Donnerstag, 27. Dezember 2012

Restauration



nach Durchlesung eines Manuskripts mit Gedichten

Das süße Zeug ohne Saft und Kraft!
Es hat mir all mein Gedärm erschlafft.
Es roch, ich will des Henkers sein,
Wie lauter welke Rosen und Kamilleblümlein.
Mir ward ganz übel, mauserig, dumm,
Ich sah mich schnell nach was Tüchtigem um,
Lief in den Garten hinterm Haus,
Zog einen herzhaften Rettich aus,
Fraß ihn auch auf bis auf den Schwanz,
Da war ich wieder frisch und genesen ganz.

Eduard Mörike (1804 – 1875)

Sonntag, 23. Dezember 2012

Versuchung



(Advent 2012)
von veredit©11

zwischen nebel und tannenduft weht sie heran wie damals vor dreißig jahren
das erste treffen zwischen den auf freudige abnehmer wartenden christbäumen
die hände so eisig kalt an meinen wangen aufregung oder doch die minusgrade
 in der frühen dämmerung und wieder das alles durchwärmende gefühl des ersten
kusses unsicher und doch das verlangen spürbar zart fordernd zugleich versuchung
bist du mir vorweihnachtliche damals und jetzt raureif die schläfen innig verbunden
 heute wie einst ist dieses ganz unsere zeit -


"Nachtrag zu Sistiana" (2)

Zugegeben, es hat zunächst den Anschein, dass das Thema "ein alter Schnee von gestern" wäre. Der erste und bisher letzte Beitrag hierzu datiert vom 28.02.2010 auf unserem Blog. Aber die sinkende Qualität der eingereichten Lyrikbeiträge für das Reibeisen 2013 (die Juroren können davon ein Lied singen) lassen die Lyriker unter uns schmerzlich erkennen: Es ist keine gute Zeit für Lyrik. Deshalb möchte ich an dieser Stelle nochmals auf unsere „SchreibwerkstattLyrik 2009“ in Sistiana zurück kommen und im Nachtrag - wie bereits 2010 angekündigt - "peu à peu" einige seinerzeit angesprochene Themen ansprechen und vertiefen. Es geht nochmals über:

Gedichtüberschriften
Ging es im ersten Beitrag (2010) darum, dass Gedichtüberschriften mittels Wechselbezügen ein Spannungsverhältnis zum Gedicht aufbauen können, so geht es diesmal um Gedichtüberschriften,
die entweder auf das Objekt oder auf das Erleben hinweisen. So kann das im Titel genannte Thema anhand vieler Beispiele entfaltet und variiert werden, so z.B. in Goethes nachfolgendem Gedicht: 


Nähe des Geliebten

Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
                        Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
                        In Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
                        Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
                        Der Wandrer bebt.

Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
                        Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen
                        Wenn alles schweigt.

Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
                        Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
                        O wärst du da!

Die Gedichtüberschrift kann aber auch die Situation oder den Anlass für die Entstehung des Gedichts aufzeigen, so wie in Eichendorffs Gedicht „Mondnacht“, das über die Beschreibung einer mondhellen Frühsommernacht hinaus die Sehnsucht nach Heimat und Frieden thematisiert:

Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flug durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.


Interessant, weil es auf eine andere Wirkung zwischen Überschrift und Text abzielt, ist das nachfolgende Gedicht von Erich Kästner:

Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
 
In diesem Gedicht fällt sofort das Oxymoron in der Überschrift deutlich ins Auge. In Verbindung mit der sarkastischen Bemerkung aus Vers 2: „und man darf sagen: sie kannten sich gut“, bekommt das Gedicht in Verbindung mit dem Widerspruch aus der Überschrift einen unwirklich wirkenden Charakter bzw. wirkt verharmlosend. Kästner gelingt es, den Inhalt seines Gedichts ironisch – sarkastisch wirken zu lassen. Sein Gedicht ist ein Beispiel dafür, dass gerade auch mit dem Widersprüchlichen eine Spannung zwischen Überschrift und Text mit „großer Wirkung“ erzielt werden kann.

Abschließend darf ich auf das Seminarangebot des ELKK für das kommende Jahr hinweisen. 

Das war's bis zum nächsten Mal!

Reinhard Mermi
Redaktion

Glückwünsche




Ich wünsche allen Mitgliedern des
EuropaLiteraturkreises, Literaturfreunden 
und Lesern des Blogs


ein frohes Weihnachtsfest
und ein gutes Neues Jahr!




Reinhard Mermi
Redaktion

Rückschau




Rückschau

von Richard Mösslinger

Abendstunden im Advent,
keine einz’ge Kerze brennt.
Apfelbrutzeln gibt’s nicht mehr.
D’ Weihnacht, ist sie eine Mär,
die ich noch als Kind erlebte,
da ich hoffte und auch bebte,
dass der Christkindbrief verschwand?
Dass ich dies vor’m Christbaum fand,
das ich lange Zeit ersehnt?
Wirklichkeit, hinaus gelehnt!
Kann es wirklich nicht beschreiben
wie Erinnerungen bleiben.
Sehnsuchtsvoll stehn sie im Raum.
Andere, die sehn dies kaum,
weil die Kargheit sie nicht drückte,
die uns seinerzeit beglückte!

Ein Versuch dies all zu checken
heißt: Weihnachten neu zu entdecken
mit wenig Stress, viel Herzlichkeit,
mit Schenken ohne Wertigkeit,
dass jeder an den Andern denkt,
ihm Liebe und Verständnis schenkt;
auch ans Verzeih’n gehört gedacht
in dieser heil’gen Weihnachtsnacht!

Samstag, 22. Dezember 2012

L'Alba / Morgendämmerung



 

 

 

 

 

L'Alba

von Umberto Saba (1883 - 1957)Übersetzung Lux



È l’alba. La giornata che si annuncia
sarà per me come un strazio. Pure
io la vivrò, ritroverò la fresca
sera, la pace coi nemici vinti
anche in mi stesso. La mia vita è tutta
cosi; cosi me la dipingo, e lieto
per l’aperta finestra guardo l’ora
– come dentro una bolla di sapone –
ricreare gli alberi le case.


Morgendämmerung

Es ist Morgendämmerung. Der sich ankündigende Tageslauf
wird für mich eine Zerreißprobe sein. Dennoch,
ich werde ihn durchleben, werde den frischen
Abend wiedererlangen, den Frieden mit den überwundenen Feinden
auch in mir selbst. Mein Leben ist ganz
genau so; genau so male ich es mir aus, und gelehnt
aus dem offenen Fenster sehe ich der Morgenstunde dabei zu, wie sie
– wie im Innern einer Seifenblase –
im Licht der Dämmerung die Häuser neu erschafft.