Sonntag, 28. Dezember 2014

Sonntagstext - 28.12.2014



Julies Aussage

von Dagmar Weck


Jef betrachtet von seinem Küchenfenster aus den tiefer gelegenen engen Innenhof seines Wohnhauses mit dem Maße von Scheu, die er seinem eigenen Dasein auferlegt hat.
Nur den Mietern seines Wohnhauses ist es erlaubt,  diesen Hof zu betreten.
Nie geht Jef in diesen Hof , wenn andere Mitbewohner sich dort aufhalten , so bleibt Jef auch verborgen, was seine Nachbarn mitzuteilen haben.
Er kennt ihre Gesichter, nicht jedoch ihre Worte.

Allein mit Graham erlaubt Jef sich spät am Abend den Besuch dieses Hofquadrates, dessen Zustand ihn in diesem Augenblick mit Entsetzen erfüllt.

Beschädigt und nicht mehr abschließbar hängt das große Hoftor halb aus seiner Befestigung gerissen, sinnlos , eher armselig, erscheint Jef dessen Existenz. Er muss es Graham zeigen, der gleich bei ihm sein wird .

Eine fremde Frau steht im Hof und sieht zu ihm herauf, eine dunkelrote Baskenmütze kleidet sie vortrefflich.

Jef zieht sich zurück in sein winziges Wohnzimmer, hier fühlt er eine begehbare Sicherheit .
Graham, sein einziger Besucher, darf Jefs von menschlichen Bindungen losgelöstes Leben zweimal in der Woche durchbrechen.
„Jemand“, spricht  Jef zu dem von ihm heiß geliebten Bild einer gedehnten  Sandwüste, „ist schuldig geworden an der gewaltsamen Öffnung meines Tores.“ Stets blieb es bisher geschlossen, keinen einzigen Jef unbekannten Passanten von der davor liegenden Straße ließ es bisher in seinen Hof hinein.

Lange läutet jemand die Schelle an Jefs Wohnungstür , eine dunkel schleichende Ahnung  klammert sich fest an Jef, der auf seine Uhr sieht.
Heute gerät etwas aus den Fugen, eine demütige winzige Hoffnung, es möge so sein, berührt Jefs Herz.

Graham läutet immer zweimal kurz, Graham, sein Freund, der so wunderbar mit ihm sein unbewegtes Leben zu teilen vermag.
Jef öffnet seine Wohnungstür: „Heute früher als sonst, Graham?“
„Tag, Jef“, ein wortkarger Graham umarmt lange, sehr lange seinen Freund Jef, „deine Haustür unten stand offen.“

In Jefs engem Wohnzimmer stellt Graham seine Tasche auf den Tisch,  ein warmgelbes Licht der Deckenlampe beleuchtet sie.
„Jef, meine Tasche habe ich neu gekauft, ein kleines Reisegepäck passt hinein.“

„Du verreist doch nie , Graham“, Jef schenkt mit zittrigen Händen zwei bereit stehende Weingläser sehr voll mit herrlich kaltem Rosé-Wein, „auf deine neue Tasche, mein Freund, eine Fremde betrat heute meinen Hof, sie hat ein Verbot übertreten, Graham!“

„Julie heißt sie, Jef.“

Jef schweigt , unmittelbar danach bricht er es: „Eine Fremde, die dir nicht fremd ist, mein Lieber?“

„Wir müssen heute früher zu unserem Essen gehen, mein Jef.“
„Warum?“ Jef spricht langsam, beinahe begreift er, was er sieht. 
Reichlich bepackt erscheint die Grahamtasche.
„Ich habe heute noch etwas vor, mein Guter.“
„Du hast doch sonst nie etwas vor, mein einziger Freund, was könnte ich ohne dich nur tun?“
„Jef, die Zeit nicht mehr anhalten, das ist es, vielleicht gestattest du dir zuzuhören, was Menschen dir sagen.“

„Lass uns aufbrechen, Jef.“
 Es läutet an Jefs Haustür.

Die Freunde verlassen die Wohnung, nachdem Jef seine dunkelrote Baskenmütze sorgfältig auf seinem Kopf zurecht gerückt hat.

Auf der Straße vor Jefs Wohnhaus steht Julie, die sich mit ihrem demütigen, wohligen Lächeln einfügt in die eingeübten Schritte ihrer zwei  Trauernden, je und je.

Im Lokal „ zum silbernen zeppelin“ speisen sie und genießen den Wein. „Jef, ich fahre heute fort.“
„Bleib, Graham“.
„Nein, Jef.“
Julie nimmt zart Jefs Hand, der sie ihr überlässt und weint.
Wissend schaut der Wirt zu seinen Stammgästen herüber.
„Ich besuche einen anderen Freund, Jef“.
„Bin ich schuldig geworden, Gra?“
„Nein, ich verlasse nur unser abgeschiedenes Leben,  wir sind ein wenig hochmütig, mein Guter.“
Hans, der Wirt, gestattet sich Tränen, nachdem seine drei  Gäste, die ihm vertraut sind, ihr Mahl beendet haben.
Vor dem Lokal nimmt Gra seinen Abschied von Jef in einer kurzen Umarmung.
„Wann wirst du zurück sein, Gra?“ Unbeantwortet bleibt diese Frage, Graham geht.

Julie geleitet Jef nach Hause.
„Ein wenig verloren bin ich, Jef, auch ich“, Julie löst sich von ihrem Schweigen, „lass uns zusammen  bleiben für eine Nacht.“
Sie betreten Jefs Wohnung, uneinsam.

Jefs kalter Rosé- Wein erfüllt beider Gläser großzügig.

Später, in ihrem Liebesakt, gehen sie nicht verloren, sanfthochmütig  fühlen sie sich ein, einander achtend für diesen endenden Zeitraum.

Sehr spät in der Nacht glockt ein Mensch an Jefs Haustür, zweimal kurz.


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