Dienstag, 20. Oktober 2015

Lyrik-Workshop 2015 am Grundlsee



vom 15. bis einschl. 18.10.2015




Es war wieder mal soweit! Der EuropaLiteraturkreis Kapfenberg hatte (mit Beibehaltung des 2jährlichen Turnus) seine Mitglieder und auch interessierte externe Autoren und Gäste zum Lyrik- und Prosa-Workshop eingeladen, diesmal an den Grundlsee mit dem beeindruckenden Bergpanorama des Toten Gebirges. Unterkunft, Verpflegung und vor allem genug Raum für die Workshops, mit getrennten Seminarräumen für Lyrik und Prosa, bot uns diesmal das 3-Sterne-JUFA-Hotel vor Ort.
Lyrikgruppe in Arbeit
Fotograf: Josef Graßmugg

Wie die beiden letzten Male begleitete der Verfasser des Beitrags auch dieses Mal als „Moderator“ den Lyrik-Workshop, dessen Motto diesmal lautete: „Die Suche nach der eigenen lyrischen Sprache“.
Wie bisher gehandhabt, war der Workshop wiederum „praxisorientiert“ ausgerichtet. Bei der relativ kurzen Dauer und der eigentlichen Flut an möglichen Themen mussten jedoch Abstriche hingenommen werden. So ging das Workshop-Programm auf Dinge wie Rhythmus, Metrum, Vers und Reim bewusst nicht ein, da diese Themen für die moderne Lyrik teilweise entbehrlich sind; sie bleiben allerdings einem späteren Workshop vorbehalten.

Voller Elan: Die Prosagruppe
Fotograf: Josef Graßmugg

Letztendlich standen neben einem ersten „lyrischen“ Kennenlernen die „Schärfung des poetischen Profils eines jeden Teilnehmers“ mit Gedichtevortrag und anschließender Diskussion in der Runde, die Bearbeitung von Gedichten zu vorgegebenen Themen – u.a. (versuchsweise) in der Sprache einer vorgegebenen Epoche –, die Überarbeitung eigener Gedichte, oder die Verortung eines Textes hinsichtlich seiner Gattungs-Zuordnung (Prosa oder Lyrik), auf dem Programm. Der rege Austausch und die Diskussionen fanden in freundschaftlicher Atmosphäre statt, wenngleich auch die Teilnehmer nicht immer gleicher Meinung waren.
Die Fischerhütte am Toplitzsee
Fotograf: Josef Graßmugg
Zugegeben, die Lyriker befanden sich, im Vergleich mit der Teilnehmeranzahl der „Prosaisten“, (traditionell) in der Minderzahl; die Ergebnisse ihrer Arbeit konnte sich aber, was die Qualität betrifft, allemal sehen lassen.

Neben der Arbeit kam das gesellschaftliche Zusammensein nicht zu kurz. Und, obwohl der Wettergott uns nicht sonderlich zugetan war, schenkte er uns für den Excurs zum Toplitz- und Kammersee mit Plättenfahrt und Einkehr
Poetry-Slam - 1.Platz: Maria Magdalena Höfler
Fotograf: Josef Graßmugg
zum Mittagessen in der Fischerhütte, einen „halben“ Sonnentag mit blauem Himmel!
Absoluter Höhepunkt der beiden Workshops, „mit besonderem Spaßfaktor unterlegt“, war jedoch der gemeinschaftliche „Poetry-Slam“. Immerhin hatten sich – unter der Moderation unserer „Poetry-Slam-bewährten“ Christine Teichmann – zehn mutige Teilnehmer für den Wettbewerb (österr. „Bewerb“) gefunden. Dabei wurde der Beweis angetreten, dass durchaus auch die sogenannten „älteren Semester“ „slam-tauglich“ sind, indem sie die ersten beiden Plätze in der Rangliste belegten!

Fazit: „Zeit für einen Poetry-Slam – für Jung und Alt – ist zukünftig für jeden Workshop einzuplanen!“

Reinhard Mermi

Montag, 19. Oktober 2015

Lesung in Berlin-Mitte: Kindheit in Deutschland - Kindheit in Polen. Prosa und Gedichte







Dzieciństwo w Polsce – Dzieciństwo w Niemczech. Proza i Poezja Kindheit in Deutschland – Kindheit in Polen. Prosa und Gedichte
 


Liebe Freunde, Kollegen und Literaturinteressierte.
Ja, das war es. Drei Lesungen, drei unterschiedliche Städte, wechselnde Autorinnen und Autoren, aber immer ein interessiertes Publikum, konnte ich erleben. Und immer „unendlich“ lange Lesungen. Polen ist als „literaturverrücktes Land“ bekannt, noch während der kommunistischen Zeit war es üblich, dass Gedichtbände mit einer Startauflage von 15000 Exemplaren erschienen sind (und die wurden auch gekauft), aber auch in Berlin und Potsdam haben die Besucher/Zuhörer ausgehalten. Eine Lesung über fast drei Stunden ist eigentlich – nach gängiger Ansicht – dem Besucher nicht zuzumuten. Doch, doch, es klappte, auch wenn während der Pause auch einmal Einer (Eine) verschwand, blieben die Reihen doch gefüllt. Die Diskussion nach jeder Lesung zeigte auch das Interesse der Menschen. Das Interesse an der Literatur, aber auch an den Autoren und deren Erzählungen. Auch der österreichische „Exote“ und sein Beitrag wurden hinterfragt und behandelt. 
Lesung in Berlin-Mitte in der Stadtbibliothek Luisenbad (von rechts: Marek Czuku, Jens Grandt, Justyna Fijalkowska, Bozena Boba-Dyga, dahinter Heinrich von der Haar, Heidi Ramlow, dahinter: Maik Altenburg, Lucia Dudzinska, Hans Bäck)
Bildquelle: Hans Bäck
Die Lesungen gehen ja noch weiter, bis zum 5. Dezember wird noch an 12 Stationen gelesen und diskutiert. Es zeigte sich, dass die Kindheit, egal ob die Nachkriegs-, Aufbaukindheit oder jene der „ruhigeren“ Jahre behandelt wurde, das Interesse weckte und zur Stellungnahme herausforderte. Nicht nur einmal wurde mir von anwesenden Damen gesagt, „ja so ähnlich haben wir und unsere Mütter diese Zeit erlebt“ Dabei ging es der Veranstaltungsreihe nicht um Chronik (ein wenig schon auch), sondern darum, bestehende Grenzen abzubauen. Es gab diese Grenzen zwischen Polen und Deutschland, es gibt sie teilweise noch immer, jahrhundertelang ist man sich gegenseitig nichts schuldig geblieben, hat Schuld angehäuft und vergessen diese abzutragen. Nun, ein kleiner aber wesentlicher Beitrag ist damit geschehen. Der ehemalige Kultusminister von Brandenburg Dr. Enderlein wies in Berlin und Potsdam darauf hin, dass es an der deutschen Seite liege, mit dem Abtragen des Schuldberges fortzufahren und sich nicht darauf zu verlassen, es seien nun andere, neue Generationen tätig. Als Lücke empfand ich es, dass gerade von der polnischen Seite meine Generation überhaupt nicht vertreten war, ist das noch womöglich eine Grenze, die besteht???
Kommen wir zum literarischen Teil der Lesungen. Natürlich, es lässt sich nicht über einen Kamm scheren, dazu sind die Stilarten, die literarischen Formen, die behandelten Themen zu unterschiedlich. Aber der Herausgeber Heinrich von der Haar hat es tatsächlich geschafft, ein hohes Niveau aller Beiträge sicherzustellen. Auch wenn es sich manchmal um Texte handelt, die durchaus dem Experiment zuzuordnen wären, die impressionistisch angehaucht, Lyrik und erzählende Prosa, berührende Lyrik zu Auschwitz, erhebende, beruhigende Kindheitserinnerungen – alles hatte wohlgeordnet Platz bei den Lesungen und in der Anthologie. Um der noch immer vorhandenen negativen Polung und der weitgehenden Sprachlosigkeit über die Grenzen hinweg zu begegnen, wie der Herausgeber betonte. Sagen wir es einmal sehr beckmesserisch: Wenn auch bei den Texten kein einziger DAS alles überragende Meisterwerk ist, so ist die Gesamtanthologie durchaus ein solches!
Was bleibt? Eine Fülle von Freundschaften, Kontakte mit Autoren aus Polen für unser Reibeisen (wir hatten ja schon eine ganze Reihe polnischer Autoren in den vergangenen Jahren) und die Idee, das Verlangen, dies fortzusetzen. Es gibt ja auch bei uns in der Steiermark Menschenschicksale, die den Geschilderten gleichen: Zerstörung, Zerfall, Vertreibung, Flucht und Neuanfang. Und das sind nicht nur die Heimatvertriebenen des Zweiten Weltkrieges (die auch, deren Schicksale wäre ebenfalls literarisch aufzuarbeiten, historisch hat das Dr. Josef Kaltenböck in den früheren Reibeisen bereits gemacht), das sind die vielen „neuen Bürger“ in unseren Städten, diejenigen, die als Gastarbeiter kamen und geblieben sind, da sind die vielen Menschen mit Migrationshintergrund und deren Kinder, die unsere Volksschulklassen bevölkern. Da wären Schicksale aufzuarbeiten, da wären aber auch Grenzen abzuarbeiten. Beginnen wir damit, bevor es Schuldberge werden. Mit der albanischen Community gab es ja schon einen ersten Versuch in Kapfenberg, das wäre fortzusetzen, zu erweitern. Und es wäre schön, nein, es wäre notwendig und anständig, auch Kollegen, die in der Anthologie vertreten sind, zu uns einzuladen. Ein wenig Geld müsste man dafür in die Hand nehmen, vielleicht bei den Sitzen im neuen Eisstadion ein wenig einsparen (die Sitze im VIP Bereich etwas weniger luxuriös gestalten) und dafür sagen wir einmal € 10 000 für ein Literaturtreffen Polen/Deutschland/Steiermark und unsere neuen Bürger vorzusehen und zu budgetieren. Ich kann persönlich garantieren, die Kollegen würden nicht in 1. Klasse der AUA oder LOT sondern in der normalen Touristenklasse anreisen – womöglich auch als Gruppenreise per Bahn. Sie sind ja bescheidene Dichter und keine Politiker, die es gewöhnt sind, auch auf Reisen verwöhnt zu werden.
Was bleibt: Eine Freude, erst einmal überhaupt als Österreicher eingeladen zu sein, dann auch die Möglichkeit zu erhalten, an den Lesungen teilzunehmen. Eine neue Stadt – Krakau – kennen zu lernen und dabei Vorurteile abzubauen. Vorurteile, die letztlich dahin gingen, naja Polen und der Osten überhaupt. Ich habe Krakau als eine Musterstadt kennen gelernt, eine Stadt, deren Besuch zu empfehlen ist (auch den Kommunalpolitikern in D und A), die einfach wunderschön und gepflegt und sauber ist. Ich habe Freunde getroffen, die einfach wunderbare Literatur schaffen, trotz aller sprachlichen Schwierigkeiten kontaktfreudig sind und weltoffen. Es waren beglückende Erlebnisse in drei unterschiedlichen Städten mit interessiertem Publikum und spannenden Gesprächen über die vorgelesene Literatur. Und genau das meine ich, sollte nicht auf diese einzige großartige Lesereihe beschränkt bleiben. Kapfenberg rühmte sich einst (Dr. Mikesch ist diesbezüglich nachzutrauern) eine Kulturstadt zu sein, immerhin schaffte es Kapfenberg in den Jahren des einsetzenden Wiederaufbaues, eine Musikschule zu gründen, eine Stadtbücherei aufzubauen, (ganz Kärnten har bis heute noch keine vergleichbare), Künstlerförderung zu betreiben durch gezielte Ankäufe von Kunstwerken, und Kulturtage abzuhalten, welche damals internationale Bedeutung hatten und entsprechendes Echo fanden (ohne eigenartige Bewegungstherapien in den Straßen Kapfenbergs). Trotzdem in einer Zeit, in der die Heimatvertriebenen noch in Baracken hausten, die Werksanlagen zum Großteil noch zerstört waren, die Infrastruktur neu aufzubauen war, es wurde auf die Kultur nicht vergessen. Ja, auch auf den Sport wurde auch damals nicht vergessen. In Zeiten großer Sorgen und beschränkter Mittel wurde Großes geschaffen – in Kapfenberg, in der Steiermark, in Österreich. Es wäre schön, wenn wir in Anthologien nicht einmal schreiben müssten, ja damals...

Mit dieser großen Hoffnung verbleibe ich mit meinem Rückblick auf eine spannende und großartige Lesereise!
Hans Bäck