Freitag, 4. Dezember 2015

Adventskalender 2015 - Türchen Nr. 4


Katzen
von Insa Segebade
 
Manche sonnen sich auf den Dächern parkender Autos. Andere schlummern im Schatten der Blechkarossen. Ein paar gewitzte haben ihr Quartier in der Nähe der kleinen Fischgeschäfte in den engen Straßenschluchten aus ockergelben und rostroten Häuserfassaden aufgeschlagen. Unter halb geschlossenen Lidern blicken die Katzen Roms auf das hektische Treiben, das um sie herum herrscht. Verwirrte Touristen, die ihren Stadtplan mal in diese, dann in jene Richtung halten. Verärgerte Cafébesucher, die sich darüber beschweren, dass der Espresso am Tisch dreimal soviel kostet wie im Stehen an der Theke. Schwarzhaarige, aufgeputzte Frauen, die ihre Einkäufe erledigen und mit schriller Stimme über Preise verhandeln. Ältere Männer mit Schnauzbart, die wild gestikulierend vor den Wettbüros stehen. Auf knatternden Vespas fahrende Jugendliche, die auch dort Schlupflöcher finden, wo die Autos längst kapituliert haben. Der Roller, ein Relikt aus den Sechzigern, immer noch nicht aus der Mode gekommen. Dafür schallt nur selten ein voll aufgedrehtes Kofferradio hinter den tagsüber zugeklappten Fensterläden auf die Straße.

Von Zeit zu Zeit gähnen sie. Sie entblößen ihr kräftiges Gebiss, die Augen werden zu schmalen Schlitzen. Sie strecken sich, schlecken sich die Vorderpfote, fahren sich damit über die Ohren, rollen sich wieder zusammen und schlafen weiter. Den großen Straßen bleiben sie fern. Der Via dei Fori Imperiali etwa oder der Via del Corso, die am Piazza del Popolo endet, durch dessen Tor Goethe vor mehr als zweihundert Jahren die Stadt betrat. "Auch ich in Arkadien." Im Rom der Katzen mag ein Stück dieses Arkadiens erhalten geblieben sein.
Das Reich der Katzen sind die schmalen Straßen Trasteveres. Der Park auf dem Gianicolo, von dem Garibaldi hoch zu Ross die ganze Stadt überblickt. Oder der protestantische Friedhof an der Cestiuspyramide neben dem südlichen Stadttor. Hinter seinen Mauern sind die Nicht-Katholiken begraben. Die englischen Dichter Shelley und Keats oder Goethes Sohn August. Hier streichen sie um die Grabsteine, steinerne Monumente, reiben ihren Kopf an weißem Marmor und schauen neugierig und erwartungsvoll auf die Menschen, die auf den Wegen umherschlendern und dabei versuchen, die Inschriften auf den Steinen zu lesen. Doch nur dem, der sich Zeit lässt und sich zu ihnen auf den Boden hockt, streichen sie um die Beine, wobei sie leise und zufrieden miauen und schnurren. Ein paar Mutige springen einem gar auf den Schoß und arbeiten sich weiter zu den Schultern vor, wo sie sich genussvoll seufzend niederlassen. Fünf kleine, flauschige Wolleknäuels auf Füßen stolpern und kugeln durch die angelehnte Holztür in das sichere Dunkel des Geräteschuppens. Kurz darauf blicken zwei grün glänzende Augen aus dem Türspalt. Ein vorwitziges Wolleknäuel, das sich schon wieder herauswagen will, wird sanft, aber bestimmt von der mütterlichen Nase zurückgestubst.
Ein anderes Leben führen die Tempelkatzen mitten im Stadtzentrum. Zwischen Ruinen, moosüberwachsenen Säulenresten auf wild wachsendem Rasen schleichen sie auf spitzen Pfoten über das Gestein. Ihr kleines Paradies ist eingezäunt. Rings um das rechteckige Überbleibsel einer scheinbar vergangenen Zeit braust der Verkehr. Ein paar Freiwillige füttern die Vierbeiner. Sogar adoptieren kann man sie, die Tempelkatzen. Nur fortbringen aus ihrem Arkadien sollte man sie nicht.

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