Mittwoch, 30. April 2014

Buchbesprechung



Nächstes Jahr im Küstenland


Christine Casapicola, Edizioni Braitan


Ein rundum gelungener Relaunch – wie man neudeutsch sagen würde – eines früher sehr schmalen Büchleins aus der Reihe „Europa erlesen“

            Ein, nein, kein Reiseführer, auch keine historische Abhandlung über ehemals österreichisches Gebiet, auch keine Beschreibung einer Reise von einer historischen oder kulinarischen oder kunsthistorischen Stätte zur anderen. Und doch, das alles und noch viel mehr. Sagen wir so, eine Liebeserklärung an einen Landstrich, der von mehrhundertjähriger österreichischer Verwaltung, Herrschaft, Ordnung oder auch Besatzung und Unterdrückung, je nachdem aus welchem Blickwinkel man hinschaut, geprägt ist. Eine Liebeserklärung an kleine Städte, urige Bauerndörfer, verschwiegene Karsthöhen und –höhlen, an eine vergangene Zeit, in der man noch auf Formen Wert legte. Ob es sich um den Kirschgarten der Monarchie handelt, die Käuze der Stadt Triest, das Überleben im Karst, die Sommerfrische an der Riviera Österreichs in Grado, egal, die Autorin schlägt hier Seiten einer Vergangenheit auf, die genau vor hundert Jahren zu Ende ging. Das Schulwesen in Görz, immerhin noch immer die letzte geteilte Stadt Europas, das Boramuseum in Triest, den Thunfischfang vor Sistiana, den Pikolit, den Teran, den Karstschinken, das Olivenöl der slowenischen Bauern, es gibt kaum etwas, was die Autorin in diesem kleinen Kosmos ausklammert. Sie scheut sich auch nicht, das nicht immer friktionsfreie Zusammenleben der verschiedenen Völker auf kleinstem Raum zu schildern. Das Beispiel des Weinbauern aus dem Collio, der von Kaiser Franz Josef über Vittorio Emmanuele II hin zu Kaiser Karl, wieder zurück zu Vittorio Emmanuele, weiter zu Mussolini, mit einem Zwischenspiel von Josip Broz Tito und dem amerikanischen Präsidenten bis endlich dann der italienische Staatspräsident mit seinem Portrait über dem Küchentisch hing, sagt mehr aus, als umfangreiche historische Darstellungen.
            Ein wenig Sehnsucht nach Monarchie, Adel oder Nobile ist herauszuspüren, aber das ist in einem Landstrich, der so von den Familien geprägt wurde, nicht anders zu erwarten. Der kleine Landarbeiter, der schuftet um seine Familie durchzubringen bleibt aber nicht draußen, auch er findet seinen Platz.
            Man kann sich schon vorstellen, als am 5. April 1875 Kaiser Franz Josef in Cormons Station machte auf seiner Reise nach Venedig, die Schulkinder, die Honoratioren der Stadt zwei Stunden vorher schon Spalier standen um seine Majestät gebührend zu begrüßen. Immerhin, damals begann das Ausland genau drei Kilometer westlich von Cormons, begann das Königreich Italien.
            Wollte man den Stationen der Autorin nachfolgen, die Osmizze, Weinkeller, Agritourismi kennen lernen, man würde sehr lang brauchen dazu, aber sehr vieles erfahren. Und es würde nicht nur eine (durchaus empfehlenswerte) Reise zu kulinarischen Köstlichkeiten werden, sondern man würde eine Landschaft erkunden, die so nahe ist, die uns so vertraut erscheint, so als ob man heimkommen würde. Nicht umsonst zitiert die Autorin auch den deutschen, in Triest lebenden Schriftsteller Veit Heinichen, der sagte, die EU stelle eine österreichische Verschwörung dar, um all das zurück zu kriegen, das 1918 verloren ging.
            Man könnte ein wenig Kummer bekommen, beim Lesen, beim Aufsuchen der Stätten und Städte, was da alles verloren ging. Gut, das es solche Bücher gibt, die dabei helfen, dass das Verlorene nicht auch noch vergessen wird.
            Das Gute ist ja, in drei höchsten vier Stunden sind wir heute im Küstenland und auch die Grenzen sind kein Problem mehr. Also hat das mit der EU-Verschwörung doch etwas auf sich?
Hans Bäck

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