Yves Rechsteiner
Und dann fängt die Vergangenheit an
Erzählungen
Verlag Waldgut zoom
ISBN 978-3-03740-111-8
Natürlich, früher schrieben wir von unseren Urlaubseroberungen in Bella Italia oder im längst
vergangenen Jugoslawien. Heute sind die Eroberungen und damit auch die Verluste
(oder das Verlassen werden) weltweit gestreut. Man aber auch Frau nimmt ihren
Rucksack und macht die Türe hinter sich zu und das war es dann auch – meistens
wenigstens. Man/frau bummelt einige Wochen, wenn es hoch hergeht einige Monate
durch die Welt, billigst, schaut voll Abscheu auf jene Touristen, welche die
internationalen Hotels, Strände, Sehenswürdigkeiten frequentieren, erlebt dafür
das bereiste Land hautnah, bis hin zum lästigen Guide, der dich unbedingt durch
Tanger führen will und dir alles Mögliche an Erlebnissen zusichert. Gut, das
passiert dem 08-15 Touristen auch, was ist nun so anders an den Erzählungen
Rechsteiners? Zwölf sind es, sie bewegen sich von der heimatlichen Schweiz über
den gesamten Erdball um wieder zurück zu kommen.
Und doch, es sind keine Reiseberichte, es sind keine
Erinnerungen an exotische Liebschaften (das vielleicht auch), es sind grauenhafte
Erlebnisse anderer oder solcher, an denen man/frau selbst beteiligt war. Die
Frau aus der Jugend, die verschleppt, gedemütigt, vergewaltigt wurde, der
Freund, der sich nach Jahren mit den Klassenkameraden trifft, „auf ein, zwei
Biere“ und dann nachsieht, wie die Kumpel verschwinden. Die Überlegung ob es
ein nächstes Mal geben soll, erübrigt sich. Wie sich so vieles erübrigt in
diesen 12 Erzählungen. Wie so vieles offen bleibt, wie so vielem auch gar nicht
nachgefragt wird. Tränen bleiben, Erinnerungen, vielleicht einmal eine
Verbitterung, ein schlechtes Gewissen für ein paar Augenblicke. Türen werden
hinter sich zugeknallt. Zigaretten in Unmengen geraucht, Rum mit Cola gesoffen,
enge Tops über braun gebrannte Oberkörper hochgeschoben. Eigentlich alles sehr
klischeehaft möchte man nun meinen. Wenn da nicht etwas wäre.
Ja, wir haben solche Erzählungen schon gelesen, haben von
Nelke, von Joaquin gewusst. – Doch dazwischen in den kleinen Räumen zwischen
den Zeilen, zwischen den Sätzen, ja sogar zwischen den Buchstaben verbirgt sich
der Autor, verbirgt sich die Welt, die er in Übermaß gesehen und erlebt hat. Er
muss nicht anhand von GoogleEarth die Straßenpläne exotischer Städte schildern,
das hat Yves nicht nötig, er nimmt uns an der Hand, lädt uns seinen Rucksack
auf (mit Schweizer Pass reist es sich tatsächlich leichter!!) und dann haben
wir plötzlich den Duft von Orangen in der Nase, wenn wir über einen heimischen
Markt gehen, wenn du fällst, dann fällst du schon richtig, so auf die Fresse,
wie es sich gehört, keine halben Sachen und so. Es ist die Vergangenheit, es
sind die Vergangenheiten, die immer schon da waren, die uns nicht loslassen,
und wenn du selber noch nie in Saigon mit einem französischen Mädchen unterwegs
warst, so ist es doch, dass es dich erinnert, wie es damals ... Maxine muss sie
nicht geheißen haben, auch nicht Anne,
oder Joan. Erinnere dich einfach, wie es damals war, als du mit ... in
...
Dann beginnen auch deine Vergangenheiten und sie sagen dir,
flüstern dir ins Ohr (ich komme wieder, ganz bestimmt) und du weißt, auch das
war eine Täuschung, sie/er kam nicht wieder. Dabei ist es egal, ob er/sie in
Tanger, in Bibione, Trieste oder Crkvenica wartet(e). Es sind teilweise
bedrückende Erinnerungen, Vergangenheiten, die der Autor da ins Gedächtnis
zurück ruft, aber so ist/war das Leben und Yves schildert ein pralles Leben,
nicht nur und ausschließlich an exotischen Schauplätzen, auch die heimische
Bierkneipe hat ihren Platz.
Nun ziehe ich einige Vergleiche zu einem Band mit
Erzählungen eines anderen Schweizer Autors vor einige Wochen. Ist es eine
Schweizer Gemeinsamkeit, die Suche nach der Stärke im Partner, in der
Partnerin? Oh ja es gibt nicht nur sprachliche Parallelen zwischen Yves
Rechsteiner und Martin Stankowski, es ist so eine Schweizer Eigenheit zu lesen
oder bin nur ich als Rezensent darauf fixiert. Eine Eigenheit, abseits vom
Käse, den Schweizer lt. Yves schon zum Frühstück essen, den glücklichen Kühen
bei Martin, den Schokoriegeln beider, die das gewisse Etwas der Schweizer Literatur
ausmacht. Und das zu erleben, zu erlesen ist spannend, über die Spannung der
vorgelegten Erzählungen hinaus! Ja, ein Leseerlebnis sind die Vergangenheiten,
in die uns Yves Rechsteiner einlädt.
Ives, ein Weltenbummler, seit vielen Jahren auch immer wieder
mit Beiträgen im Reibeisen des Europa Literaturkreises vertreten, lebt jetzt
(einmal) in Basel, wenn er nicht gerade irgendwo weltweit unterwegs ist. Er ist
Musiker („zwei Wochen später trat er durch die Tür der Zweizimmerwohnung, in
der Hand einen Koffer und eine Gitarrentasche“), Dichter, liebt das
unkonventionelle Leben des Bohemiens rund um den Erdball. Yves schreibt
Hörspiele, Theaterstücke, Gedichte. Sein Romandebüt gab er 2015 mit „Als läge
dort tot der Vater“ (Marta Press).
Ich freue mich auf ein nächstes Buch von Yves oder sollte
ihn sein Weltenbummel gar zur Biennale im Oktober nach Kapfenberg beringen,
wäre das ein Hit!
Hans Bäck
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