13./14.09.2013

Keltendorf auf dem Kulm
Zwei Tage lang wurde in der oststeirischen Gemeinde Pischelsdorf über die zukünftige Ausrichtung unseres Kulturmagazins "Reibeisen", der Organisation der "Literaturbiennale 2014", die mangelnde öffentliche Projektörderung und vieles andere gesprochen.
Die Ergebnisse dieser Gespräche sollten sich demnächst auf das Vereinsleben auswirken.

Fröhlicher Abend in einer Rauchkuchl aus dem 17. Jahrhundert

Klausurarbeit














Aber auch der gesellige Part der Tagung kam nicht zu kurz, wie die Bilder zeigen:
Neben einem fröhlichen Abend mit Bewirtung in einer original steirischen "Rauchkuchl", krönte die Tagung den abschließenden Besuch des Keltendorfes auf dem Kulm. Unseren Gastgebern nochmals ein herzliches Dankeschön!

R.Mermi

Thomas Glavinic: Das größere Wunder



Roman, Hanser Verlag, 2013


Als ich vor einigen Jahren das Buch „Das bin doch ich“ dieses Autors las, habe ich mir geschworen, nie mehr einen Text dieses Autors zu lesen.

Nun passiert mit dem neuen Roman eine unglaubliche Hype. Startauflage 50 000 Exemplare, hymnische Lobesbesprechungen im Standard, vernichtende Kritik in „El libris“ in Ö1, eher schwache Beurteilungen in der „Presse“
Ich wurde neugierig. Mein Budget nach dem Sommer war nicht allzu angespannt, also konnte ich mir die paar Euro abzwacken und das Buch bestellen. Meine Buchhändlerin sagte mir, sie sei auch schon neugierig auf meine Beurteilung, da sie eben auch so unterschiedliche Meinungen  hörte und las. Und nach Kapfenberg kommt der Autor auch.
Also: Das größere Wunder gekauft und zu lesen begonnen.
Fangen wir beim Leichteren an, beim Plot, beim Thema, der Handlung:
Wir erinnern uns, in der Kindheit das Märchen gehört oder selber gelesen zu haben, wo es einer armen Familie gelungen ist, einen Teller Grießbrei zu bekommen der nie zu Ende ging. Die Armen, immer nur Grießbrei essen, dachte ich mir damals schon als Kind. Muss das fad sein! Nun der Protagonist des Romans ist in der Situation. Der braucht nie mehr was tun, das Geld hat ihm sein Adoptivgroßvater (wenn man diese schon einmal eigenwillige Konstruktion so bezeichnen will) hinterlassen, es wird nie ausgehen, was immer er auch tut – oder nicht tut. Wie halt das so ist, immer nur Grießbrei essen – ohne jemals die Chance zu haben, selber einen kochen zu müssen, das ist stinklangweilig. Und so entwickelt sich das Leben des Protagonisten Jonas. Nach einer zugegeben turbulenten Kindheit, die davon geprägt war, dass der Adoptivgroßvater da war und alles (und alle!) aus dem Weg räumte, die böse, hinderlich, waren. Probleme? Schule? Ärger mit Freunden? Leibwächter Zach sorgte für klare Verhältnisse. Da kann es schon einmal vorkommen, dass einem Zahnarzt, der dem Jungen zwei Zähne ohne Betäubung gezogen hatte, zur Strafe einmal die Hände und die Arme gebrochen wurden und dann sämtliche Zähne ausgerissen wurden. Probleme mit einer Verfolgung, Ausforschung des/der Täter? Der Dorfgendarm fährt ein Auto, das er sich mit seinem Gehalt nie leisten könnte, wohnt in einem Anwesen, dass ... Soweit, so zum Gähnen.
Der Adoptivgroßvater stirbt, dessen leiblicher Enkel kommt bei einem der jugendlichen abenteuerlichen Mutproben ums Leben, Jonas bleibt allein zurück mit Geld – siehe Grießbrei!
Irgendwann entschließt er sich – (weil mir so fad ist???) bei einer der kommerziellen Everest-Besteigungen mitzumachen. Wir kennen das zur Genüge. Fünfzigtausend Dollar und du bist dabei. Ob du herunter kommst? Keine Garantie, aber eben deswegen – weil mir so fad ist!
Vor dort an wurde das Buch für mich zwiespältig. Also spannend schreiben kann er der Glavinic, die Situation im Basislager, die Vorbereitung zum Aufstieg, der Auf- und Abstieg in die Hochlager und wieder zurück, die Kämpfe und Krämpfe innerhalb des Teams, die Eifersüchteleien der einzelnen Teamleiter untereinander, das alles ist mit Bravour geschrieben. Entweder war er dabei oder er hat sich gründlich informiert. Da muss ich sagen, selber als Bergsteiger, zwar nie auf dem Everest (nicht einmal im Traum gedacht – eben weil mir nicht fad ist), und über den Mont Blanc (in der Höhe) und das Matterhorn (in der Schwierigkeit) nie hinausgekommen, erlaube ich mir die Beurteilung: Das Bergabenteuer ist großartig geschrieben. Ich gestehe, ich habe das Buch in einem Zug ausgelesen. Auch deswegen, weil ich wissen wollte: Kommt der Jonas nun hinauf oder nicht. Wollen Sie es wissen? Nein ich verrate das nicht. Lesen Sie ruhig das Buch.
Ärgern Sie sich über den total gekünstelten Plot, den Grießbrei, die vielen Zufallskonstruktionen – wie viel Zufälle dürfen eigentlich auf 523 Romanseiten vorkommen? Aber genießen sie die total spannende Beschreibung des Bergabenteuers, auch wenn Sie schon glauben, die Akklimatisierung hört überhaupt nicht mehr auf!


Hans Bäck





Zu den Gedichtbänden von Ilse Brem





Unter einem fremden Himmel
Licht am Horizont
Nur ein kurzer Flügelschlag


„Wem kalt ist, dem erklärt man, dass Frieren zum Leben gehört“

Das sind drei Zeilen eines Gedichtes aus dem Band „nur ein kurzer Flügelschlag“
Dabei stellt sich für mich das Problem dar:

Die Gedichte sind schön und gut gemacht, sie entsprechen durchaus dem Postulat Peter von Matts: „Es gibt zwei Grundtatsachen, die allen Gedichten eingeschrieben sind: Erstens will das Gedicht schön sein - auch wenn das ein Dorn im Auge des regierenden Kunstbegriffs ist, und zweitens will es vollkommen sein: Die Sekunde der Vollkommenheit in Dauer verwandeln“[1]

Früher war es vollkommen klar, die Nymphe im Brunnen, das Mädchen am Brunnen, die Rosen im Haag, der Vollmond über de Weiden, aus denen der weiße Nebel steigt. All das war klar ersichtlich und wurde geschrieben und gedichtet. Wobei sich natürlich die Frage erhebt, wann war denn das „früher“? Im vorigen Jahrhundert, also von 1900 bis 2000 oder im Jahrhundert davor oder noch früher? In der Romantik, in der Klassik, im Barock? War das Früher vielleicht gar schon zur Zeit der alten Römer oder der Frau Ava? Jedenfalls, früher, da war alles anders, klarer, verständlicher und besser sowieso. Auch die Poesie. Der Vollmond war noch jungfräulich, die Metaphern noch unverbraucht, die Wanderer hockten zwischendurch auf den Bäumen, mit der Geige in der Tasche. In der nächsten Minute fiedelten sie bereits wieder frisch und fröhlich drauf los, kein Teufel kümmerte sich um Nachstimmen der Saiten. Das Bild reichte vollkommen. Man las und war vergnügt. Und gereimt hatte sich auch alles. Kunstvoll wurden immer weitere und komplizierte  Versformen gesucht und gefunden. Damit zog die Künstlichkeit in die Poesie ein. Unwiderruflich! Das Gedicht wurde daran gemessen, welche neuen Worte es für bekannte Bilder fand. Der Dichter wurde danach beurteilt, wie er Altbekanntes so verpackte, dass der Leser den „aha Effekt“ erlebte. Zwangsläufig einher ging damit eine Reduktion der Leserschaft. Lieschen (ob Müller oder eine andere spielt keine Rolle) fand sich nicht mehr in der Laube mit dem Sticktuch oder am Brunnen sitzen, mit der Katze spielend. Plötzlich kamen Begriffe in die Poesie, die verstörten, die verärgerten. Das „Nest von jungen Wasserraten im Haar Ophelias“[2], die „Krebsbaracke“[3] oder es sitzt Günter Eich verseschreibend auf der Latrine „über stinkenden Graben/Papier voll Blut und Urin/umschwirrt von funkelnden Fliegen“[4] wurden Gedicht. Wer will das noch lesen? Wen wunderts, dass sich die Leser von Gedicht abwandten, dem Roman zu. Der Trivialität ein Ohr schenkten. Und doch: Das nachweisbare Ereignis des Hässlichen im Gedicht widerlegt das Prinzip Peter von Matts nicht, dass das Gedicht schön sein will. Aber, ich kehre zu Peter von Matt (siehe Fußnote 1) zurück und zitiere: „Warum Ärgernis? Wir haben es uns bequem eingerichtet mit der Regel, dass Kunst wahr sein müsse, die Wahrheit aber nach dem Kenntnisstand des  20. Jahrhunderts keineswegs „schön“ sei. Wahr könne nur sein, was nicht schön ist. Also ist, was schön ist, nicht wahr, ist Lüge.“
Ist daher eine Kunstform, die in ihrem Innersten eigentlich schön sein will, ist sie daher verlogen von Grund auf?
Kehren wir zurück zu Ilse Brem. Zu dem eingangs zitierten Satz. So aneinander gereiht, stehen die Worte unpoetisch da. Ein Stehsatz, eine Allerweltsweisheit, wenn man versucht, das den Jungen heute mitzugeben, kann es passieren, dass man im besten Fall mitleidige Blicke bekommt. Im besten Fall! Also, warum diesen Satz aus einem Gedicht gerissen. Bei Georg Büchner steht einmal (Dantons Tod) wenn die Masken herunter gerissen werden, geht auch das Gesicht mit. Was reißen wir mit, wenn wir einen einzelnen Satz hernehmen? Der schnelle Leser würde sagen: Wo ist da die Poesie? Das ist nüchterne Prosa, das ist ein Großvatersatz, dem Enkel auf den Weg mitgegeben. Doch, nehmen wir das ganze Gedicht einmal her:

            Alltäglicher Bericht

Die Kinder haben selber Kinder,
ihre eigenen Verletzungen
und Vorstellungen vom Leben.

Den Eltern und Großeltern geht es gut
Ruhen sorgenfrei unterm Moos
Auf grauem Stein.

Unsere Freunde und Feinde
Stehen mit uns
Auf der Abschussrampe.

Wem kalt ist,
dem erklärt man,
dass Frieren zum Leben gehört.

Und urplötzlich baut sich eine Welt, ein Universum auf. Ein einfacher, vollkommen poesieloser Satz, ein von Trivialität triefender, möchte man fast sagen, wird Bestandteil eines Kosmos.

Ilse Brem gelingt es immer wieder, mit derart einfachen Sätzen, die allein gelassen nichtssagend bleiben würden (die Kinder haben selber Kinder – no na möchte man ausrufen) die Welt zu bauen, sie darzustellen. Es ist nicht leicht, für jemand der auch daran geschult ist, die Gedichte der Moderne und der Postmoderne zu lesen, Ilse Brem gerecht zu werden. Sehr schnell könnte man mit dem Attribut „altbacken“ daher kommen. Und damit einer Dichterin unrecht tun. Wie unrecht, an einem weiteren Beispiel aus dem selben Band: „unbemerkt bleibt der Engel/der gegen Abend/den schwarzen Strand kühlt.“ (Teneriffa S 52).
Um Gottes Willen, ein Gedicht über Teneriffa würde man im ersten Schreck ausrufen. Denkt dabei unwillkürlich an die Aquarelle malenden Hausfrauen, die sich selbstbestimmend – oder danach suchend – über die Lande ergießen. Toskana, Balearen, Teneriffa, es bleibt kein Landstrich verschont. Und Wochen später dürfen Kulturreferenten, vielleicht sogar Bürgermeister, in jedem Fall aber Volkshochschulkursleiter Vernissagen eröffnen. Und nun auch noch ein Gedicht über Teneriffa! Warum nicht gar über Venedig? Doch, was ist mit dem Gedicht von Ilse Brem? Das Meer wird plötzlich zu einem grünblauen Fischschuppenmuster die Luft wird von schrillen Schreien der Seemöwen geschliffen. Und Teneriffa wird zum Universum. Abgehoben von den „Schatten der Drachenbäume“ entstehen Bilder von beeindruckender Schönheit. Teneriffa? Einzig der Drachenbaum als Spezifikum? Und das Versprechen der Liebenden, das in den Sand des Vergessens fällt. Schade, dass Lieschen das nicht mehr liest. Aber sie hat ja den Brunnenrand verlassen. Sie wird nie erfahren, wie das ist, wenn „Kommt/ eine mühsame Zeit/wird uns/das schüttere Laub/keine Last abnehmen.//Leugnen/beharrlich/die Wahrnehmungen// um unser Gleichgewicht/zu retten.[5]

Ja, könnte man sagen, das ist schon richtig, aber die Sprache ist doch der Vergangenheit entlehnt. Da gibt es nichts Neues, keine Innovationen, keine Neuschöpfungen. Sehr brav und bieder, gut gemacht. Aber vom Hocker reißen die Gedichte nicht! Darauf zu antworten ist leicht: Müssen sie das? beziehungsweise, sie tun das doch! Schau nach, „Licht am Horizont“ Seite 78 „Am Friedhof“ Da steigt der „Rauch aus einem Schornstein mit dem Namen Gewesener// hier wurde Gemeinschaft/wo im Leben einst/der Bruderblick/das Schwesterlächeln fehlte.“ Das, verehrte Leser der Gedichte von Ilse Brem, das ist neu, das ist Ungeheuer! Da bedauert der heutige Leser, das Lieschen (Müller oder sonst eine) schon aufstand, die Laube verließ und keine Gedichte mehr zur Hand nimmt.

Ich erlaube mir ein Resümee:
Ilse Brem, natürlich nicht in der unmittelbaren Nachfolge eines Günter Eich, eines Ernst Jandl auch nicht einer Mayröcker. Ich stelle die Frage, warum sind die Gedichte der Ilse Brem in den „Manuskripten“ nicht vertreten? Im Vergleich zu manchen, der dort veröffentlichten Gedichte - oder soll ich sagen Poesieexperimente? - sind die Gedichte von Ilse Brem pralle Lyrik aus dem und im Leben. Es ist selten geworden, Derartiges heute zu lesen, macht Freude, ohne Nostalgie zu wecken! Das muss erst jemand können: solide gearbeitete Texte, frei von unnötigen Modernismen im heutigen Leben stehend, aus diesem greifend, dieses kommentierend, so zu schreiben!

Kapfenberg, 5. September 13
Hans Bäck




[1] Peter von Matt, Die verdächtige Pracht; Hanser 1998
[2] Georg Heym: Das Lyrische Werk, München 1977
[3] Gottfried Benn, sämtliche Werke, Stuttgart, 1986
[4] Günter Eich,  die Maulwürfe Frankfurt/M 1991
[5] Ilse Brem Unter einem fremden Himmel S 69