Sonntag, 26. April 2015

Frieden

von Thomas Mentzel

(c) Thomas Menthel
Erfreut registrierte ich heute morgen neben Rechnungen, Mahnungen und
Werbung einen Brief in meinem Postkasten. Ja, einen richtigen Brief
auf Papier. Geschrieben hat ihn der Herausgeber, gleichzeitig Verleger
einer Anthologie mit Texten zum Thema Frieden und er bittet mich um einen Beitrag.

Schließlich bin ich Autor und Lyriker, deswegen fallen mir ein paar
Zeilen gewiss nicht schwer. Kurz und knackig aber bitte und vor allem schnell, er hat für mich eine Seite bereitgehalten. Es gibt gutes Honorar und einige Auftritte im Rahmen der Buchpräsentation hat er ebenfalls reserviert.

Natürlich setze ich mich sofort an den Schreibtisch. Ich bin ein
friedlicher Mensch, gehe tunlichst jedem Streit aus dem Wege und bin
deswegen selbstverständlich geradezu prädestiniert für einen
derartigen Beitrag. Also, Computer hochgefahren und Schreibprogramm
aufgerufen; es kann losgehen.

Nun denn. Zuerst muss ich für Ruhe sorgen, meine Frau ist mit dem
Staubsauger beschäftigt weil sie meint, heute ist ein guter Tag für
den Hausputz. Okay, ich habe ihr den Stecker herausgezogen und sie
höflich gebeten, leise zu sein. Schließlich muss ich arbeiten. Draußen
vor dem Haus ist es windig, die Fenster stehen offen, - vielleicht
rutschte mir deswegen die Klinke aus der Hand und die Tür knallte mit voller Wucht ins Schloss. Wer weiß.

Ich jedenfalls habe meine Ruhe und kann mich entspannt dem Thema
Frieden widmen. Immerhin schaffe ich es, das Wort als Überschrift zu
tippen und mir ein paar grundlegende Gedanken zu machen. Zum Beispiel,
wieso auf einmal kein Aschenbecher neben meinem Computer steht.

So kann ich nicht schöpferisch tätig sein, das weiß meine Frau genau.
Aufgestanden, an den Schrank und einen neuen herausgeholt. Meine Frau
ist mit der Zubereitung der Mahlzeit für unseren fünfjährigen Zögling
beschäftigt, dieser mag jedoch nichts essen. Kann man verstehen, wenn
der Papa nicht dabei ist und deswegen nichts bekommt. Aber dessen
ungeachtet: Ich muss arbeiten, da soll er schweigen. Das erkläre ich
ihm eindringlich. Er versteht es und heult los. Es zieht übrigens
immer noch.

Ruhe, Frieden. Wie schön. Stille zum schreiben. So lange jedenfalls,
bis unsere gemeinsame Tochter aus der Schule kommt. Nicht, dass ich
etwas dagegen habe, wenn sie Musik hört. Aber Zimmerlautstärke
bedeutet, dass die Töne in ihren vier Wänden bleiben. Folglich bin ich
hinübergegangen, habe wortlos die Anlage ausgeschaltet und mich wieder
an meine Schreiberei begeben. Habe ich eigentlich erzählt, dass es ein
sehr windiger Tag ist und alle Fenster geöffnet sind? Ich würde
niemals absichtlich mit den Türen knallen.

Friedliche Geräuschlosigkeit im ganzen Haus. So muss es sein. So kann
ich schaffen. Warum nun mein Nachbar meint, er soll ausgerechnet um
diese Zeit seinen Rasen mähen, bleibt mir unverständlich. Ein wenig
Rücksicht kann ich erwarten, oder? Ich gehe zu ihm hin, um zu
erklären, dass dies nicht geht. Es gibt andere Zeiten, nur weil er
Rentner ist, darf er nicht machen was und wann er will. Als er mir
darauf antwortet, dass ihn meine Arbeitszeiten herzlich wenig
interessieren, fällt mir aus Versehen der Spaten mit der scharfen
Kante direkt auf seine Verlängerungsschnur. Wirklich nur ein Versehen.
Ich selbst käme niemals auf eine derart kämpferische Idee.

Zurück im Haus rutschte mir schon wieder die Klinke aus der Hand. Es
weht wirklich heftig.
Klasse. Es geht nichts über ein stilles, friedliches Umfeld. Wo kommen
auf einmal die Fliegen her? Starfighter und Phantom sind überhaupt
nichts gegen deren Lautstärke. Hilft nur blanke Gewalt. Wofür habe ich
Stern und Spiegel abonniert? Klatsch. Klatsch. Geschafft.

Endlich. Ich kann mich an den Schreibtisch setzen. Worum geht es? Ach
ja, „Frieden“ blinkt auf dem Bildschirm. Ich starre auf das flackern.
Schwarz „Frieden“, der Rest des Bildschirms ist weiß.

Habe ich bereits erwähnt, dass ich ein friedliebender Mensch bin, der
jedem Streit aus dem Wege geht? Ja? Wutausbrüche sind mir fremd. Aber
mir fällt nun gerade nichts mehr ein. Ist es ein Wunder, wenn ich
aggressiv werde? Überhaupt, „Frieden“. Darüber schreibt man nicht, der
herrscht. Nee, der doofe Verleger bekommt jetzt einen Brief von mir.
Den „Frieden“ kann er sich sonst wo hin. Und ich gehe spazieren.
Übrigens, es ist wirklich windig. Ich würde niemals Türen knallen.
Tschüss! 
 
Weiterführende Links:
Thomas Mentzel auf Facebook
Die neuen Leiden der alten Wörter 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen