Dienstag, 25. Februar 2014

Buchbesprechung



Karl Plepelits


„Unterwegs in Spanien“

Iatros-Verlag ISBN 978-386963-351-0




Eines weiß ich bestimmt: Spanien werde ich nie besuchen! Es ist zu befürchten, dass in jeder zweiten Stadt eine abgelegte Jugend-, Reise oder Altersliebe des Autors auftaucht und alle Österreicher (so sie männlich sind) nach dem Verbleib ihres untreuen Karl befragen will.

Doch nein, so arg ist es diesmal mit dem Reiseleiter gar nicht. Sehr zahm, fast keusch ist eine zarte Liebesgeschichte in die unendlichen Beschreibungen und Schilderungen der „Fiestas, Pilger und Kathedralen“ – wie es im Untertitel heißt – eingebaut.

Ja, die Schilderungen, Beschreibungen, in einem Buch mindestens 25 einschlägige Reise- und Kunstführer zusammenzufassen, das muss man erst einmal zusammen bringen. Karl kann es und wie. Ob aber alle seine fiktiven Reisenden, die er als professioneller Reiseleiter durch die Lande schleppt, so und jederzeit in die immer wieder geschilderten Begeisterungsstürme ausbrechen, da während einer stundenlangen Busfahrt dann noch die achtundzwanzigste römische Brücke, das dreizehnte maurische Castell auftaucht, die neunte gotische Kathedrale von ferne lockt, also da habe ich so meine Zweifel. Aber es kann ja sein, dass ich noch nie eine derartige Reise mitmachte und vor allem einen so profunden Reiseleiter zur Verfügung hatte. Meist war es so, dass ich die Reisenden über Sehenswürdigkeiten aufklären durfte, da der beigegebenen Reiseleiter dazu nicht in der Lage war. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

            Ermüdend ist es auf die Dauer, Seite für Seite in immer neuen Superlativen geschildert zu bekommen, was es an Baudenkmälern, Museen, Galerien usw. zu sehen, besichtigen gäbe.

Auch wenn sich die geschilderten Reisen über mehr als sechzig Jahre hinziehen, und der Autor es ziemlich exakt vermeidet, ein und dieselbe Sehenswürdigkeit wiederholt zu beschreiben. Da ist er sehr sorgfältig zu Werke gegangen – dank sei ihm dafür!

Undank sei ihm aber für verschiedene Eigenheiten, die sich in fast allen Werken des Autos wiederholen. Wieso kann er nicht gleich exakt angeben, was besucht wird, sondern der Leser muss in einem Nebensatz erfahren, um was es bei dieser Station eigentlich wirklich handelt; ein einziges Beispiel von vielen: „Zuerst besuchten wir Salvador Dali, vielmehr sein Theatermuseum.“ Und dass einen die Autobahn in rascher Fahrt nach Tarragona bringt, ist vielleicht eine spanische Einrichtung, technisch eher unmöglich. Doch das nur so nebenbei.        Ich gebe zu, die aufgezählten und beschriebenen spanischen Kostbarkeiten konnte ich nicht auf Richtigkeit überprüfen, dazu fehlen mir die entsprechenden Reiseunterlagen, Kunstführer usw. Es gibt aber sicher Leser, die mit dem Baedeker am Nebentisch die Aufzählungen überprüfen werden.

            Ja, wenn ein so versierter Autor seine Spanien-Erlebnisse über einen Zeitraum von sechzig Jahren niederschreibt, dann bin zumindest ich gespannt darauf zu erfahren, wie sich in dieser Zeit das Land, die Menschen verändert haben. Immerhin gehen die Beschreibungen noch aus der Zeit der Franco-Diktatur über die Rückkehr zur Monarchie und Demokratie und dann letztlich dem Beitritt zur EU. Bestimmend für die letzten Jahre wären ja die Auswirkungen der Finanzkrise, die bekanntlich Spanien besonders hart getroffen hatten. Doch hält der Autor sich hier zu sehr zurück. Man liest  fast nichts über die riesigen Probleme im Zusammenhang mit der geplatzten Immobilienblase, den ungeheuren Zerstörungen der schönsten Landschaften durch einen Bauboom sondergleichen. In Nebensätzen werden die Jugendarbeitslosigkeit angeschnitten, die Hoffnungslosigkeit einer ganzen Generation bleibt ausgeklammert, der Dauerkonflikt der Basken und nunmehr auch der Katalanen wird wohl erwähnt, doch was dahinter steckt, wie die einzelnen Landesteile die Lösungen sehen würden, denn die Unabhängigkeit anzustreben wird wohl zu wenig sein. Da hätte der Leser, den außer der Stadt Zamora mit 24 romanischen Kirchen auch die Fragen des heutigen Spaniens interessieren, noch viele Fragen an den Autor. Aber es wird ja wohl so sein, dass die Urlauber heute, sich bei einer entsprechend angekündigten (Kunst-)Reise für die Sehenswürdigkeiten interessieren und für die brennenden sozialen Fragen kein Interesse mehr zeigen. Ich stelle mir vor, dass allein der Besuch der Stadt Guernica, das Geschehen dort und damit das Gemälde von Picasso in einem Buch an die zehn wenn nicht zwanzig Seiten erfordern könnte. Das wäre dann aber ein anderes Buch, das gebe ich schon zu.

            Reisender, willst Du Spanien auf eigene Faust erkunden, dann kann ich Dir das Buch von Karl Plepelits empfehlen, willst Du Dir den Kauf von verschiedenen Kunst- und Reiseführern ersparen, dann ebenfalls! Da hast Du in einem einzigen Werk alles beisammen!

Höchstens Hinweise auf empfehlenswerte Hotels, Restaurants und Campingplätze sind hier nicht enthalten – aber auch das wäre wieder ein anderes Buch geworden.





Hans Bäck


Sonntag, 23. Februar 2014

Der Literaturbetrieb

Bildquelle: www.welttag-des-
buches.de/de/550493/23.02.2014

für euch gelesen:



WELTTAG DES BUCHES:
BUCHSCHENKER MACHEN
GLÜCKLICH

Am 23. April ist der schönste Tag des Jahres für alle Lesefreunde, denn es wird eines der ältesten und doch ewig jungen Kulturgüter der Welt gefeiert! Das Buch! Da geteilte Freude bekanntlich doppelte Freude ist, machen die Stiftung Lesen und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Kooperation mit der Kampagne "Vorsicht Buch!" Lesefreunde bundesweit zu Buchschenkern:
Alle, die sich vom 10. bis zum 28. Februar 2014 unter http://www.welttag-des-buches.de/de/693653 registrieren, können aus einer Liste mit 11 Titeln ihr Lieblingsbuch auswählen. 


Mehr zu dem Ereignis findet ihr hier
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Bildquelle: http://www.welttag-des-
buches.de/de/135931/23.02.2014

"ICH SCHENK DIR EINE
GESCHICHTE": MEHR ALS 32.000
SCHULKLASSEN FEIERN DEN
WELTTAG DES BUCHES AM 23. APRIL

Noch nie konnten sich so viele Kinder in Deutschland zum Welttag des Buches am 23. April über neuen altersgerechten Lesestoff freuen wie in diesem Jahr. Der UNESCO Welttag geht zurück auf eine alte katalanische Tradition, nach der sich bis heute Menschen in Katalonien an diesem Tag gegenseitig Bücher schenken.

Mehr zu dem Ereignis findet ihr hier:

 

 

 

 

 

 

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Samstag, 22. Februar 2014

Der Literaturbetrieb

Für euch gelesen:

Gegenwartsliteratur

Letzte Ausfahrt Uckermark

"Warum ist die Gegenwartsliteratur so langweilig?" Ein Beitrag von Maxim Biller in drei Teilen, auf "ZEIT ONLINE" vom 20.02.2014 (10:20 Uhr).

Weiter geht's hier:

Übersicht zu diesem Artikel

- Seite 1 Letzte Ausfahrt Uckermark
- Seite 2 Wo bleibt die große Welle?
- Seite 3 Wahrheit ist ein anderes Wort für Poesie

Links:

- Dietmar Dath antwortet auf Maxim Biller: Wenn Weißbrote wie wir erzählen; FAZ, 21.02.2014
- Maxim Biller: Bernsteintage; Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln, 2004
- Maxim Biller: Land der Väter und Verräter, Erzählungen; Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln,  2012
- Maxim Biller: Moralische Geschichten; Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln, 2005
- Maxim Biller: Wenn ich einmal reich und tot bin:...; Erzählungen; Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln, 2012
u.a.

Sonntagstext - 23. Februar 2014


Foto: veredit / Isabella Kramer

 vage

von veredit©isabella.kramer 

wie märzlicht
trügerisch warm
streift dein kuss
meine wangen

sucht meine hand
dein herz
drängt schattenkühle
hinter wimpern

vielleicht - und doch
nichts ist gewiss
im märz




Buchbesprechung


Des Caterpillars Echo

von Dietwin Koschak
lyrische Prosa, Edition Garamond Wien; ISBN 978-3-85306-051-3

Da höre ich vorerst einmal knarren, knacken, reiben von Metall auf Metall, das Brummen eines niedertourigen aber pferdestarken Dieselmotors. Also bin ich gespannt, wie sich daraus lyrische Prosa entwickeln kann. Bei Dietwin ist man ja einiges gewöhnt.

Ich halte mich nicht gerne an Vorworte die für ein Buch von Dritten geschrieben wurden, ich lasse mich lieber selber auf das Abenteuer des Lesens und Entdeckens ein. Aber ein paar Hinweise sind dem Vorwort von Frau Univ. Dozin Maga Drin Alice Le Trionnaire-Bolterauer doch entnommen: „Was die Surrealisten forderten: Die Überwindung des Primats von Rationalismus und Fortschritt“ Und weiters betont die Verfasserin des Vorwortes, dass den Texten ganz sicher der Aufbruchgestus der Surrealisten fehlt. Sie vermisst weiters das was wohl den Reiz des surrealistischen Unterfangens gebildet hatte: Die Überzeugung nämlich durch die Beseitigung der einseitigen Betonung von Vernunft, Logik und Faktizität zu einem umfassenderen und „glücklicheren“ Menschen zu gelangen, diese Überzeugung kann die Verfasserin aus den Texten von Dietwin nicht finden. Wohl aber – und da treffe ich mich mit der Frau Dozentin: Das postmoderne „anything goes“ eine grundsätzliche Verfügbarkeit über alles kulturell Geformte und das Spiel damit.
Ja, das Spiel mit dem Kulturschatz, dem Kanon der Symbole, wenn man so will. Das Spiel mit Manierismen, das Durcheinanderwerfen von Bekannten, vermixen mit Ungeahnten und Überraschenden. Damit steht Dietwin sicher in der Reihenfolge der Surrealisten, in der Nachfolge. Es ist ja gut, auch dieser Spielart der Literatur nachzufolgen, sich daran zu versuchen, es müssen ja nicht immer wieder Übungen in Sonetten und Terzinen sein, es darf und soll auch einmal eine Übung im postmodernen Stil erfolgen. Wir, seine Freunde und Kollegen wissen ja, das auch sein Verfahren die Texte entstehen zu lassen, dem Prozess der Surrealisten folgt: Das intuitive  Niederschreiben, oder wie es Dietwin einmal selber sagte, die Texte schreiben sich. Ganz im Unterschied zur herkömmlichen Art zu schreiben: Da wird um Worte gerungen, werden Phrasen gesucht, wird gefeilt und geschliffen bis der Autor einigermaßen zufrieden ist. Wie ist das nun bei Dietwin Koschak? Geht er den Weg seiner Vorgänger? Es scheint so zu sein. Ein Indiz für diesen „Verdacht“ sehe ich auch darin, dass der Autor seit einiger Zeit äußerst produktiv ist und Bändchen auf Bändchen herausbringt. Wäre aber nicht doch auch einmal das Arbeiten an einem Text mehr als nur sich darauf zu verlassen, dass die Texte sich selber schreiben? Was ist beispielsweise ein Verrat an Orion? Überhaupt hat es der Dichter mit den Gestirnen: Die Sonne und der Mond sowieso, aber unentwegt und in jedem Band der Orion (als ob es keine andere Formation auf dem Nachthimmel gäbe), neuerdings die Plejaden und der unvermeidliche Alpha Centauri.
Ebenso wiederkehren in jedem der Bücher von Dietwin die Rehe, ob fliehend, wiederkehrend, sie sind immer da. Manchmal mutieren sie zu Rotwild, aber ich bin mir nicht sicher ob Dietwin so genau zwischen Hirsch (Rotwild) und Reh unterscheidet. Ist ja bei den Surrealisten auch nicht so notwendig.
Natürlich gibt es Stellen, wo ich eingestandenermaßen hingerissen war: „Es lohnt sich mit den Augen zu hören“ das ist schon etwas, was unter die Haut geht beim Lesen. Gerne folgte ich ihm bei seinen Assoziationen zu Schuberts Winterreise, wahrscheinlich auch deswegen, da auch mir dieses Werk so am Herzen liegt. Halten wir doch fest: Was ist daran nicht schon alles herumgedeutet und interpretiert worden, es sei nun wirklich einem Surrealisten-Nachfahren gestattet (und vergönnt) abseits aller Musikologen darüber nachzudenken, die goldene Sichelmöndin ins Spiel zu bringen, oder kein Anfang ohne Bild. Das sind schon starke Ideen und Sätze, wo es sich lohnt die Winterreise auf den Plattenteller zu legen und hineinzuhören. Doch dann haut der Dichter den Leser einfach mit der Faust ins Gesicht: „Bleib treu dir selbst“ Für diesen Satz würde ich ihn zu zwanzig Jahren Festungshaft bei Wasser und Brot und als Pflichtlektüre die nicht angenommenen Texte aus 31 Reibeisenjahren verurteilen. Das gehört bestraft, das darf nicht sein, auch nicht in der Umstellung des Satzgefüges, wie es von Dietwin vorgenommen wurde. Das hätte der Josef Kirschner in einem seiner Bücher über das Meistern des Lebens schreiben können (und dürfen) oder es könnte in der Familienkonferenz unseligen Angedenkens stehen. Dann wieder ein Satz, nein, ein Gedanke: Eurydike – prisoner of love oder Morgen, das Wort der Sehnsucht.

Achtzig Seiten Streifzug durch die Welt der Surrealisten der letzten zwanzig, dreißig Jahre, Postmoderne, und was bleibt? Ein wenig ein Unbehagen, auch nach der dritten Lesung. Es wird so vieles angerissen, angesprochen, Neugierde geweckt, und es bleibt so vieles offen, ungesagt. Vielleicht ein großer Versuch, aber es blieb bei einer Anhäufung von doch vielen kleinen Steinchen. Diese können ein Mosaik ergeben. Das wäre eine Lösung. Ein Mosaik, dessen Steinchen von einem ein wenig durcheinander gebracht wurden. Die Neu-Ordnung soll der Leser selber machen und finden.

Hans Bäck

Weitere Werke des Autors:
Das Licht am anderen Ende der Nacht
Die große Reise - Ausgewählte Gedichte

Montag, 17. Februar 2014

Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse 2014

Eher unbekannte Autoren, wie die letztjährige Klagenfurt-Siegerin Katja Petrowskaja, 1970 in Kiew geboren, sind neben dem Büchnerpreis-Träger Martin Mosebach (2007) für die Rubrik Belletristik nominiert. Auch die Kandidaten für Essayistik und Sachbuch stehen fest.

Gleich drei Autoren, neben Petrowskaja, Per Leo, geboren 1972 in Erlangen und Fabian Hischmann, Jahrgang 1983, sind mit ihren Erstwerken nominiert. Auffällig auch, zwei der jungen Autoren setzen sich aus unterschiedlichen Blickrichtungen mit den Unsäglichkeiten des 20. Jahrhunderts, den Wirrungen des 2. Weltkriegs, auseinander. Nominiert auch: Saša Stanišić, geboren 1978 in Visegrad (Bosnien-Herzegowina), der eintaucht in die Gegenwart und die Legenden eines Dorfes in der Uckermark.

Nominierungen:



Weiterführende Links:


Blog-Redaktion
Reinhard Mermi
 

Sonntag, 16. Februar 2014

Buchvorstellung

Aus dem Leben einer Matraze bester Machart

 

von Tim Krohn

Der Autor öffnet uns mit einem originellen erzählerischen Kniff das breite Panorama eines von zahlreichen "Erschütterungen" heimgesuchten Europas auf kleinstem Raum - ist die Hauptfigur doch kein Mensch, sondern eine Matratze!
Der Spiegel schreibt: "Ein sehr vergnügliches (...), sympathisch wackeliges Kabinettstück." und die Schweizer Sonntagszeitung lobt die Erzählung als "ein kleines Juwel".
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Über den Autor

Tim Krohn, Jahrgang 1965, lebt als freier Schriftsteller in Zürich und ist Verfasser von Prosatexten, Dramen und Hörspielen. Der Autor wurde u.a. 2011 mit dem Kulturpreis des Kantons Glarus ausgezeichnet und ist Mitglied des Verbands Autorinnen und Autoren der Schweiz.

Produktdetails 

Taschenbuch
Verlag: Galiani Berlin
ISBN 978-3-86971-088-4
Preis: 16,99 € [D]; 17,50 € [A]; 24,00 sFr

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Weiterführende Links

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 Weitere Veröffentlichungen 

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Internet











Vorstellung unserer Autoren

Auf unserem Blog "Unsere Autoren" (http://unsereautoren.blogspot.de) besteht die Möglichkeit, sich vorzustellen und seine Aktivitäten und Werke zu präsentieren.

Redaktion:
Reinhard Mermi

Buchvorstellung

... Ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft oder Ein gutbürger-
liches Trauerspiel

von Peter Mitmasser

Alles beginnt mit einer Traueranzeige für einen verdienten Gemeindebürger: ... Nicht nur ein spannender Krimi, sondern auch eine treffende und scharfzüngige Milieustudie und eine nicht ganz unpolitische Realsatire. 

 Über den Autor

Peter Mitmasser, geboren 1939 in Wien, lebt in Wiener Neudorf. Seine Essays werden in Literaturzeitschriften wie "Reibeisen", "DUM", "Streifzüge" oder "Entwürfe" veröffentlicht.





Produktdetails

Taschenbuch
Verlag: Resistenz (April 2013) 
ISBN-10: 3852852412
ISBN-13: 978-3852852416
Preis: 14,90 € [D]; 14,90 € [A]; 21,90 CHF UVP


Weiterführende Links


 Weitere Veröffentlichungen 

 (u.a.)
  •  Glück aus dem Supermarkt (von Peter Mitmasser und Ruth Reuter; November 2007)

Sonntagstext - 16. Februar 2014



Erzählungen aus der Kolonie

Von Reinhard Lackinger

Jandir Crestanis Geburtstagsfeier erinnert an die Aufführung einer Operette. Ein Bühnenstück in einem Akt, in einem "Churrasco" mit viel selbst gekeltertem Wein, Akkordeonmusik und Gesang. 

Ort der Handlung: der Weinkeller der „Pousada Ca´di Valle“ im „Vale dos Vinhedos“ bei „Bento Gonçalves“, „Rio Grande do Sul“.

Männer stehen herum, nippen an Schnapsgläsern. Neuangekommene schlagen Autotüren zu, ziehen die Aufmerksamkeit des Hausherren an sich. Frauen tragen Speisen herbei. Salate, "Arroz de carreteiro" und frittierte Polenta. Am Tor der Adega steht Jandirs Sohn Tiago an der Glut der "Churrasqueira" und hantiert mit Messer und Gabel. Das sieht so aus, als würde er, die zum Grillen aufgelegten Fleischstücke dirigieren. 

Nach dem Schnaps geht jeder zu seinem Stuhl an den der Reihe nach aufgestellten Tischen. Es wird gemeinsam gebetet. Ein Augenblick, der an das Refektorium eines Zisterzienserklosters erinnert. Dann geht es aber gleich wieder zu wie auf Brueghels Gemälden. Vilma, Jandirs Ehefrau rückt Teller und Platten zurecht, die Gäste zum Zugreifen animierend. Das beinahe siebzig Jahre alte Geburtstagskind greift nach Weinflaschen, gießt Gläser voll. Die Isabella-Trauben kommen vom Weingarten hinter seinen Häusern.

Bei solchen Ereignissen wäre kein anderes Getränk denkbar. Auch wenn diese Art von Wein in Österreich gerne konsumiert wird, ziehe ich normalerweise andere Trauben vor. Merlot, Pinot Noir, Cabernet Franc und Tannat. Da ich aber weiß, wie Jandir den Wein macht, wundert es mich nicht, dass ich am nächsten Morgen keine Kopfschmerzen habe. Ich erlebte den Prozess schon mehrmals und habe gesehen, wie er und sein Schwager Teodoro nur die reifsten und besten Früchte von den frisch geernteten Trauben zupfen. Es wird zugeprostet und jeder greift zu. Remy Valduga, der Heimatdichter, ergreift das Wort. 

Ich kenne etliche Geschichten jenes Volkshistorikers. Sowohl aus den obligaten und alljährlichen Erzählungen, als auch aus seinen Büchern. Aus "Sonho de Imigrante", also "Traum eines Einwanderers" und "Caçadores de Caramujos", die "Schneckenjäger". Beide Titel behandeln die Geschichte italienischer Immigranten. Eine Sage von Menschen, die in den späten Siebzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts aufbrachen, ihr von Hunger geprägtes Leben in den Bergen von Tirol, Trento und Vêneto verließen, und per Schiff in eine neue, unbekannte Welt fuhren. 

Ähnliche Erzählungen mit selbem südbrasilianischen Hintergrund begannen bereits 1824 mit der Einwanderung protestantischer Deutschen aus Pommern. Einige siedelten sich nahe der Küste von Santa Catarina an. Andere drangen auf dem Seewege über die "Lagoa dos Patos" bis „Porto Alegre“ vor, und dann weiter mit dem Boot über die Lagune „Guaíba“, das Delta des Rio Jacuí bis tief in die Flüsse Rio dos Sinos und Rio Gravataí, Rio Jacuí und Rio Caí. Eine Fahrt, stromaufwärts, die lange Jahre die Muskelkraft der Passagiere strapazierte, Ruder und Stangen in Anspruch nahmen. 

Die ersten Deutschen, die es von 1824 bis etwa 1830 in diese Gegend verschlug, gelangten auf dem Rio dos Sinos bis zum heutigen Ort São Leopoldo. Von 1835 bis 1845 und so lange der Bürger- und Unabhängigkeitskrieg namens "Guerra dos farrapos", oder "Revolução farroupilha" dauerte, kamen keine deutsche Immigranten nach Brasilien. Der nächste Schub deutscher Einwanderer kam aus Baden Württemberg. 

Ab 1870 kamen Italiener. Diese fuhren über das Jacuí Delta den „Rio Caí“ hoch und bis Porto Maratá bei Montenegro. Von dort ging es auf Eselsrücken und zu Fuß weiter bis zur heutigen Stadt Bento Gonçalves. Da erwartete sie das Roden und Pflanzen und das nackte Überleben. Die Italiener schufteten auf den ihnen zugewiesenen Grundstücken entlang der "Linha", wie die Landstreifen der Kolonien genannt werden. Parzellen, die sie im Laufe der Jahre bezahlen und abstottern mussten. Sie ernährten sich großteils von den daumengroßen Samenkernen der Araukarien. Riesige Pinienbäume, die nach wie vor die Landschaft Südbrasiliens prägen. Wenn wir heute gekochte und geröstete "Pinhões", also jene Samenkerne essen, erinnern wir uns nur selten und beiläufig an die Not der europäischen Einwanderer. Immigranten, die ins Land geholt wurden, um schwarze Zwangsarbeitskraft zu ersetzen.
Nicht nur harte Arbeit wartete auf die neuen Bewohner des Landes. Ehe sie ihr Ziel erreichten, stießen sie mitunter auf Eingeborene. Auf Índios „Caingangues“, die der ethnischen Säuberung und systematischen Ausrottung durch die vom Staat angeheuerten "Bugreiros" trotzten. Ureinwohner, die sich mit dem Verlust ihres Landes nicht abfinden und in Frieden abhauen wollten. 

Die Episode eines solchen unerwarteten Rendezvous ist Remy Valdugas Lieblingsgeschichte. Er beschreibt, wie eine Gruppe von italienischen Immigranten, seine Vorfahren, plötzlich nackten Índios gegenüber stand. 

Nach Augenblicken der Bestürzung und Ratlosigkeit, folgten drohende Gesten von beiden Seiten. Fäuste und Waffen wurden geschwungen und furchterregende Grimassen gezogen. Die einen stellten Verwundungen durch Harken, Äxte und Buschmesser in Aussicht. Die anderen streckten Keulen, Speere, Pfeile und Bögen in die Luft, ahmten deren Benutzung nach, gaukelten das unvermeidliche Blutbad vor. 

Das alles geschah, sagt Remy Valduga, ohne den Sicherheitsabstand zwischen den disputierenden Parteien, also den europäischen Eindringlingen und den Índios zu verringern. Das gegenseitige Drohen drohte langweilig zu werden. In diese Ruhe vor dem Sturm konnte jeden Moment ein Blitz fahren und den Krieg hervorrufen. 

Da kam einem Immigranten ein rettender Gedanke. Ohne länger zu überlegen, ließ er die Hose herunter und zeigte den verdutzten Eingeborenen sein stattliches und mächtiges Gemächt! Wenige Augenblicke nach dieser allerersten Porno-Darstellung auf brasilianischen Boden war kein Índio mehr zu sehen. Sie flohen vor dem unerwartet zur Schau gestellten Detail männlicher Anatomie, sagt Remy mit verschmitztem Lächeln. 

Mein austro-baianisches Hirn glaubt nicht, dass aus Afrika herbeigezerrte Sklaven sich von einem ähnlichen Porno-Spektakel hätten beeindrucken lassen.