Sonntag, 31. Mai 2015

Sie lesen in Klagenfurt

Die Teilnehmer für den "Bachmannpreis 2015" stehen fest. Auch 2015 sind wieder 14 Teilnehmer beim Wettlesen mit dabei.


Hier gehts weiter [...]

 

Die Tage der deutschsprachigen Literatur 2015 finden von 1. bis 5. Juli im ORF-Theater des ORF-Landesstudio Kärnten statt. Die Eröffnung des Bewerbes mit der Auslosung der Lesereihenfolge erfolgt am Mittwoch (1. Juli). Gelesen und diskutiert wird von Donnerstag (2. Juli) bis Samstag (4. Juli). Am Sonntag (5. Juli) findet die Schlussdiskussion mit der Preisvergabe statt.


Daniela Strigl wird diesmal als Jurymitglied nicht dabei sein. Als Grund nannte sie Unstimmigkeiten wegen des Juryvorsitzes nach dem Rücktritt von Burkhard Spinnen.



 


Die Einladung



von Ferdinand Planegger

„Post für Dich mein Schatz, richtige Post, ein echter Brief“, ruf ich meiner Frau durch die halbgeöffnete Küchentür zu, als ich vom täglichen Briefkastenleeren nach dem Nachdenkspaziergang zurück komme.
„Was? Post für mich? Von wem? fragt mich Regina zwischen zischenden Dampfgeräuschen und metallischen Klappern von hastig zur Seite geschobenen Küchenutensilien. Sie ist wieder einmal in ihrem Element. Mich zu bekochen ist ihre große Leidenschaft.  Beim Ausziehen meiner Schuhe wird deutlich, wo und wie sich ihre Kochkunst niederschlägt. In gebückter Haltung, den Hintern an der Wand, des Gleichgewichts wegen, mit einer Hand die Laufschuhe von den Füßen zerrend, erkenne ich den Absender.
„Ein Brief von unserer Bank“, presse ich aus mir heraus.
„Mach ihn bitte auf und lies vor. Ich kann nicht, ich habe fettige Hände.“
Der Brief fühlt sich edel an. Ich ziehe einen Folder aus feinstem Papier mit Reliefprägung aus dem Kuvert und lese vor:
„Der Vorstand der Bank lädt sie herzlich zum Literatur-Talk im Donau-Forum in Linz ein. Der österreichische Schriftsteller und Bestseller-Autor Daniel Glattauer liest aus seinem neuen Buch“. Das Rahmenprogramm sieht eine Signierrunde mit dem Autor vor. Selbstverständlich steht ein Büchertisch mit allen Werken von Daniel Glattauer zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihr Kommen.“
„Und der Brief ist an mich gerichtet?“
„Ja, an dich. Nur an Dich!“
„Und Du? Hast Du keine Einladung bekommen?“
Ich krame den Wust an Werbeprospekten, Gratiszeitungen und sonstigen Briefkastenfüllern durch.
„Nein, da ist nichts.“
Ich verkneife meine Enttäuschung und sage nicht, was ich denke. Nämlich, dass meiner Meinung nach der Bank ein grober Fehler unterlaufen ist, denn eigentlich kann ja nur ich als Interessent für kulturelle Veranstaltungen gemeint sein.
Ich gebe zu, dass die Bank nicht wirklich wissen kann, dass ich schreibe. Aber warum dann Regina?  Ich bin doch der „Literat“ in diesem Haus. Meine Frau liest zwar meine Geschichten, korrigiert meine Texte, aber sonst ist sie Leserin, keine Schreiberin.
„Ist doch egal, Ferdinand. Du weißt ja, ich gehe gerne auf Deine Lesungen, andere interessieren mich nicht so sehr. Du gehst als meine Vertretung zu dieser Lesung. O.k?“
Was soll ich da antworten? Sie ist so angenehm pragmatisch, meine Gute. Mein anfänglicher Frust ist schon am Abklingen und ich fange an, mich für den Abend mit Daniel Glattauer einzustimmen. Als erstes besorge ich mir die hochgelobte Neuerscheinung. Seine letzten Bestseller „Gut gegen Nordwind“ und den Folgeroman „Alle sieben Wellen“ habe ich gern gelesen.
„Leichte Kost“ würden meine Kollegen und insbesondere die vortragenden Schriftsteller der Literatur-Akademie lästern.
Egal, ich mag sie trotzdem, die Glattauer´s, die Glavinic´s und so weiter.

Donau-Forum, wo ist das?
Linz ist nicht meine Stadt, ich fühle mich fremd hier. Die Erinnerungen an längst vergangene Zeiten sind negativ. Damals in den 70ern hatte ich hier Arbeit gesucht.
„Als Fliesenleger im Winter? Keine Chance“, sagte mir ein Sachbeabeiter am Arbeitsamt.
„Aber ich brauche dringend Arbeit, egal was, ich mache alles.“
Ich schämte mich, keine Arbeit zu haben. Als Fliesenleger arbeitslos zu sein, war von vornherein verdächtig.
„Gehen Sie halt stempeln und kommen Sie im Frühjahr wieder.“
„Das kann ich nicht, mir fehlen die notwendigen Beitragszeiten.“
„Also gut, ich schau mal nach“. Er blätterte in seiner Kartei, taxierte mich prüfend  und meinte etwas skeptisch:
„Im Hafen hätt ich was. Verladearbeiten. Da sind sie überqualifiziert, das wird Ihnen nicht gefallen.“
Tat es auch nicht, aber was sollte ich tun? Ich hatte keine Wahl, ich war total abgestürzt, wie man so sagt. Kein Bett, nichts zu Essen, vom Rauchen und Trinken gar nicht zu reden.

Vier Tage habe ich Asbestballen von Donauschleppern in Eisenbahnwaggons umgeladen. Händisch und mit der Sackrodel. Abends wankte ich wie besoffen in das zugeteilte Arbeiterquartier. Dass es in diesem Dreckloch stank und muffig war, spielte keine Rolle. Hauptsache ein Dach über dem Kopf und ein paar geschenkte Zigaretten von Hafenarbeitern.
Am Freitag gab es Vorschuss auf den Lohn und ich betrat zum ersten Mal die Kantine. Was für ein Festessen! Ein bis an den Rand gefülltes Teller mit würziger Gulaschsuppe, Brot dazu und Bier. Drei Halbe.
Mein Körper revoltierte. Gulaschsuppe samt Bierschaum kamen magenwendend zurück, das Klo hatte ich knapp verpasst. Der Wirt hat mich rausgeschmissen, der Vorarbeiter auch. Ich war wieder arbeitslos und zog weiter in Richtung Innenstadt. An der unteren Donaulände saß ich auf einer Bank, sah den Möwen zu und dachte an ein besseres Leben.

Jetzt, in diesem erträumten Leben, stehe ich an gleicher Stelle, nur einen Steinwurf von dieser Bank entfernt.  Nur der Blick zum Pöstlingberg ist der gleiche, die Umgebung spiegelt sich in Glasfasaden der Linzer Kulturmeile.
Es ist noch eine Stunde Zeit bis zur Lesung, einige Besucher stehen mit mir am Aschenbecher vor dem Glas-Marmor-Palast. Der Eingangsbereich ähnelt einer Aula, kleine Gruppen diskutierender Literaturliebhaber stehen vereinzelt vor dem Übergang ins Foyer des Auditoriums. Eine dauerlächelnde Hostess scannt meine Einladungskarte und mir wird in diesem Moment klar, dass diese Lesung nichts mit jenen zu tun hat, die ich in der Vergangenheit besucht habe. Das hier ist keine heimelige Bibliothek mit Sesselkreisen um den Autor, kein intimes Zusammenrücken zwischen Literaturfreunden. Meine Hoffnung, irgendwen zu treffen den ich kenne, ist vergeblich. Ich schlängle mich durch die, mit damastweißen Tischtüchern dekorierten, Stehtische an denen hunderte Menschen mit Sektflöten und Weinschwenkern smalltalken.
„Ein Glas Sekt für den Herrn?“, lispelt mir eine junge Auszubildende zu. „Haben Sie auch was Alkoholfreies?“, frage ich freundlich. Vermutlich wurde sie abkommandiert für diesen Job, sie wirkt ein wenig schüchtern und unsicher. Das macht sie zu einer Seelenverwandten, denn mir geht es auch nicht viel besser.
„Ich hole Ihnen ein Wasser“, sagte sie und suchte nach einer Möglichkeit, die vollen Sektgläser irgendwo abzustellen.
„Das ist aber nett von Ihnen. Geben Sie mir das Tablett, ich halte das solange für Sie“, sage ich im väterlichen Ton.
Die Wartezeit auf mein Mineralwasser wird durch ein fröhliches, älteres Ehepaar abgekürzt, sie halten mich für den Sekt-Servierer und räumen kurzerhand den gesamten Vorrat an Trinkbarem ab. Auch gut, jetzt habe ich wenigstens die Hände wieder frei. Janette, der Name steht auf ihrem Namenschild, ist mit meinem Getränk zurück, bedankt sich überschwänglich und wünscht mir einen angenehmen Abend.
Ich fühle mich nicht wohl in diesen Menschentrauben, irgendwann gebe ich es auf, nach bekannten Gesichtern zu suchen und schlendere weiter in Richtung Veranstaltungssaal und Bühne. Gigantisch. Das ist mein erster Eindruck. Ich bin einer der Ersten hier im Auditorium und bewege mich zum vorderen Bühnenrand. Die ersten zehn Sesselreihen sind alle reserviert. Auch für mich? Immerhin steht auf der Einladung, dass für mich, respektive für Regina, ein Platz reserviert ist. Ich will mich nicht auf irgendwelche Diskussionen einlassen und steuere den mittleren Bereich ohne Reservierung an. Die Sicht auf die Bühne ist gut, außerdem ist das gar nicht mehr so wichtig, denn die Videowall ist so riesig, dass man auch ganz hinten im Raum bestens sehen und hören kann.
Vereinzelt sitzen ein paar Sektverweigerer verloren in einem Meer von Sesselreihen. Ich zähle soweit ich sehen kann, den Rest schätze ich auf fünfzig Stühle nebeneinander vor der Bühne. Nach hinten sind es etwa dreißig Reihen.
Der kleine Lesetisch, gerademal groß genug für das Manuskript des Autors und dem obligaten Wasserglas, bildet mit  dem spartanischen Sessel eine einsame Symbiose.
Nur gedämpftes Gemurmel der Aperativschlürfer dringt in den Saal. Ich sitze bequem, fußfrei, im mittleren Besucherblock. Wer früher kommt, hat die Auswahl, wenigstens für heute stimmt das. Der Programmfolder dient meinen Händen als Beschäftigung für die rauchfreie Zeit. Es herrscht im gesamten Gebäude Rauchverbot. Es mehren sich die Argumente, endlich mit dem Rauchen aufzuhören, denke ich. Meine Alkoholsucht habe ich erfolgreich bekämpft, mit dem Nikotin bin ich noch nicht so weit. Vermutlich weil das Rauchen keine sozialen Probleme bereitet. Oder doch? Mittlerweile werden Raucher immer öfter ausgegrenzt, vor die Tür verbannt, abgesondert.

Von der Video-Wall schaut das Bild von Daniel Glattauer direkt in die Sesselreihen. Ich und wahrscheinlich jeder hier im Raum, muss den Eindruck gewinnen, dass er ihm oder ihr direkt in die Augen schaut. Gut gemacht. Neben dem Bild des Schriftstellers stehen die Slogans: Bestsellerautor, vier oder noch mehr Millionen verkaufte Bücher – Trotz Superlative nicht abgehoben – Mensch wie du und ich – Geerdet.
Ich ertappe mich beim Fantasieren. Was wäre wenn? Wenn ich von da oben herunterlächeln würde, mein Buch vorgestellt würde, ich vom Moderator begrüßt und vom Publikum mit Applaus empfangen würde. Wie mich die Menschen bedrängen würden, ihnen zu erzählen, wie ich das alles geschafft habe.
Wie wäre es, wenn mein Wort mehr Gewicht kriegte, ich mir gescheite Sätze einfallen lassen müsste, um meinen Erfolg zu rechtfertigen. Ich glaube, Erfolg kann betrunken machen – glücklich betrunken oder poetisch – Trunken vor Glück. Das wäre der Rausch, den ich mir noch zugestehen würde.
Ja, ich würde was tun. Mein Anliegen sind die Leute vom Rand. Es gibt zu wenig Stimmen die gehört werden. Das zu ändern wäre eine Aufgabe.
Ich habe nicht bemerkt wie sich der Saal füllte, das Licht gedämmt wurde und der Moderator mit dem Veranstalter das Podium betreten hat. Applaus lässt die Luft vibrieren, das bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Daniel Glattauer wird vom Direktor des Hauses angesagt und betritt die Bühne. Applaus! Kein Gejohle und Gepfeiffe, nur respektvoller Applaus.
Glattauer begrüßt fast ein bisschen verlegen das Publikum, stellt seine Geschichte vor und erklärt den Leuten, wie es dazu kam. Des Schriftstellers zweite Kunst ist das Interpretieren seines Werkes, den Wörterteppich aufzurollen und den Zuhörer mitzunehmen in seine Welt. Hier und heute ist das fraglos gelungen.
Ich stelle mich nicht in die endlose Schlange, um das Buch vom Autor signieren zu lassen. Ich gehe still und leise aus dem Auditorium. Ich will nach Hause an meinen Schreibtisch. Ich muss die Reise zu meinen Traum beginnen.
  von Ferdinand Planegger


„Post für Dich mein Schatz, richtige Post, ein echter Brief“, ruf ich meiner Frau durch die halbgeöffnete Küchentür zu, als ich vom täglichen Briefkastenleeren nach dem Nachdenkspaziergang zurück komme.
„Was? Post für mich? Von wem? fragt mich Regina zwischen zischenden Dampfgeräuschen und metallischen Klappern von hastig zur Seite geschobenen Küchenutensilien. Sie ist wieder einmal in ihrem Element. Mich zu bekochen ist ihre große Leidenschaft.  Beim Ausziehen meiner Schuhe wird deutlich, wo und wie sich ihre Kochkunst niederschlägt. In gebückter Haltung, den Hintern an der Wand, des Gleichgewichts wegen, mit einer Hand die Laufschuhe von den Füßen zerrend, erkenne ich den Absender.
„Ein Brief von unserer Bank“, presse ich aus mir heraus.
„Mach ihn bitte auf und lies vor. Ich kann nicht, ich habe fettige Hände.“
Der Brief fühlt sich edel an. Ich ziehe einen Folder aus feinstem Papier mit Reliefprägung aus dem Kuvert und lese vor:
„Der Vorstand der Bank lädt sie herzlich zum Literatur-Talk im Donau-Forum in Linz ein. Der österreichische Schriftsteller und Bestseller-Autor Daniel Glattauer liest aus seinem neuen Buch“. Das Rahmenprogramm sieht eine Signierrunde mit dem Autor vor. Selbstverständlich steht ein Büchertisch mit allen Werken von Daniel Glattauer zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihr Kommen.“
„Und der Brief ist an mich gerichtet?“
„Ja, an dich. Nur an Dich!“
„Und Du? Hast Du keine Einladung bekommen?“
Ich krame den Wust an Werbeprospekten, Gratiszeitungen und sonstigen Briefkastenfüllern durch.
„Nein, da ist nichts.“
Ich verkneife meine Enttäuschung und sage nicht, was ich denke. Nämlich, dass meiner Meinung nach der Bank ein grober Fehler unterlaufen ist, denn eigentlich kann ja nur ich als Interessent für kulturelle Veranstaltungen gemeint sein.
Ich gebe zu, dass die Bank nicht wirklich wissen kann, dass ich schreibe. Aber warum dann Regina?  Ich bin doch der „Literat“ in diesem Haus. Meine Frau liest zwar meine Geschichten, korrigiert meine Texte, aber sonst ist sie Leserin, keine Schreiberin.
„Ist doch egal, Ferdinand. Du weißt ja, ich gehe gerne auf Deine Lesungen, andere interessieren mich nicht so sehr. Du gehst als meine Vertretung zu dieser Lesung. O.k?“
Was soll ich da antworten? Sie ist so angenehm pragmatisch, meine Gute. Mein anfänglicher Frust ist schon am Abklingen und ich fange an, mich für den Abend mit Daniel Glattauer einzustimmen. Als erstes besorge ich mir die hochgelobte Neuerscheinung. Seine letzten Bestseller „Gut gegen Nordwind“ und den Folgeroman „Alle sieben Wellen“ habe ich gern gelesen.
„Leichte Kost“ würden meine Kollegen und insbesondere die vortragenden Schriftsteller der Literatur-Akademie lästern.
Egal, ich mag sie trotzdem, die Glattauer´s, die Glavinic´s und so weiter.

Donau-Forum, wo ist das?
Linz ist nicht meine Stadt, ich fühle mich fremd hier. Die Erinnerungen an längst vergangene Zeiten sind negativ. Damals in den 70ern hatte ich hier Arbeit gesucht.
„Als Fliesenleger im Winter? Keine Chance“, sagte mir ein Sachbeabeiter am Arbeitsamt.
„Aber ich brauche dringend Arbeit, egal was, ich mache alles.“
Ich schämte mich, keine Arbeit zu haben. Als Fliesenleger arbeitslos zu sein, war von vornherein verdächtig.
„Gehen Sie halt stempeln und kommen Sie im Frühjahr wieder.“
„Das kann ich nicht, mir fehlen die notwendigen Beitragszeiten.“
„Also gut, ich schau mal nach“. Er blätterte in seiner Kartei, taxierte mich prüfend  und meinte etwas skeptisch:
„Im Hafen hätt ich was. Verladearbeiten. Da sind sie überqualifiziert, das wird Ihnen nicht gefallen.“
Tat es auch nicht, aber was sollte ich tun? Ich hatte keine Wahl, ich war total abgestürzt, wie man so sagt. Kein Bett, nichts zu Essen, vom Rauchen und Trinken gar nicht zu reden.

Vier Tage habe ich Asbestballen von Donauschleppern in Eisenbahnwaggons umgeladen. Händisch und mit der Sackrodel. Abends wankte ich wie besoffen in das zugeteilte Arbeiterquartier. Dass es in diesem Dreckloch stank und muffig war, spielte keine Rolle. Hauptsache ein Dach über dem Kopf und ein paar geschenkte Zigaretten von Hafenarbeitern.
Am Freitag gab es Vorschuss auf den Lohn und ich betrat zum ersten Mal die Kantine. Was für ein Festessen! Ein bis an den Rand gefülltes Teller mit würziger Gulaschsuppe, Brot dazu und Bier. Drei Halbe.
Mein Körper revoltierte. Gulaschsuppe samt Bierschaum kamen magenwendend zurück, das Klo hatte ich knapp verpasst. Der Wirt hat mich rausgeschmissen, der Vorarbeiter auch. Ich war wieder arbeitslos und zog weiter in Richtung Innenstadt. An der unteren Donaulände saß ich auf einer Bank, sah den Möwen zu und dachte an ein besseres Leben.

Jetzt, in diesem erträumten Leben, stehe ich an gleicher Stelle, nur einen Steinwurf von dieser Bank entfernt.  Nur der Blick zum Pöstlingberg ist der gleiche, die Umgebung spiegelt sich in Glasfasaden der Linzer Kulturmeile.
Es ist noch eine Stunde Zeit bis zur Lesung, einige Besucher stehen mit mir am Aschenbecher vor dem Glas-Marmor-Palast. Der Eingangsbereich ähnelt einer Aula, kleine Gruppen diskutierender Literaturliebhaber stehen vereinzelt vor dem Übergang ins Foyer des Auditoriums. Eine dauerlächelnde Hostess scannt meine Einladungskarte und mir wird in diesem Moment klar, dass diese Lesung nichts mit jenen zu tun hat, die ich in der Vergangenheit besucht habe. Das hier ist keine heimelige Bibliothek mit Sesselkreisen um den Autor, kein intimes Zusammenrücken zwischen Literaturfreunden. Meine Hoffnung, irgendwen zu treffen den ich kenne, ist vergeblich. Ich schlängle mich durch die, mit damastweißen Tischtüchern dekorierten, Stehtische an denen hunderte Menschen mit Sektflöten und Weinschwenkern smalltalken.
„Ein Glas Sekt für den Herrn?“, lispelt mir eine junge Auszubildende zu. „Haben Sie auch was Alkoholfreies?“, frage ich freundlich. Vermutlich wurde sie abkommandiert für diesen Job, sie wirkt ein wenig schüchtern und unsicher. Das macht sie zu einer Seelenverwandten, denn mir geht es auch nicht viel besser.
„Ich hole Ihnen ein Wasser“, sagte sie und suchte nach einer Möglichkeit, die vollen Sektgläser irgendwo abzustellen.
„Das ist aber nett von Ihnen. Geben Sie mir das Tablett, ich halte das solange für Sie“, sage ich im väterlichen Ton.
Die Wartezeit auf mein Mineralwasser wird durch ein fröhliches, älteres Ehepaar abgekürzt, sie halten mich für den Sekt-Servierer und räumen kurzerhand den gesamten Vorrat an Trinkbarem ab. Auch gut, jetzt habe ich wenigstens die Hände wieder frei. Janette, der Name steht auf ihrem Namenschild, ist mit meinem Getränk zurück, bedankt sich überschwänglich und wünscht mir einen angenehmen Abend.
Ich fühle mich nicht wohl in diesen Menschentrauben, irgendwann gebe ich es auf, nach bekannten Gesichtern zu suchen und schlendere weiter in Richtung Veranstaltungssaal und Bühne. Gigantisch. Das ist mein erster Eindruck. Ich bin einer der Ersten hier im Auditorium und bewege mich zum vorderen Bühnenrand. Die ersten zehn Sesselreihen sind alle reserviert. Auch für mich? Immerhin steht auf der Einladung, dass für mich, respektive für Regina, ein Platz reserviert ist. Ich will mich nicht auf irgendwelche Diskussionen einlassen und steuere den mittleren Bereich ohne Reservierung an. Die Sicht auf die Bühne ist gut, außerdem ist das gar nicht mehr so wichtig, denn die Videowall ist so riesig, dass man auch ganz hinten im Raum bestens sehen und hören kann.
Vereinzelt sitzen ein paar Sektverweigerer verloren in einem Meer von Sesselreihen. Ich zähle soweit ich sehen kann, den Rest schätze ich auf fünfzig Stühle nebeneinander vor der Bühne. Nach hinten sind es etwa dreißig Reihen.
Der kleine Lesetisch, gerademal groß genug für das Manuskript des Autors und dem obligaten Wasserglas, bildet mit  dem spartanischen Sessel eine einsame Symbiose.
Nur gedämpftes Gemurmel der Aperativschlürfer dringt in den Saal. Ich sitze bequem, fußfrei, im mittleren Besucherblock. Wer früher kommt, hat die Auswahl, wenigstens für heute stimmt das. Der Programmfolder dient meinen Händen als Beschäftigung für die rauchfreie Zeit. Es herrscht im gesamten Gebäude Rauchverbot. Es mehren sich die Argumente, endlich mit dem Rauchen aufzuhören, denke ich. Meine Alkoholsucht habe ich erfolgreich bekämpft, mit dem Nikotin bin ich noch nicht so weit. Vermutlich weil das Rauchen keine sozialen Probleme bereitet. Oder doch? Mittlerweile werden Raucher immer öfter ausgegrenzt, vor die Tür verbannt, abgesondert.

Von der Video-Wall schaut das Bild von Daniel Glattauer direkt in die Sesselreihen. Ich und wahrscheinlich jeder hier im Raum, muss den Eindruck gewinnen, dass er ihm oder ihr direkt in die Augen schaut. Gut gemacht. Neben dem Bild des Schriftstellers stehen die Slogans: Bestsellerautor, vier oder noch mehr Millionen verkaufte Bücher – Trotz Superlative nicht abgehoben – Mensch wie du und ich – Geerdet.
Ich ertappe mich beim Fantasieren. Was wäre wenn? Wenn ich von da oben herunterlächeln würde, mein Buch vorgestellt würde, ich vom Moderator begrüßt und vom Publikum mit Applaus empfangen würde. Wie mich die Menschen bedrängen würden, ihnen zu erzählen, wie ich das alles geschafft habe.
Wie wäre es, wenn mein Wort mehr Gewicht kriegte, ich mir gescheite Sätze einfallen lassen müsste, um meinen Erfolg zu rechtfertigen. Ich glaube, Erfolg kann betrunken machen – glücklich betrunken oder poetisch – Trunken vor Glück. Das wäre der Rausch, den ich mir noch zugestehen würde.
Ja, ich würde was tun. Mein Anliegen sind die Leute vom Rand. Es gibt zu wenig Stimmen die gehört werden. Das zu ändern wäre eine Aufgabe.
Ich habe nicht bemerkt wie sich der Saal füllte, das Licht gedämmt wurde und der Moderator mit dem Veranstalter das Podium betreten hat. Applaus lässt die Luft vibrieren, das bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Daniel Glattauer wird vom Direktor des Hauses angesagt und betritt die Bühne. Applaus! Kein Gejohle und Gepfeiffe, nur respektvoller Applaus.
Glattauer begrüßt fast ein bisschen verlegen das Publikum, stellt seine Geschichte vor und erklärt den Leuten, wie es dazu kam. Des Schriftstellers zweite Kunst ist das Interpretieren seines Werkes, den Wörterteppich aufzurollen und den Zuhörer mitzunehmen in seine Welt. Hier und heute ist das fraglos gelungen.
Ich stelle mich nicht in die endlose Schlange, um das Buch vom Autor signieren zu lassen. Ich gehe still und leise aus dem Auditorium. Ich will nach Hause an meinen Schreibtisch. Ich muss die Reise zu meinen Traum beginnen.

Dein sei mein ganzes Herz

von Karl Plepelits
Cassiopeiapress- Liebesroman / Edition Bärenklau 2015

E-Book / Buchvorstellung

Ja, darf er denn das? Sich als Lehrer (noch dazu verheiratet) in eine Schülerin verlieben? Ihre Eltern sehen das naturgemäß ganz anders. Nur, verliebt ist sie genauso wie er selbst, und zum Sex kommt es ohnedies erst nach der Matura. Trotzdem dauert es Jahre, und gewaltige Hürden sind zu überwinden, ehe aus der bloßen Verliebtheit eine große Liebe wird. So groß ist sie, dass in ihr sogar noch eine Dritte Platz hat.
Aber eben die Größe dieser Liebe birgt bereits den Keim der Tragödie in sich. Nun kommt aber bekanntlich ein Unglück selten allein. Und so verschlingt das Monster der Tragödie zuletzt auch noch die zweite Geliebte. „Und der Rest ist Schweigen.“


Samstag, 23. Mai 2015

Der Klappentext - Mai 2015

Zum Verbleib des Klappentexts Ausgabe Mai 2015 gibt's nach Anfrage bei der Redaktion eine schlechte aber auch eine gute Nachricht:

  • Der Klappentext - Mai 2015 entfällt aus persönlichen Gründen
  • Der Klappentext - Juni 2015 kommt wie gewohnt - Befürchtungen, dass der Klappentext eingestellt wird, sind unbegründet.


Wir brauchen also auch weiterhin zumindest nicht auf die aktuellen Beiträge rund um die Literatur zu verzichten!

Zu abonieren ist der Klappentext [...]


Zur Erinnerung: Der Klappentext ist das Literaturblatt des Münchner Kulturreferats. Die Redaktion schreibt dazu: "Wir haben eine Mission. Wir wollen Literatur unter die Münchner Leute bringen. Denn seit das Literaturblatt des Münchner Kulturreferats vor eingestellt wurde, ist kaum mehr in Erfahrung zu bringen, wann, wo und wie man die Literatur in dieser Stadt erfahren kann. Geschweige denn, dass man zufällig auf sie stößt – was schließlich zu den schönsten Begegnungen zählt."

Reinhard Mermi
Blogredaktion




Der aufrichtige Kapitalismus des Metallgorillas



Poeme von Michael Ahrenz, Fotografien von Hansgert Lampers
Mit einem Vorwort von Hermann Peter Piwitt

Buchvorstellung von Hans Bäck

Lyriker sind dafür bekannt, dass sie für ihre Bücher oft Titel wählen, an denen man nicht vorbeikommt – was ja wohl einen Grund haben sollte. Michael Ahrenz ist da ja keine Ausnahme. So benannte er ja schon seine legendäre Kulturzeitschrift „der Mongole wartet“ und nun seinen Band mit „Poemen“ eben mit dem o. a. Titel.
Ja, an dem Titel kommt man nicht so leicht vorbei. Da stutzt man, blättert auf, liest einmal, betrachtet die s/w Fotos, stutzt wieder, legt den Band einmal zur Seite. Doch halt, da war ja etwas, nimmt wieder auf, blättert vor, zurück – wo habe ich zuletzt gelesen? Findet wieder Neues, dann packt einen die Neugier und man hört nicht mehr auf. Was für eine Poesie tut sich da auf! Da kommt Michael Ahrenz, ein gebürtiger Berliner, der nun in Bochum lebt.
In Bochum! Oh Gott, in Bochum! Klischee: eine seelenlose Industriestadt im Ruhrpott die besten Zeiten schon lange vorbei und nun kommt da aus dieser Stadt Lyrik! Und was für eine Lyrik! Da sucht man vergeblich nach der heilen Welt der Hobbyliteraten, die noch bei Eichendorff, Hölderlin, Lenau (bestenfalls) hängen geblieben sind. Da schildert einer mit einer Sprache, die donnert, bebt und zeitgleich flüstert, raunt. Was wird geschildert? Man frage nie bei einem Kunstwerk, was soll es bedeuten, darstellen? Man mache sich selber sein Bild, seinen Reim. Und das fordert Ahrenz vom Leser. Ja, wie es in einer Besprechung schon hieß: „eine im besten Sinne unromantische Poesie in der Tradition des Realismus.“ Nüchterne Kommentare, als Österreicher möchte man gerne sagen: fast in der Tradition eines H.C. Artmann (“Med ana schwoazzn dint“ – fia n pjotr):
kein Anruf/keine Post/kein Besuch/niemand/nichts/leck mich/ es geht los“
Ein anderer unglaublich lyrischer Text „...der Blick/aus dem Fenster/wir könnten/der Nacht/den Krieg erklären,/fragen sie dann/aber doch lieber,/wer oder was/wir eigentlich sind.“  Es würde zu weit führen, all diese Kostbarkeiten zu zitieren, außerdem sollte ja zum Kauf des Buches angeregt werden, nein nicht angeregt: aufgefordert! Dringend aufgefordert!
Noch ein Wort zu den Fotografien von Hansgert Lampers. Da haben sich zwei gefunden, die gemeinsam ein Werk geschaffen haben, das vollkommen übereinstimmt. Natürlich, s/w Fotos heute in einer Welt die gar nicht bunt und schrill und schreiend genug sein kann, sind schon deswegen fast ein Anachronismus. Aber nur fast, den die Welt wie sie Lambers abbildet, hat er ja vorgefunden, sie ist ja nicht gestellt oder inszeniert, ebenso wenig wie Ahrenz’ Gedichte geschönt sind.
Michael Ahrenz, seit vielen Jahren geschätzter Dichter im „Reibeisen“, lebt als freier Autor in Bochum und es ist uns als Leser zu wünschen, noch viele „Poeme“ dieser Art zu bekommen, doch Halt: das wäre nicht mehr  der Ahrenz: Es wird uns mit dem nächsten Werk sicher wieder mit Neuem in Sprache, Rhythmus und Ausdruck überraschen. Man vergleiche nur die Poeme dieses Bandes mit den Beiträgen in den „Reibeisen“ der vergangenen Jahre – es ist immer ein anderer, ein überraschender Ahrenz!

Freitag, 22. Mai 2015

Pfingstpamphlet

von Reinhard Lackinger

Wenn ich an Pfingsten denke, sehe ich die verängstigten undverschüchterten Apostel vor mir. Auch glaube ich, die Gegenwart desHeiligen Geistes zu spüren, der mitten im Raum auf die Jünger
herniederschießt, die Burschen mit himmlischem Mut erfüllt. Meine kindlichen Vorstellungen zeigen mir den Wirbelsturm und jenes, in zwölf  Flammenzungen geteilte Feuer. Bilder, die mir vom Kathechismusunterricht der Volksschule erhalten blieben sind.

Heute, als alter Mensch, denke ich gerne an die arglosen Vorstellungen, die ich weiterhin mit mir herumtrage. Vielleicht habe ich deshalb immerweniger Geduld mit Neuigkeiten! Fernsehnachrichten machen michschläfrig. Aus den Online-Zeitungen lese ich fast ausschließlich dieÜberschriften. Vieles interessiert mich nicht mehr! Internet benütze ich nur zu Hause. Smartphone mit Whatsapp habe und brauche ich nicht. Ein Blick ins Facebook genügt, um zu wissen, wie esum die Welt steht.

Die einst viel geschätzte Allgemeinbildung, aber auch der Eifer
derjenigen, die nach wie vor alles ganz genau wissen wollen, kosten mir nur noch ein wehmütiges Lächeln. Irgendwann hört jeder auf, sich für dieses oder jenes zu interessieren.Entweder fehlt es an Hormonen, an Mitgefühl mit anderen Menschen, odereinfach nur an Neugier und Energie. Ich lese noch gerne. Aber keine triviale, Süßholz raspelndeUnterhaltungslektüre. Es muß im Text schon ein Funke springen. Wie voneinem Feuerstein, von einer grobkörnigen Schleifscheibe, von einem
Schmiedestück. Ein Lichtbogen muß zünden zwischen der Absicht desAutoren und meinem Herzen. Deshalb habe ich an Büchern, die nur schönsind, keine Freude. Ich nehme ein Volumen nur noch zur Hand, wenn ich inihm Spuren engagierter, mit Satire und Schmäh geschriebener Literatur
vermute. Alle anderen wunderschön redigierten, gebundenen,illustrierten, aber mehr oder weniger entbehrlichen Werke, die in denAuslagen der Büchereien auf uns warten, bedeuten für einen mürrischenGreis wie mich nicht mehr als die prächtigen Schlösser, Gottesfurchteinflößenden Kathedralen, Wand - und Deckenmalereien, Gobelins undanderen Kunstwerke, mit denen einst die Fürsten und auch der Klerus dasParadies, beziehungsweise das Himmelreich auf Erden nachzuahmen
versuchten. Allen bildenden Künstlern, Musikern, sowie den Dichtern undProsaautoren steht nach wie vor ein Ehrenplatz am Hofe der Machthaberzu. Noble, kulturelle Veranstaltungen in "heil´gen Hallen" und prunkvollgestaltete Literaturmagazine lassen mich nicht lügen.

Am Pfingstsonntag eilen - vor den Augen meiner Phantasie - die Apostel,erfüllt vom Hl. Geiste aus dem Haus, aus ihrem Versteck und auf denMarktplatz. Sie sprechen auf das Volk ein. Alle Anwesenden, dieVerkäufer, die Kundschaft und auch die Schaulustigen verstehen, was die
vom Heiligen Geist beseelten Burschen von sich geben. Die Apostel redenund verkünden die Frohe Botschaft in allen Sprachen, heißt es in denSchriften.

Als alter Mann frage ich mich, ob die Überraschung damals wirklich darinbestand daß die Jünger plötzlich nicht nur fliessend Schriftaramaischund Hebräisch konnten, sondern auch Latein, Arabisch, Griechisch undalle Dialekte und Regionalismen des nahen und Mittleren Osten. Lag das Wunder nicht gerade darin, daß es den Aposteln gelang, dieAufmerksamkeit des lauthals feilschenden Volkes auf sich zu ziehen? Ich versuche mir die verblüfften Marktbesucher vorzustellen, die wie
verirrte Höhlenforscher der Fackel des Retters entgegenblicken.Persönlich zöge ich das Beispiel einer unschuldigen Kindergärtnerin vor,die von einem Reparaturschlosser mit angezündetem Schweissbrennerüberrascht wird. Dieses Bild wäre aber unpassend und vielleicht sogar
politisch unkorrekt.Heute reden die Menschen in verschiedenen Sprachen. Es hört ihnen aber
keiner mehr zu! Jeder, sie und er, stieren wie gebannt auf die eigenenHände, aus denen ab und zu ein elektronisches Glucksen und Pfeifen zuvernehmen ist.

Irgendwo abseits und entlang des irdischen Tales der Tränen wetternbrasilianische Schriftgelehrte weiterhin gegen die Bestimmung desUnterichtsministeriums, es soll nicht mehr von richtigem und falschemPortugiesisch gesprochen werden, sondern von adäquater, unadäquater, vonpassender und von unpassender Ausdrucksweise. Wer wie ich zweisprachigaufgewachsen ist, und es um nichts in der Welt schafft, mitösterreichischen Verwandten und Freunden Hochdeutsch zu sprechen, sondern Mundart, weiß was ich meine.
Brasilianische Konservative wissen das nicht! Sie wollen das nichtverstehen, sondern verlangen vom einfachen, verschwitzten Landarbeiter,daß er sich wie ein "Studierter" ausdrückt. Ich sehe darin den
eindeutigen Versuch des Herrenhauses, das Volk in die Sklavenhüttezurückzudrängen. Ich wünsche, es gelingt den feinen Herrschaften nicht! Die unkonventionelle Ausdrucksweise führt leider oft so weit, daß einerzu meiner Taverne kommt und einfach sagt:"Bier"! Worauf ich ihm in geläufigem portugiesisch zu verstehen gebe, es gebe bei mir nur Getränkefür diejenigen, die auch Schmankerl aus unserer altösterreichischen Küche zu bestellen beabsichtigen. Ab und zu muß ich deutlicher werden und sagen, "hau ab, ich bediene keinen Betrunkenen.

Aufs Extreme zugehackte Sätze umrahmen viele der über Facebook verteilten Fotos von Katzen, Schoßhündchen, Kindern und Tellern mit gastronomischen Feinheiten. Ebenso Selfies am Schwimmbecken, im Garten, auf dem Segelboot, im Restaurant, aus allem möglichen Winkeln der
Komfortzone. Schon in der nächsten Minute sind diese Bilder und verstümmelten Botschaften wie weggeblasen. Nicht der Rede wert!

Egal in welchem Idiom die Apostel auf das Volk einredeten, sie sprachen wie einer, der die Macht hat! Diejenigen, die behaupten, der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und des beinahe passenden Ausdrucks sei wie jener zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen, dürften an jenem Pfingstsonntag den Jüngern Jesu zugehört haben. Die Worte der Apostel müssen wie ein Gewitter auf die Anwesenden herniedergefallen sein. Nur so kann ich mir das andächtig lauschende und zusehende Publikum vorstellen. Wie weit das nicht Verbale, die Körpersprache und positive die Haltung jener allerersten Christen das Gesagte beeinflußte, kann ich als Laie weder wissen, noch beurteilen. Es gelingt mir aber, die Kraft der gütigen Blicke und hilfreich eingreifenden und Segen spendenden Hände der Apostel zu verstehen.

Als Greis, der den Balast der Jugend längst abgeworfen hat, bleibt mir die Frage, was noch an Wichtigem und Positivem zu tun wäre, ehe der Happy-End-Blitz meine eigene Existenz erhellt und bevor mich das allerletzte Aha-Erlebnis ereilt. Angesichs des Todes verliert alles Irdische seine Wichtigkeit, sagen die Gelehrten, ungeachtet ihres Alters. In der 81. und 82. Sure des Korans heißt es ... "dann weiß jede Seele was sie getan und unterlassen hat"! Ältere Menschen wie ich, meinen es bereits zu wissen, oder wenigstens zu ahnen. Bei Mohammed, der Friede Allahs sei über ihm(1), fiel der Piaster erst 6 Jahrhunderte nach jenem Pfingstsonntag. Es scheint, er habe schon einige Suren zuvor Anlauf nehmen müssen, um den Weltuntergang zu beschreiben. Beim Lesen der Suren 81 und 82 sieht es aus, als wiederholte sich Mohammed, der Friede Allahs sei über ihm. Tat er das, weil er meinte, endlich das Thema gefunden zu haben, das alle Menschen hellhörig werden läßt und bewegt?
Ist es nicht gerade diese vermeintliche Gewißheit und die Nähe des Todes, die uns alte Leute zum bedeutensten und zahlreichsten Publikum der Katholischen Kirche macht?

Ich versuche mir die durchdringliche Macht des Heiligen Geistes vorzustellen, der den Menschen beim Letzten Gericht erzittern läßt. Genauso wie es der 35 Tonnen Bechê Gegenschlaghammer heute noch tut. Das Beben, das die ganze Umgebung erreicht. Eine übermenschliche Wahrnehmung. Auch wenn für die Nachbarn der Fabrik die glühenden Mäuler der Öfen, die zentnerschweren Schmiedestücke und die Stichflammen, die bei jedem Gegenschlag der geölten Gesenke in die dunkle Halle schießen, verborgen bleiben.

Meine Fantasie zeigt mir Bilder von alten Frauen und Männern beim Beten des Rosenkranzes. Ebenso Verteter von Minderheiten, die sich weigern, Gesetze, Gebote und Gebräuche blindlings und ohne nachzufragen zu befolgen. "Liebe Deine Nächsten wie dich selbst". Alles andere wird sich
schon finden! Genauso sieht in meinen Augen die Kirche aus. Und zwar seit jenem allerersten Pfingstsonntag. Bis heute und bis zum Jüngsten Gericht! Eine Zeitspanne die nicht länger dauert als der höllisch eindringliche Geruch öligen Zunders oder der himmlisch sanfte Duft der Pfingstrosen.

Seit ich hier in Salvador, Bahia, Brasilien Beislwirt geworden bin, glückt mir jedes altösterreichische Schmankerl, jede Marinade, jede Sauce. Doch wie sehne ich mich nach einem Wesen, dem ich sagen könnte, daß ich das Fehlen von Geistesblitzen bei meinen pamphletarischen Texten tief bedauere.

Da reißt es mich auch schon unerwartet aus dem Traum. Ich zittere, ich bebe! Es wird um mich plötzlich alles heller als die Lichtbögen tausender Elektroöfen. Es ist die strahlende Gewißheit, die es vermag, die dunkleste Ecke unserer Seele schattenlos zu beleuchten, um gleich darauf von der am Pfingstsonntag verkündeten Barmherzigkeit Gottes erfüllt zu werden. Da höre ich auch schon eine vertraute Stimme die sagt:"Griaßdi Reinhard!  Suachda a komote Wuikn, a komfortables Wolkenkissen aus und mochdas bequem!



(1) Jedesmal wenn ein Moslim von Mohammed, der Friede Allahs sei über
ihm, spricht, sagt er gleich nach dem Namen des Profeten "der Friede
Allahs sei über ihm". In meinem Kulturkreis von Salvador, Bahia,
Brasilien, wenn ich vom jetzigen Bürgermeister rede, füge ich "der
Teufel soll ihn holen" hinzu!

Reinhard Lackinger

Salvdador, einige Tage vor dem Pfingsstsonntag 2015